aus beta.nzz.ch, 2.6.2015, 05:30 Uhr
Weniger Abhängigkeit im Maschinenbau
Russlands neue Revolution
Importsubstitution soll in Russland eine industrielle Revolution anschieben. Traditionelle Maschinenlieferanten aus der Schweiz und Deutschland wollen sich behaupten. Bern hilft ihnen, Berlin bremst.
von Benjamin Triebe, Moskau
Hier also soll es beginnen. Auf der Metalloobrabotka in Moskau, Russlands grösster Messe für Werkzeugmaschinen, war dieser Tage ein Wort immer wieder zu hören: Importsubstitution. Wegen der Ukraine-Krise, des Zerwürfnisses mit dem Westen und der Sanktionen will der Kreml mehr Waren im eigenen Land herstellen lassen, statt sie zu importieren. Damit das gelingt, muss Russland die Waren auch produzieren können. Das nimmt seinen Anfang bei Werkzeugmaschinen. Grob gesagt werden sie gebraucht, um Teile für jene Maschinen zu fertigen, die letztlich Güter herstellen. Russlands Importabhängigkeit ist hier immens, rund neun Zehntel der benötigten Produktionstechnik muss es derzeit einführen. Das zu substituieren, sei so, als wenn man einen Krieg gewinnen wolle, sagt ein russischer Unternehmer. «Aber im Krieg hat man einen Plan. Wir haben keinen.»
Grosser Nachholbedarf
Tatsächlich ist es mehr ein Ziel als ein Plan, was die russische Regierung Ende März für die neue industrielle Revolution vorgegeben hat. 18 Industriezweige sollen bis 2020 unabhängiger von Einfuhren werden, darunter neben der Werkzeugmaschinen- auch die Automobilindustrie, der Schiffbau und der Baumaschinensektor. Je nach Art der Maschinen beträgt die Importabhängigkeit heute bis zu 100%. Selbst die Regierung hält es nicht für möglich, den Anteil in irgendeiner Sparte in fünf Jahren auf weniger als 50% zu senken. Der Nachholbedarf ist zu gross, es fehlt notorisch an Fachkräften, und nun kommt auch noch die Wirtschaftsschwäche hinzu, die Investitionen einbrechen lässt. Auch aufgrund der Sanktionen sind Finanzmittel knapp – und der Staat will nur 16% jener 1500 Mrd. Rbl. (26,8 Mrd. Fr.), welche die Aufholjagd kosten soll, selbst zahlen. Den Rest sollen die Unternehmen auftreiben.
Importsubstitution klinge gut und fühle sich gut an, sagt Wladimir Smetana, Vorsitzender der Entwicklungskommission beim russischen Verband der Ingenieure, auf der Metalloobrabotka. Aber man habe keine Voraussetzungen für eine neue Industrialisierung, vor allem nicht in der Wirtschaftskrise und ohne Zugang zu Kapital. Swetlana Wislobokowa, Vizepräsidentin des Branchenverbandes Roszinkowanje, sieht ein weiteres Problem: Zwar gebe es staatliche Förderprogramme, aber die Unternehmen wüssten zu selten davon. Diese Programme müssten offener und transparenter sein. Stattdessen fühlen sich viele russische Firmen alleingelassen, wie auf der Messe zu hören ist.
Es wird also auch künftig nicht ohne Maschinenimporte gehen. Für traditionelle europäische Lieferländer wie Deutschland und die Schweiz ist das bei der gegenwärtigen Wetterlage aber nur ein schwacher Trost. Die deutschen Maschinenexporte nach Russland sind 2014 um 17% auf umgerechnet 6,7 Mrd. Fr. eingebrochen. Die Ausfuhr von Werkzeugmaschinen sank um 6% auf 505 Mio. Fr., Russland war immerhin der drittwichtigste Markt.
