Russlands «zweites Yukos»
Kampf gegen den Kreml lohnt sich nicht
Nach der Verstaatlichung des Erdölkonzerns Bashneft geht es zurück zum Tagesgeschäft. Russische Unternehmer lernen: Wer den Staat gegen sich hat, kann sich nur retten, wenn er nicht kämpft.
Putins von Benjamin Triebe, Moskau
Fast wirkt es, als sei nichts passiert. Der russische Erdölkonzern Bashneft hat für das erste Quartal einen Anstieg der Förderung auf einen Rekordwert von durchschnittlich 382 000 Fass pro Tag gemeldet. Bashneft setzte damit einen seit Jahren andauernden Wachstumstrend fort; Russlands inzwischen sechstgrösster Erdölproduzent holt heute 40% mehr von dem «schwarzen Gold» aus dem Boden als Anfang des Jahres 2010. Abseits des Tagesgeschäfts vollzog sich allerdings ein Erdbeben. Ende 2014 zwang der russische Staat mit einem als konstruiert geltenden Gerichtsverfahren den Hauptaktionär von Bashneft, das Konglomerat AFK Sistema, seine Anteile an ihn abzutreten. Gegen den Haupteigner von Sistema, den heute 66-jährigen Milliardär Wladimir Jewtuschenkow, ermittelten die Behörden wegen Geldwäscherei und stellten ihn unter Hausarrest.
Kein neuer Chodorkowski
Vergleichbares war zuletzt vor rund einer Dekade mit der Zerschlagung des Yukos-Konzerns von Michail Chodorkowski geschehen. Allerdings fehlte dem Bashneft-Prozess immer die politische Komponente. Anders als Yukos-Chef Chodorkowski, der für Jahre in Straflager gesperrt wurde, hegte Jewtuschenkow nie politische Ambitionen und war keine Gefahr für Präsident Wladimir Putin. Auch schien Jewtuschenkow zu wissen, dass er gegen die vom Kreml gelenkte Justiz nicht gewinnen kann – und versuchte es gar nicht erst. Die Verstaatlichung vollzog sich ohne grosse Gegenwehr, Sistemas Anwälte verzichteten im November zur Überraschung vieler Beobachter auf eine Berufung.
Nach einer kleinen Kapitalherabsetzung kontrolliert die russische Regierung nun 75% von Bashneft. Im Laufe des Jahres wird sie wohl 25% an die Teilrepublik Baschkortostan abtreten, wo Bashneft sein Erdöl fördert. Dieser Aktientransfer wäre nicht ohne Ironie: Die Ermittler gründeten ihr Verfahren gegen Sistema auf dem Vorwurf, dass jene Firmen, die heute Bashneft formen, Anfang der neunziger Jahre unrechtmässig von Regierungseigentum in den Besitz der Teilrepublik übertragen worden seien. Baschkortostan privatisierte dann die Unternehmen ohne Ermächtigung, so die Staatsanwaltschaft. Nutzniesser war ein Vehikel namens Ural-Invest, geführt von Ural Rachimow, dem Sohn des damaligen Gouverneurs von Baschkortostan. Ural-Invest verkaufte die Vorgängerfirmen von Bashneft bis 2009 weiter an Sistema – und erst 2014 dachten sich plötzlich die russischen Behörden, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Sistema wusste offenbar, in welchem Rechtsstreit es bessere Chancen hat: Nach dem Verlust von Bashneft verlangte das Konglomerat von Ural-Invest Wiedergutmachung. Dasselbe Moskauer Handelsgericht, das Sistema die Bashneft-Anteile weggenommen hatte, gab diesem Begehren im Februar statt und verurteilte Ural-Invest zur Zahlung von 70,7 Mrd. Rbl. (1,3 Mrd. $). Allerdings kamen Zweifel auf, ob das Vehikel überhaupt über so viel Kapital verfügt. Ende März einigten sich die Kontrahenten schliesslich auf eine Zahlung von 46,5 Mrd. Rbl. (843 Mio. $). Im April wurde überraschend eine zweite Vereinbarung unterzeichnet, wonach Sistema weitere Kompensationen im Wert von umgerechnet 231 Mio. $ erhalten soll.
