Donnerstag, 18. Juni 2015

Jamnaja - unsere Wurzeln in der russischen Steppe.


aus Die Presse, Wien, 11.06.2015

Wir stammen aus der Steppe
Völkerwanderungen in der Bronzezeit prägten Eurasien.

Von Jürgen Langenbach

Vor etwa 60.000 Jahren wanderten erste Homo sapiens aus Afrika aus, durch die Levante, das haben Genanalysen gerade gezeigt, sie entschieden den Streit darüber, ob die Wanderung direkt nach Norden ging oder erst nach Osten, über die Arabische Halbinsel. Dann, vor etwa 45.000 Jahren, trennten sich die Eurasier von den Ostasiaten. So viel weiß man, später wird es unübersichtlich, unklar ist vor allem, wann und wie die Sprache entstand, deren Varianten heute von Island bis Indien geläufig sind: die indoeuropäische.

Zwei Hypothesen konkurrieren, die eine sieht den Ursprung in Anatolien, dort wurde vor 11.000 Jahren die Landwirtschaft erfunden, vor 7000 Jahren verbreitete sie sich nach Westen, lang war auch umstritten, ob Völkerschaften unterwegs waren („demische Diffusion“) oder sich nur die Kultur verbreitete: Es waren Völker, und sie verdrängten die ansässigen Jäger und Sammler bzw. nahmen sie genetisch in sich auf.

Aber brachten sie auch die indoeuropäische Sprache? In dieser gibt es viele Wörter, die sich auf Fahrzeuge mit Rädern beziehen, die gab es vor 7000 Jahren nicht. Vor 5000 Jahren gab es sie, in der Steppe, dem Gebiet zwischen Schwarzen und Kaspischem Meer, auch viele archäologische Hinweise deuten darauf, dass damals und von dort die nächste Wanderungswelle kam und unter anderem das Indoeuropäische mitbrachte.

Ob wirklich die Sprache so kam, wird man natürlich nie wissen, aber Menschen kamen in der Bronzezeit, das hat zu Jahresbeginn schon David Reich (Harvard) mit Genanalysen damaliger Menschen gezeigt, das zeigt nun noch einmal und verfeinert Eske Willerslev (Kopenhagen), er hatte 101 alte Skelette aus ganz Eurasien zur Verfügung: Demnach machten sich Mitglieder der in der Steppe nomadisierenden Jamnaja-Kultur auf den Weg nach Westen – und nach Osten, weit, das könnte erklären, warum auch in einer Enklave in China Indoeuropäisch gesprochen wird (Nature 10. 6.).
Auch Erbteil: Milchverträglichkeit
Dann gab es auch Rückwanderungen aus dem Westen, aus ihnen wuchs die Sintashta-Kultur im Ural, auch von ihr zogen Mitglieder nach Westen, die Gene zeigen es. Sie zeigen auch, dass von den Völkern Mittelasiens nichts blieb als ihre Gene im Westen, in ihrer Region wurden sie von Ostasiaten verdrängt. Den Westen hingegen prägten sie, ihm bescherten sie auch etwas, was man lang für ein Mitbringsel der Anatolier gehalten hat, die Genvariante, die (auch) Erwachsenen den Verzehr von Milch ermöglicht.

aus scinexx                                                                                                                                   Metallobjekte der Jamnaja

Wir sind Erben der Steppenreiter
Einwanderung von Reiternomaden aus Zentralasien brachte Bronzezeit-Europa voran

Folgenreiche Einwanderung: Vor rund 5.000 Jahren löste ein aus dem Osten kommendes Steppenvolk dramatische Veränderungen im bronzezeitlichen Europa aus. Denn die massenhafte Einwanderung der Jamnaja brachte unseren Vorfahren ihre Gene, Fertigkeiten und Sitten, wie Forscher im Fachmagazin "Nature" berichten. Die neuen Analysen helfen aber auch, die Herkunft eines rätselhaften Steppenvolks in Zentralasien zu lösen.

Neue Keramiken, andere Bestattungsriten und Wirtschaftsweisen - vor rund 5.000 bis 3.000 Jahren ereigneten sich in Europa und Zentralasien tiefgreifende kulturelle Umstürze. "Damals wurden die alten neolithischen Bauernkulturen von neuen abgelöst, die eine völlig andere Sicht von Familie, Eigentum und Person hatten", erklärt Studienleiter Kristian Kristiansen von der Universität Göteborg. Auch die Sprache änderte sich: Das Indoeuropäische setzte sich allmählich durch.

Was löste diesen Umschwung aus?

