aus nzz.ch, 7.12.2014, 18:27 Uhr
Korruption in China
Xis grösste Trophäe
Der frühere Spitzenfunktionär Zhou Yongkang ist in China aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden und soll vor Gericht gestellt werden. Auch höchste Kreise sind gegen Strafverfolgung nicht gefeit.
von Markus Ackeret, Peking
Der Sturz von Parteigrössen ist in China wohlorchestriert. Diesmal traf er die Nation im Schlaf. Um Mitternacht Ortszeit in der Nacht auf Samstag – und nicht, wie in früheren Fällen, zu den Abendnachrichten um 19 Uhr – verkündete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua den Parteiausschluss und bald darauf die Festnahme Zhou Yongkangs. Bis vor zwei Jahren war er einer der höchsten Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas.
Der Sturz des bald 72-jährigen ehemalige obersten Verantwortlichen für innere Sicherheit ist keine wirkliche Überraschung mehr. Ein Tabubruch ist er dennoch. Seit dem Prozess gegen die Viererbande 1980, als gegen die Witwe Mao Zedongs Anklage erhoben wurde, ist kein amtierendes oder ehemaliges Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros, des Führungszirkels der Partei, mehr vor Gericht gestellt worden.
Seit diesem Sommer hat die parteiinterne Disziplininspektionskommission offiziell, seit mehr als einem Jahr inoffiziell gegen Zhou ermittelt. Vorgeworfen wird ihm nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua , er habe durch Machtmissbrauch Verwandten, Geliebten und Freunden geholfen, hohe Gewinne bei Geschäften zu machen und damit Staatseigentum zu veruntreuen. Zudem habe er Geheimnisse von Staat und Partei verraten, sich selbst und seine Familie bereichert und mehrfachen Ehebruch begangen. Horrende Summen an unterschlagenen Geldern sollen in seinem Umkreis gefunden worden sein. Die Rede ist von umgerechnet 13 Milliarden Franken.
Angst und Schrecken
Das Verfahren ist dasselbe wie immer bei abgehalfterten Parteimitgliedern: Nach dem Parteiausschluss befasst sich die Justiz mit dem Fall. Die formelle Anklage und spätere Verurteilung vor Gericht scheinen vorbestimmt. Zur jüngst am vierten Plenum des Zentralkomitees geforderten Unabhängigkeit der Justiz passt es allerdings schlecht, dass die Vorwürfe derart deutlich den staatsanwaltlichen Ermittlungen vorweggenommen werden. Zhou ist in der Öffentlichkeit verurteilt, bevor er überhaupt vor Gericht gestellt wird.
Der Vorwurf, Zhou habe Staatsgeheimnisse verraten, sorgte am Wochenende für Erstaunen. Dies ist für einige Beobachter ein Hinweis darauf, dass der Prozess hinter verschlossenen Türen stattfinden könnte. Das stünde zwar im Widerspruch zur Transparenzforderung des vierten Plenums, ersparte der Partei aber ein unter Umständen nur schwer zu kontrollierendes halböffentliches Spektakel wie im Prozess gegen Bo Xilai, den früheren Parteichef von Chongqing. Zhou genoss allerdings nie jene Sympathien einfacher Chinesen, wie sie der Populist Bo nutzen konnte. Jenen, die seinen Namen überhaupt kannten, war er eher als der Mann hinter dem skrupellosen Vorgehen gegen Dissidenten und aufmüpfige ethnische Minderheiten ein Begriff – und spätestens seit dem Frühjahr als jemand, dem fast schon obszöne Bereicherung vorgeworfen wird.
Darauf zielt denn auch die Diffamierung Zhous noch vor dem Prozess ab. Dieser Funktionär ist die bis jetzt grösste Trophäe in der Antikorruptionskampagne des Parteichefs Xi Jinping, der sprichwörtliche «grosse Tiger». Kurz nach seinem Amtsantritt hatte Xi seine Kampagne ausgerufen und gesagt, weder «Tiger» noch «Fliegen» – weder hohe noch niedrige Chargen – würden verschont. Seither verbreitet die Disziplinuntersuchungskommission unter dem früheren Vizeregierungschef für Finanzfragen Wang Qishan in Partei und Behörden Angst und Schrecken. Dass Xi es jetzt wagt, den Ruhestand auch gewesener Parteigrössen infrage zu stellen, zeigt, wie viel Macht er sich in nur zwei Jahren angeeignet hat.
Zhou verkörpert die Ambivalenz der Antikorruptionskampagne. Als früherer oberster Sicherheitschef vertrat er die Machtorgane, und er soll der einflussreichste Fürsprecher einer gegen Xi gerichteten Beförderung Bo Xilais gewesen sein, als dieser bereits abgesetzt war. In der Demontage Zhous verbindet sich Xis Ansinnen , der Partei durch Läuterung und durch Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit die Macht zu bewahren, mit seiner persönlichen Absicherung innerhalb der Partei.
Zhous über Jahre gewonnener Einfluss tritt mit den Ermittlungen gegen das grosse, übers ganze Land verteilte Beziehungs- und Korruptionsnetz zutage. Es wurde gleichsam von den Rändern her aufgeknöpft – in der Erdölindustrie, wo Zhou Karriere gemacht hatte, in der Provinz Sichuan, die er als Parteisekretär geleitet hatte, im Polizeiministerium, dem er vorgestanden hatte, und in all deren Ausläufern fielen reihenweise Funktionäre in Ungnade. Auch Zhous Sohn gehört dazu.
Machtpolitik und hehre Ziele
Mittlerweile sind neben Zhou auch hohe Armeegeneräle, unter ihnen der einst zweitmächtigste Militär Xu Caihou und hohe Parteifunktionäre aus verschiedenen Provinzen und Ministerien mit Verbindungen zu einflussreichen Kreisen, gestürzt. Die Machtpolitik von der hehren, aber herkulischen Absicht zu trennen, in China die Korruption auszumerzen, fällt jedoch schwer. Wichtige Trophäen präsentieren zu können, dient zwar populistischen Zwecken.
Jüngste, bei der Agentur Xinhua schnell wieder verschwundene Berichte über endemischen Postenschacher in Partei und Verwaltung legen den Finger aber auf einen wunden Punkt: Mit dem Pranger für Funktionäre allein ist es nicht getan. Die Korruption im Alltag jedes Chinesen ist ein weiterreichendes, systemisches Problem.
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