Milde für den Magnaten
Jewtuschenkows Hausarrest wurde bereits im Dezember aufgehoben. Präsident Putin sagte, alle Vorwürfe gegen den Manager seien fallengelassen worden. Inzwischen kann der sich nach eigener Aussage sogar vorstellen, ins Erdölgeschäft zurückzukehren. Darüber hinaus scheint der Staat auf die angedrohte Forderung zu verzichten, alle jemals von Bashneft an Sistema gezahlten Dividenden zurückzufordern – ein Betrag von umgerechnet 2,2 Mrd. $, wie die Rating-Agentur Moody's Investor's Service schätzt. Stattdessen hat Moskau nach russischen Berichten die Auslieferung von Ural Rachimow aus Österreich beantragt, wo der sich seit mehreren Jahren aufhalten soll. Gegen ihn wird wegen Veruntreuung und Geldwäscherei ermittelt.
Damit zeichnet sich ab, worum es bei dem Bashneft-Prozess wirklich ging: Weniger um die Bestrafung von Jewtuschenkow oder den Todesstoss für Sistema, sondern um die staatliche Kontrolle über einen kleinen, aber schnell wachsenden Konzern, der in der für den Kreml als strategisch wichtig geltenden Erdölbranche tätig ist. Solch ein Gerangel um Bashneft hatte es 2007 schon einmal gegeben. Die russische Geschäftswelt lernt daraus dreierlei. Erstens dürfen selbst Magnaten wie Jewtuschenkow, die eigentlich mit Putin gut standen, sich nicht sicher fühlen. Zweitens ist auf das russische Rechtssystem auch heute kein Verlass, wenn staatliche Interessen tangiert werden. Drittens kann die totale Niederlage nur vermeiden, wer nicht kämpft und deshalb Milde erfährt.
Was Moskau mit der Kontrolle über Bashneft anfangen will, ist derweil noch ein Geheimnis. Spekuliert wurde, Aktien könnten an den Branchenprimus, den staatlich kontrollierten Erdölkonzern Rosneft, weitergereicht werden – ähnlich, wie dies einst mit den wichtigsten Teilen von Yukos geschah. Rosneft-Chef Igor Setschin gilt nicht nur als einflussreicher Vertrauter von Präsident Putin, sondern auch als wichtiger Strippenzieher hinter der Yukos-Zerschlagung. Doch bis heute ist nichts in dieser Richtung geschehen. Im März sagte Bashneft-CEO Alexander Korsik, es werde noch nicht einmal über gemeinsame Projekte mit Rosneft diskutiert.
Der Niedergang des Erdölpreises, der heute 40% tiefer liegt als vor einem Jahr, veranlasst Bashneft nicht zu Kürzungen; die Förderung soll weiter ansteigen. Wie Bashneft am Montag mitteilte, sank der Gewinn im ersten Quartal 2015 unter dem neuen Haupteigentümer auf 11,4 Mrd. Rbl. (204 Mio. $), 18% weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Rubel-Zerfall belastete, Bashneft musste Schulden höher veranschlagen und mehr Zinsen zahlen. Im Gesamtjahr 2014 resultierte bei einem Umsatz von umgerechnet 11,6 Mrd. $ ein Gewinn von 789 Mio. $ (–7%).
Einfluss der Regionalpolitik?
Der vertikal integrierte Konzern verdient mit dem Raffineriegeschäft ebenso viel wie mit der Ölproduktion. Allerdings konzentriert er sich mit seinen Projekten auf Baschkortostan. Nun sieht es so aus, als möchte die Regionalregierung in Ufa, die wie erwähnt ein Viertel der Aktien erhalten könnte, an den Dividenden teilhaben und mehr Einfluss ausüben. Dabei war Baschkortostan erst nach dem Verkauf von Bashneft etwas zu alter Grösse zurückgekehrt: Sistema investierte in eine Modernisierung der Technologie, was die Förderung ab dem Jahr 2010 wieder steigen liess (vgl. Zusatz).