Auch im ersten Quartal hielt sich die Sparte besser als der Durchschnitt und steigerte die Ausfuhren zum Vorjahresquartal um 13% auf 123 Mio. Fr. In der Branche ist man allerdings skeptisch, ob dies ein Hoffnungszeichen ist. Erste Zahlen über die Auftragseingänge in diesem Jahr lassen nicht darauf schliessen. Russische Kunden aus vielen Branchen investierten wenig, sagt Klaus-Peter Kuhnmünch, Manager beim Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW). Doch sei der Modernisierungsbedarf gigantisch, man hoffe deshalb auf baldige Besserung.
Zu schaffen machen deutschen Herstellern ausserdem Probleme mit den eigenen Behörden wie dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Der Export von Maschinen, die sich theoretisch auch für militärische Zwecke nutzen liessen, muss bewilligt werden – und viele der russischen Kunden sind Mischkonzerne, die für den militärischen und den zivilen Bereich produzieren. Seit der Ukraine-Krise und den EU-Sanktionen würden Exportanträge nur quälend langsam oder gar nicht bearbeitet, ist von Unternehmern zu hören. Bewilligungen seien grundsätzlich sehr schwer zu erhalten.
Manche deutsche Firmen vermuten dahinter politisch motivierte Schikane. Potenzielle russische Kunden sprängen ab, weil sie das Risiko scheuten, ihre Bestellung nicht zu erhalten. Ganz offen mit Verweis auf «politische Gründe» hat jedenfalls das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin in diesem Jahr seine Unterstützung für den deutschen Auftritt auf der Metalloobrabotka verweigert. Trotzdem sind fast alle deutschen Aussteller der vergangenen Jahre, geschätzt rund 150, in Moskau erschienen.
Insgesamt waren auf der Messe über 900 Unternehmen vertreten. Immerhin 58 Firmen, und damit ebenfalls etwa so viele wie im Vorjahr, stammten aus einem Land, das sich weniger Zurückhaltung auferlegt als Deutschland: der Schweiz. Eine kleine Halle füllte der Auftritt der Werkzeugmaschinenhersteller aus der Eidgenossenschaft. Der Schweizer Botschafter, die im Staatsauftrag tätige Exportförderagentur und die staatliche Exportversicherung Serv markierten ebenfalls Präsenz. Exportversicherung und Exportfinanzierung sind bei Russland-Geschäften zu einem kritischen Faktor avanciert – wer hier Lösungen anbietet, hat Vorteile.
Die politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland seien gut und im Handel mit Werkzeugmaschinen keine Belastung, sagt Beat Brunner, Vertreter des Schweizer Branchenverbandes Swissmem. Für die Schweizer Hersteller war Russland 2014 der achtwichtigste Markt, auch wenn der Exporterlös um 10% auf 112 Mio. Fr. schrumpfte. Damit war die Sparte für rund einen Zehntel aller eidgenössischen Ausfuhren von Maschinen und Maschinenteilen nach Russland verantwortlich. Wie im Fall der deutschen Konkurrenz legte der Export von Werkzeugmaschinen entgegen dem Trend im ersten Quartal 2015 zu, nämlich um 12% auf 22 Mio. Fr. Auch auf Schweizer Seite will darin allerdings noch niemand eine Wende sehen.
Keine Probleme mit dem Seco
Mit der Erteilung von Exportbewilligungen haben die eidgenössischen Produzenten deutlich weniger Sorgen als ihre deutschen Kollegen. Während die EU jedweden Export von Dual-Use-Gütern für potenziell militärische Zwecke unterbinden will, hat Bern nur eine Handvoll Empfänger aus der Rüstungsbranche auf eine Verbotsliste gesetzt. Das bringt zwar Einschränkungen mit sich und verlangt von den Firmen mehr Nachweise. Die Unternehmen würden vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) aber fair behandelt, sagt Swissmem-Vertreter Brunner. Ihm seien keine Beschwerden zu Ohren gekommen. Die Einschränkungen haben laut Brunner keine einschneidenden Auswirkungen auf die Schweizer Werkzeugmaschinenhersteller.
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