Montag, 15. Dezember 2014
Die Religionen und die Gewalt.
Die Neue Zürcher brachte am 10. Dezember von Friedrich Wolfgang Graf eine Rezension des jüngsten Buchs der englischen Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong: Im Namen Gottes. Religion und Gewalt.* Ingesamt ist es ein milder Verriss, daher beschränke ich mich darauf, Ihnen die Kernthese der Buches mitzuteilen:
Von den agrarischen Gemeinwesen der alten Sumerer vor 6000 Jahren bis hin zur Gegenwart bietet Armstrong für die Gewaltgeschichten der Religion immer wieder dieselben Deutungsmuster: Es seien gar nicht genuin religiöse Motive, die zur Gewalt führten, sondern nichtreligiöse strukturelle Bedingungen, vor allem die politische und militärische Machtausübung in einer Gesellschaft. Obendrein sei Religion als eine selbständige, relativ autonome Sphäre menschlicher Kultur nur eine moderne, primär von protestantischen Philosophen und Theologen verbreitete «Erfindung». Vor der Aufklärung des 17. Jahrhunderts sei wirklich alles, Staat und Politik, Ökonomie und Kunst, Sexualität und Kriegsführung, vom Glauben an Gott oder mehrere Götter durchdrungen gewesen.
So hätten die religionskritischen Aufklärer den falschen Eindruck gewonnen, dass eigentlich rein politisch oder ökonomisch motivierte Kriege eine religiöse Ursache hätten. Denker wie John Locke und Immanuel Kant seien deshalb gar keine Aufklärer, sondern Erfinder des «myth of religious violence»; mit dieser Formel knüpft Armstrong an den katholischen Theologen William T. Cavanaugh an. Dass die modernen «Säkularisten» diesen Mythos seit dem 19. Jahrhundert und auch heute noch für wahr hielten, erklärt Armstrong mit ideologischer Verblendung: In ihrem radikalen Antiklerikalismus und ihren Kulturkämpfen gegen die Frommen sei es den «Säkularisten» gelungen, den Mythos von der Glaubensgewalt als Realität erscheinen zu lassen. ...
*
Das hat ja was für sich. Denn wie ein Subjekt wirken kann "die Religion" nur in der Gestalt ihrer Anhänger. Doch kein Anhänger einer Religion ist im Leben nur das und nichts anderes. Man kann nicht sinnvoll eine Geschichte "der Religionen" schreiben und nachsehen, wann und wo und warum sie 'zu Gewalt geneigt' haben. Andersrum geht es eher: eine Geschichte gewaltsam ausgetragener Konflikte schreiben und nachsehen, wann und wo und wie religiöse Gesichtspunkte motivierend oder legitimierend dabei eine Rolle gespielt haben.
Aber sogleich wird deutlich: Was ein religiöser Gesichtspunkt ist im Unterschied zu einem weltlichen, hängt davon ab, um welche Religion es geht.
Christen mögen sich die Köpfe einschlagen über die Menschennatur des Gottessohns. Ob das das wahre Motiv ist oder nur ein Vorwand für reelle Interessen, wäre dann immer noch zu klären. Aber wenn Frau Armstrong dieses Buch in diesen Jahren schreibt, denkt sie natürlich an den Islam. Der ist dogmatisch ausgesprochen mager. Das muslimische Glaubensbekenntnis, durch das allein man der Umma beitritt, heißt: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Ansonsten hat man rituellen Vorschriften zu folgen, mal strenger, mal laxer.
Aber viel zu glauben gibt der Koran nicht. Gott ist nicht Mensch geworden, es gibt nichts Heiliges und kein Sakrament, es gibt keine Kirche, die seliger machte als eine andere. Die große Scheidung des Islam in Sunniten und Schiiten war und ist in ihrer Begründung rein politisch: Es geht um die Legitimität der Kalifen, die dem Propheten nachgefolgt sind. Wobei der Kalif kein Geistlicher war, sondern ein Gläubiger wie die andern, er war nicht der Seelsorger der Muslime, sondern ihr Schutzherr.
Mit andern Worten: Aus geistlichen Motiven kann islamischer politischer Aktivismus gar nicht verstanden werden, man muss nach außerreligiösen Triebkräften suchen - das ist ein hermeneutischer Elementarsatz.
JE
*) Karen Armstrong, Im Namen Gottes. Religion und Gewalt. Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz. Pattloch, München 2014, 687 S., Fr. 37.90.
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