Im laufenden Jahr möchte Bashneft rund 19 Mio. t Erdöl gewinnen. Das entspricht etwa 4% der gesamten russischen Produktion, die ungeachtet des Preiszerfalls unverändert auf einem postsowjetischen Rekordniveau von 10,7 Mio. Fass pro Tag liegt. Analytiker der Sberbank sind besorgt, Bashneft könnte von den Regionalbehörden gezwungen werden, wirtschaftliche Ziele hintanzustellen, um beispielsweise möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen. Sie erinnern an das Schicksal des Erdölkonzerns Tatneft, den wichtigsten und nur teilprivatisierten Erdölproduzenten der Region Tatarstan.
Weniger politische Einflussnahme muss jetzt AFK Sistema fürchten, die zu 64% von Milliardär Jewtuschenkow kontrollierte Dachgesellschaft und nach eigenen Angaben grösste börsenkotierte Holding in Russland. Nach dem Verlust von Bashneft ist Sistema hauptsächlich auf den Konsumsektor zurückgeworfen, in dem es zuvor gross geworden war. Die wichtigsten Beteiligungen sind eine Mehrheit am Mobilfunkanbieter MTS sowie die Kinder-Kaufhauskette Detski Mir. Im Dezember musste Sistema für den Verlust von Bashneft 5 Mrd. $ abschreiben; insgesamt fiel deshalb 2014 bei einem Umsatz von 15,9 Mrd. $ ein Verlust von 4,1 Mrd. $ an.
Kein Frust bei Sistema
Von anhaltender Frustration ist bei Sistema aber nichts zu spüren. Am Mittwoch meldete das Konglomerat Zahlen für das erste Quartal. Bashneft herausgerechnet, stieg der neu in Rubel berechnete Umsatz zum Vorjahreszeitraum um 17% auf 167,7 Mrd. Rbl. (3,1 Mrd. $), während sich der Gewinn auf umgerechnet 587 Mio. $ etwa verdreifachte. Sistema möchte sogar auf Einkaufstour gehen – und wird sich wohl auf harmlose Firmen konzentrieren. Auf wachsende Konsumausgaben lässt sich in Russland ungefährlicher wetten als auf das Rechtssystem.
Auf und Ab in Baschkortostan
bet. ⋅ Die russische Teilrepublik Baschkortostan stand lange Zeit im Schatten Bakus und Grosnys, wo die Erdölproduktion in diesem Teil der Welt ihren Anfang genommen hatte. Erst in den 1930er Jahren trieben die Sowjets die Förderung in Baschkortostan am Ural voran. Die Ansiedlung von zahlreichen Betrieben, die im Zweiten Weltkrieg nach Osten verlegt wurden, erleichterte den Aufbau einer petrochemischen Industrie. Die Entdeckung grösserer Vorkommen liess Baschkortostan nach dem Krieg vorübergehend zur wichtigsten Förderregion aufsteigen und brachte ihr den Spitznamen «zweites Baku» ein. 1967 wurde eine Produktion von jährlich 48 Mio. t erreicht, doch die Erschöpfung leicht zugänglicher Reserven und Kapitalmangel sorgten für einen Rückgang auf bis zu 10 Mio. t in den 1990er Jahren. Die Produktion erholte sich seither etwas, aber Russlands Erdölzentrum liegt inzwischen längst in Westsibirien.
Nota. - Der angemessene politische Rahmen für den feudalmafiösen Übergang zum Kapitalismus ist der Putin'sche Absolutismus. Die Jelzin-Episode war ein Fin de règne, wo die alten Gesetze nichts mehr galten und neue noch nicht etabliert waren. Jeder konnte sein Glück versuchen, der Zocker Chodorkowski sowohl als die Magnaten des Alten Systems. Jeder hat sein Ding auf eigne Art gedreht, es eint sie nichts, und so stehen sie nackt und bloß jeder einzeln dem Sonnenkönig Butin gegenüber. Dessen Macht besteht in der Zersplitterung seiner möglichen Gegner. So wie Ludwig XIV. den französischen Adel in Versailles an die Leine legte, nachdem er einige von ihnen zur Warnung hatte über die Klinge springen lassen, macht es nun Putin mit seinen Oligarchen.
JE
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