Samstag, 27. Dezember 2014

Putins Hitler-Stalin-Pakt.


Stalins und Ribbentrops Unterschriften auf ihrem Zusatzabkommen

Timothy Snyder  ist ein streitbarer Mann, mit andern Worten, unumstritten ist er nicht. Einem größeren Publikum ist der Historiker im Jahr 2010 mit seinem monumentalen Bloodlands bekannt geworden - einer minutiösen Darstellung der blutigen Geschichte der Länder zwischen Deutschland und Russland im 20. Jahrhundert. Seine Protagonisten sind das "Zwillingsgestirn Hitler/Stalin", sein Knotenpunkt der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 mit seinem geheimen Zusatzabkommen über die Aufteilung der "Bloodlands" zwischen beiden totalitären Systemen.

Unlängst brachte die FAZ einen ausführlichen Beitrag Snyders zu Vladimir Putins Agieren in der Ukraine und zu dessen angelegentlicher Uminterpretation der Geschichte. Hier einige Auszüge:


"...Fünf Jahre lang, von Anfang 1934 bis Anfang 1939, hatte Hitler vergeblich versucht, Polen als Verbündeten für einen Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Im August 1939 hofierte er Stalin nur drei Tage lang, um ihn für einen Krieg gegen Polen zu gewinnen. Sein Vorschlag wurde begeistert akzeptiert.

Am 20. August 1939 bat Hitler Stalin um ein Treffen, und Stalin war überglücklich. Seit fünf Jahren hatte der sowjetische Führer nach einer Gelegenheit gesucht, um Polen zu vernichten - nun bot sich ihm diese Gelegenheit. Stalin wusste natürlich, dass er mit dem mächtigsten Antisemiten der Welt eine Vereinbarung über die Vernichtung des größten Heimatlandes europäischer Juden traf. Bei den Vorbereitungen für das Bündnis mit Hitler hatte Stalin wie so viele andere Politiker einen Kotau vor dem Führer gemacht. In der Hoffnung, Hitlers Aufmerksamkeit zu erregen, hatte er Maxim Litwinow, seinen jüdischen Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten, entlassen und durch den Russen Wjatscheslaw Molotow ersetzt. Litwinows Entlassung war nach Hitlers eigener Aussage von entscheidender Bedeutung. Molotow war es denn auch, der mit Außenminister Joachim von Ribbentrop am 23. August 1939 in Moskau den Vertrag aushandelte.


...Ein geheimes Zusatzprotokoll zu dem Nichtangriffspakt regelte die Aufteilung Osteuropas zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion. Endlich hatte Hitler den Verbündeten, den er brauchte, um die Feindseligkeiten zu beginnen. Die vom geheimen Zusatzprotokoll betroffenen osteuropäischen Gebiete bildeten das Kernland der weltumspannenden jüdischen Gemeinschaft und waren seit einem halben Jahrtausend ununterbrochen von Juden besiedelt. Als der Krieg begann, wurde die Region rasch zu dem für Juden gefährlichsten Gebiet ihrer gesamten Geschichte. Nicht einmal zwei Jahre später sollte hier der Holocaust beginnen. Stalin tat den berühmten Ausspruch, der Hitler-Stalin-Pakt sei „mit Blut besiegelt“...


...die Befürchtungen Polens, Litauens, Lettlands und Estlands, jener vier Staaten, die 1939 und 1940 gemäß den Bestimmungen des Pakts von der Roten Armee besetzt wurden. Am 17. September 1939 sprang Stalin seinem Verbündeten Hitler mit einem Angriff auf Polen zur Seite: Von Osten her rückte die Rote Armee nach Polen ein. Sie traf in der Mitte des Landes auf die Wehrmacht, und man veranstaltete eine gemeinsame Siegesparade. Die sowjetische und die deutsche Geheimpolizei kamen überein, die polnische Widerstandsbewegung zu vernichten. Hinter den neuen Grenzlinien organisierte das sowjetische NKWD die Massendeportation einer halben Million polnischer Bürger in den Gulag. Außerdem exekutierten die Sowjets Tausende polnische Offiziere, von denen viele gerade noch gegen die Wehrmacht gekämpft hatten.


Die Zerstörung des polnischen Staates ist in der Geschichte Polens verständlicherweise in Erinnerung geblieben. Dabei wird aber oft übersehen, dass sich die polnische und die jüdische Geschichte überlappen. Die vom NKWD ermordeten polnischen Bürger, meist Reserveoffiziere mit höherer Bildung, wurden getötet, weil sie die Elite des polnischen Staates darstellten. Viele von ihnen waren Juden, deren Familien nun ohne sie der deutschen Besatzung ausgeliefert waren. ...