Was aber diesen Umschwung auslöste, ist bisher umstritten. Klar ist nur, dass das Genom der heutigen Europäer Einflüsse vieler umliegender Völker widerspeigelt. Kürzlich erst wies eine Studie sogar nach, dass die europäischen Männer auf nur wenige bronzezeitliche Urväter zurückgehen.

Kristiansen und seine Kollegen haben nun neues Licht in diese folgenreiche Phase der europäischen Geschichte gebracht. Sie analysierten die DNA von 101 menschlichen Überresten aus der Bronzezeit, die in Europa und Zentralasien gefunden wurden. "Dies ist die größte populationsgenetische Studie, die je an fossilen Überresten des Menschen durchgeführt wurde", sagt Kristiansens Kollege Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen.


Schädel eines bronzezeitlichen Jamnaja - der Tote wurde bei der Bestattung mit rotem Ocker bestäubt.

Migranten als Fortschrittsmotor

Das Ergebnis: Mitteleuropa erlebte in der Bronzezeit eine wahre Schwemme von Einwanderern, wie die Genanalysen zeigten. Denn die Jamnaja, ein Volk von Reiternomaden aus Zentralasien und dem Kaukasus, hat deutliche genetische Spuren in bronzezeitlichen Europäern hinterlassen. Sie waren es daher wahrscheinlich auch, die den kulturellen Wandel und die Entstehung der mitteleuropäischen Schnurbandkeramik-Kultur auslösten.

Dieses Ergebnis passt gut zu archäologischen Funden von Jamnaja- Grabhügeln entlang der unteren Donau. Auch DNA-Analysen heutiger Europäer hatten bereits Hinweise erbracht, dass Gene aus Zentralasien eine entscheidende Rolle sogar für unser heutiges Aussehen gespielt haben könnten. Nach Meinung einiger Linguisten spricht zudem einiges dafür, dass dieses Reitervolk aus der eurasischen Steppe sogar die Urform der Indoeuropäischen Sprache mitbrachte.

Kam die Laktose-Toleranz von den Reiternomaden?

Die Genvergleiche brachten auch Überraschendes. Denn sogar die Fähigkeit, Laktose zu verdauen, könnten wir den Jamnaja verdanken. Dank eines in unserem Darm produzierten Enzyms, der Laktase, können die meisten Europäer Milchzucker problemlos verdauen. "Bisher dachte man, dass sich diese Fähigkeit im Nahen Osten oder auf dem Balkan entwickelte und dann mit den ersten Bauern in der Jungsteinzeit nach Europa kam", sagt Koautor Martin Sikora von der Universität Kopenhagen.


Die Einwanderung der Jamnaja und ihr Einfluss ließen auch die europäische Schnurkeramik-Kultur entstehen.

Doch wie die Forscher feststellten, fehlte den meisten Europäern der frühen Bronzezeit diese entscheidende Mutation noch. Erst nach der Einwanderung der Reiternomaden aus dem Osten breitete sich das für die Laktase zuständige Gen in der europäischen Bevölkerung aus. "Wir vermuten daher, dass dieses Gen erst mit den Jamnaja-Viehzüchtern nach Europa kam und sich dann langsam verbreitete", so Sikora.

Rätsel der Steppenstädte gelöst

Der Einfluss der Jamnaja reichte aber noch weit über Mitteleuropa hinaus, wie die Genanalysen zeigten: Ihre Gene prägten auch die tausende Kilometer weit entfernt lebende Afanasievo-Kultur - ein Volk, das in der frühen Bronzezeit am sibirischen Altai lebte. "Die Migrationen der Jamnaja resultierten demnach in einem Genfluss über gewaltige Distanzen", sagen die Forscher. "Ihr Einfluss reichte vom Altai in Sibirien bis in das Skandinavien der frühen Bronzezeit."

Die Genanalysen helfen auch, ein weiteres Geheimnis der Bronzezeit zu lüften. Denn sie zeigen, woher die rätselhafte Kultur der Sintashta kam. Dieses Volk errichtete schon vor rund 4.000 Jahren am Ural große Städte und fertigte ungewöhnlich kunstvolle Waffen und Schmuckstücke an. Sie gelten zudem als die versiertesten Pferdezüchter ihrer Zeit.

Die neuen Daten enthüllten, dass die Sintashta nicht wie zuvor angenommen aus Zentralasien oder Ostasien stammten. Stattdessen gingen sie aus einer Vorgängerkultur am Ural hervor, die genetisch europäische Wurzeln hatte. Erst in der späten Bronzezeit und zu Beginn der Eisenzeit wanderten dann ostasiatische Völker nach Zentralasien ein und prägten die dort noch heute vertretene Population. (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature14507)

(Nature, University of Copenhagen, 11.06.2015 - NPO)



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