Freitag, 19. Dezember 2014

Die Fabrik der Zukunft braucht keine Menschen.


aus Der Standard, Wien, 17. Dezember 2014, 19:51

Die intelligente Fabrik kommt ohne Menschen aus
In der "Industrie 4.0" wird die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine zunehmend schwieriger

von Tanja Traxler

Wien - Als die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert weite Teile der Welt von Agrar- in Industriegesellschaften überführte, waren die Wissenschaften in doppelter Weise an dieser Entwicklung beteiligt. Einerseits basierte die zunehmende Mechanisierung auf der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Andererseits beschleunigte die industrielle Revolution den Fortschritt in Wissenschaft und Technik.

Dieser Wandel wird oft als die einschneidendste Veränderung für die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gesehen. Doch es sollte nicht dabei bleiben. Mittlerweile wird zwischen vier industriellen Revolutionen unterschieden (siehe Wissen), die alle die Tendenz haben, dass Maschinen eine immer wichtigere Produktionsrolle spielen. Nur in der Ausprägung, welche Aufgaben an Maschinen delegiert werden, unterscheiden sie sich voneinander.

Der derzeit laufende Call "Pro Industry 2015" der Wirtschaftsagentur Wien verschreibt sich der aktuellen industriellen Revolution und forciert die sogenannte "Industrie 4.0". Noch bis 12. März können sich Wiener Forschungseinrichtungen um insgesamt zwei Millionen Euro bewerben.

Vernetzte Objekte

Der Begriff kam 2011 in Deutschland auf und wurde zum Zukunftsprojekt der deutschen Bundesregierung. Seit kurzem setzt sich der Ruf nach der "Industrie 4.0" auch in Österreich durch. Es geht dabei etwa um die Vision der "smart factories", in der die unterschiedlichen Produktionskomponenten so weit miteinander vernetzt sind, dass der Ablauf ohne menschlichen Eingriff von selbst vor sich geht.


Eine zentrale Rolle spielt auch das "Internet der Dinge", in dem Objekte über das Internet verbunden zu sogenannten "smart objects" werden und somit automatisch ohne menschliche Anweisung Daten verarbeiten können.

Damit geht eine Veränderung in den klassischen Produktionssektoren einher. Nach der Drei-Sektoren-Hypothese der Volkswirtschaftslehre wird zwischen einem Primärsektor der Rohstoffgewinnung, einem Sekundärsektor der industriellen Verarbeitung und einem Tertiärsektor der Dienstleistungen unterschieden. Mit der Vernetzung der Dinge und Menschen lässt sich dieses klassische Sektorendenken nicht länger aufrechterhalten.

Verschmelzung von Dienst und Produkt

Auch in einer soeben abgeschlossenen Ausschreibung der Wirtschaftsagentur Wien "Service Innovations" zeigte sich diese Veränderung. In den nächsten ein bis zwei Jahren werden über diese Ausschreibung insgesamt knapp eine Million Euro an Förderungen und Preisgeldern an acht Wiener Unternehmen vergeben.

Wie die Juryvorsitzende des Calls Inka Woyke sagt, haben alle der insgesamt 34 eingereichten Projekte technologieunterstützte Produkte angeboten. Daraus lässt sich ein Trend ablesen, der derzeit weltweit zu beobachten ist: "Es gibt eine Verschmelzung von Dienstleistung, Produkt und Software", sagt Woyke.

"Die klassische Face-to-Face-Dienstleistung verändert sich und wird immer häufiger durch Technologien unterstützt", sagt Woyke, die beim deutschen Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart den Bereich Dienstleistungsmanagement leitet.

In dieser Funktion unterstützt sie Unternehmen dabei, neue Dienstleistungen und dafür geeignete Geschäftsmodelle entwickeln können.

Steuerbarer Stromverbrauch

In einem Projekt, das die Jury als förderungswürdig erachtete, wurde eine webbasierte Steuerung für günstigen Stromverbrauch entwickelt. Die Dienstleistung, die der Kunde erhält, ist, den Stromverbrauch frei steuern zu können und so zum günstigsten Stromtarif einzukaufen.

Ein weiteres Projekt, das im Rahmen von "Service Innovations" gefördert werden soll, ist ein Diktierdienst, der online angeboten wird. So wird ein bisher klassisches Produkt zur technisch vermittelten Dienstleistung gemacht.

In den meisten wissensbasierten Volkswirtschaften wie auch in Österreich macht der Dienstleistungssektor den größten Anteil der Wertschöpfung aus und bringt wesentlich mehr Geld ein als Rohstoffgewinnung und -verarbeitung. Doch die "Sektorentheorie greift nicht mehr richtig", sagt Woyke, "das ist weltweit in vielen Industrienationen so".

Dennoch wurde noch keine alternative Form der Einteilung gefunden, die sich durchsetzen konnte. Woyke könnte sich vorstellen, nach Kundengruppen zu clustern, aber "bisher gibt es auch das im großen Stil noch nicht".



Vier Industrielle Revolutionen

Klare Abgrenzungen, wann eine industrielle Revolution aufhört und die nächste anfängt, sind kaum möglich. Jedenfalls begann alles mit der ersten industriellen Revolution, die Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte und die Mechanisierung mit Wasser- und Dampfkraft anstieß.
In der zweiten Revolution wurde um 1900 der Einsatz von Elektrotechnik entscheidend. Digitalisierung und Computer sind Kern der dritten Revolution, die Mitte der 1970er-Jahre begann.
Derzeit ist die vierte industrielle Revolution im Gange. Mit "smart factories" und cyberpsychischen Systemen forciert sie die Vernetzungen von Maschinen und Menschen. (trat)


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