...Von 1939 bis 1941 war die Sowjetunion ein Verbündeter Nazideutschlands, der Erze, Erdöl und Nahrungsmittel lieferte, damit die Deutschen Krieg gegen Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und vor allem gegen Frankreich und Großbritannien führen konnten. In dieser Phase des Krieges war Stalin darauf bedacht, Hitler zu gefallen. Er erfüllte nicht nur alle Verpflichtungen aus dem Hitler-Stalin-Pakt wie auch aus dem Grenz- und Freundschaftsvertrag, sondern auch spezielle Bitten seiner deutschen Verbündeten - mit einer größeren Ausnahme. Stalin wusste sehr genau, in welcher Notlage sich die Juden in der deutschen Zone in Polen befanden. Es kann kaum überraschen, dass er keinerlei Interesse daran zeigte, ihnen zu helfen. Im Februar 1940 machte Adolf Eichmann Moskau den Vorschlag, den Großteil der polnischen Juden, zwei Millionen, in die Sowjetunion zu überführen. Moskau reagierte auf dieses Ansinnen nicht.  ...


...Stalin weigerte sich zu glauben, dass Deutschland die Sowjetunion 1941 angreifen würde. Mehr als einhundert Warnungen der Geheimdienste vor der kommenden Invasion tat er als britische Propaganda ab. ...


... Als Stalin sein Bündnis mit Hitler schloss, verfolgte er damit ein politisches Ziel. Er stellte sich vor, wenn er den Nazistaat bei dessen Kriegsbemühungen unterstütze, könne er die deutschen Truppen gen Westen richten und von der Sowjetunion fernhalten. So würden die der kapitalistischen Welt innewohnenden Widersprüche zum Vorschein kommen, und Deutschland, Frankreich und Großbritannien würden gemeinsam zusammenbrechen. Putin versucht heute auf seine Weise dasselbe


... Man kann Stalin zugutehalten, dass er ein reales Problem zu lösen versuchte. Hitler wollte tatsächlich die Sowjetunion vernichten. ...


... Die Rehabilitierung des Hitler-Stalin-Pakts ist nicht Ausdruck einer klaren Ideologie, sondern möglicherweise etwas noch Schlimmeres: eine Flucht in den Nihilismus als Abwehr des Vorwurfs der Unfähigkeit. Den Hitler-Stalin-Pakt billigen, heißt die Grundlage wechselseitigen Verständnisses in der westlichen Welt zugunsten einer kurzlebigen Taktik aufzugeben, die nur zerstören kann, aber nichts zu erschaffen vermag."


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Hat Putin einen Plan? Es ist wohl schlimmer: Er hat anscheinend keinen Plan. Doch für einen Mann ohne Plan hat er zu viel Macht. Das ist die wunde Stelle, auf die Snyder zum Glück hinweist, statt der Versuchung nachzugeben, ihn als einen finsteren, zu allem entschlossenen Erben Stalins und Iwans der Schrecklichen darzustellen.

Wenn Gerhard Schröder beteuert, Putin sei ein authentischer Demokrat, dann mag er vielleicht sogar Recht haben, aber davon hat niemand was: Eine Demokratie ist aus Jelzins WildWest-Kapitalismus nicht hervorgegangen, sondern ein bonapartistisches Regime, dem nichts anderes übrigbleibt, als zwischen den tausendfältigen gesellschaftlichen Kräften - von den Oligarchen über die Mafia und die alte Nomenklatura bis zu den wie immer stimmlosen, aber auch ruhebedürftigen Massen - hin und her zu lavieren, mit den KGB-Kadern als seiner loyalen Dezemberbande und den paar mehr oder minder intellektuellen Oppositionellen als Popanz. Wirklich repräsentativ ist dort niemand, jeder läuft seinem unmittelbarsten Vorteil nach, Parteien in einem politischen Sinn sind noch immer nicht entstanden. 

Noch vor wenigen Monaten war Putins Autorität im Keller. Da bot sich ihm die Gelegenheit, die noch jeder Bonaparte ergriffen hat, um sein wankendes Regime im Innern neu zu festigen: ein auswärtiges Abenteuer, ein - nur nach außen, nicht nach innen larvierter - Krieg. Wobei der Griff nach der Krim einen guten strategischen Sinn hatte: die Seeherrschaft im Schwarzen Meer zu sichern. Dagegen sind die Scharmützel am Don völlig aus dem Ruder gelaufen. Zuerst war da der Versuch, die Ukraine als russische Satrapie auszubauen, aber der hat hervorgerufen, was es bis dahin gar nicht gab: ein ukrainisches Massennationalbewusstsein, an dem Putin nun nicht mehr vorbeikommt. 

Genauso wenig kommt er jetzt aber an dem großrussischen Chauvinismus vorbei, den er zuhause entfacht hat. Was soll er bloß mit den verrosteten Stahlwerken im Donbass? Die sind keine einzige Patrone wert. Aber fahren lassen kann er sie auch nicht mehr, dann ziehn sie ihm daheim das Fell über die Ohren. Mein Gott, wenn er doch nur einen Plan gehabt hätte!
JE

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