Dienstag, 23. September 2014

Jenseits des Tales.

aus Süddeutsche.de,


 
Erfindung des Lagerfeuers  
Funken für die Zivilisation 
Abende am Lagerfeuer haben die Menschheit geprägt. Im Schein der Flammen vertieften sich soziale Bande, der Alltag hatte am Feuer keinen Platz. Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Tag und Nacht.
 
Von Sebastian Herrmann
 
Am Lagerfeuer verändert sich die Wahrnehmung. Im Schein der Flammen verwischen die Gesichtskonturen der Anwesenden; auch die Körpersprache ist schwerer zu interpretieren. Das Bewusstsein für das Ich und für die Anderen verändert sich, und die Funken, die in den Nachthimmel steigen, verleiten zu ehrfürchtigem Staunen. Sich um ein Lagerfeuer zu versammeln, hat nicht nur mit Campingromantik zu tun, nein, diese Runden haben die Menschheit verändert und geprägt, argumentiert die Anthropologin Polly Wiessner von der Universität Utah (PNAS, online). Die Zusammenkünfte am Feuer halfen, Bindungen zu pflegen, Traditionen zu entwickeln und Gemeinschaften zu formen.


Seit mindestens einer Million Jahren hantieren die Menschen mit Feuer. Seit etwa 400 000 Jahren beherrschen sie es und können es entfachen, wenn es nötig ist. Die Vorfahren der heutigen Menschen wurden davon stark geprägt, wie zahlreiche Wissenschaftler belegt haben. Die Erfindung des Kochens veränderte zum Beispiel den menschlichen Körper. Weil gegarte Speisen mehr Nährstoffe verfügbar machten, trug dies dazu bei, dass das Volumen des menschlichen Gehirns über die Jahrtausende anstieg und sich der Verdauungstrakt veränderte, wie etwa der Anthropologe Richard Wrangham gezeigt hat. Feuer bot außerdem Schutz vor Raubtieren. Es etablierte einen zentralen Ort in Gemeinschaften, an dem gekocht wurde und vieles mehr.

Witze und Geschichten dominieren die Gespräche am Lagerfeuer

Feuer verlängerte auch den Tag für die Menschen, die einst als Jäger und Sammler durch das Land zogen. Die Flammen spendeten neben Wärme eben auch Licht. Nur wie wichtig dieser Zugewinn an verfügbarer Zeit für die Menschheit war, dazu existiere erstaunlich wenig Wissen, schreibt die Anthropologin Wiessner. Die Forscherin von der Universität Utah beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den !Kung, die in Namibia und Botswana noch heute als Jäger und Sammler leben. Für ihre Studie wertete Wiessner unter anderem Gespräche und Geschichten der !Kung aus, die sie schon vor 40 Jahren aufgezeichnet hatte, und fügte diesen Daten neue Beobachtungen hinzu.

Die Inhalte der Gespräche unterschieden sich je nach Uhrzeit. Bei Tageslicht teilten die !Kung vor allem ökonomisch relevante Informationen etwa zur Jagd, beklagten sich über Widrigkeiten des Lebens und missliche Situationen und tratschten über Verfehlungen anderer !Kung. Witze, Geschichten und andere Themen fanden hingegen wenig Raum. Das war an den Abenden am Lagerfeuer ganz anders: Mehr als 80 Prozent der Gespräche beinhalteten Geschichten; Tratsch, Gejammer oder Themen des Tagwerks fanden im Schein der Flammen hingegen sehr wenig Beachtung.

Im Schein des Notebooks am digitalen Lagerfeuer

Um die 15 Personen saßen abends um die Feuer, berichtet Wiessner, und sorgten mit ihren vom Tagesalltag abgekoppelten Gesprächen dafür, dass sich der Zusammenhalt verstärkte und Geschichten überliefert blieben. Die !Kung schaffen es also, ihre Abende frei von Arbeit zu halten. Im Dunklen lässt es sich eben schlecht jagen und sammeln. In den heutigen Industrieländern ist das anders: Die Erfindung des Kunstlichts hat die Grenze zwischen Tag- und Nachtwerk perforiert. Statt in der Gruppe um das Feuer zu sitzen und Zeit zu teilen, kann man auch allein im Schein des Notebooks hocken und ökonomisch relevante E-Mails verfassen - über die man sich dann am digitalen Lagerfeuer Facebook beschwert.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen