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aus Tagesspiegel.de, 29. 6. 15, 08:48 Uhr
Sonderschau zum "Steinzeittraktor"
Antrieb für die frühe Landwirtschaft
Von Mathias Orgeldinger
Die Erfindung des Rades,* so heißt es, sei eine der größten Errungenschaften in der Geschichte der Menschheit. Was jedoch oft verdrängt wird: Der entscheidende Kulturschub kam erst durch die Nutzung der tierischen Zugkraft. Wer zwei Rinder vor einen Hakenpflug spannt, vergrößert die Ackerfläche, die er bisher mit dem Grabstock aufgebrochen hat, um den Faktor 100. „Der große Fortschritt bestand darin, Tiere so zu bändigen, dass sie zum Traktor wurden“, sagt der Archäologe Bernd Zich vom Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale. Die folgenschwere Geschichte von der „Erfindung des Traktors“ ist derzeit in einer Sonderausstellung in der „Arche Nebra“, dem Museum am Fundort der Himmelsscheibe zu sehen. Sie spannt einen Bogen vom Rindergespann der Jungsteinzeit bis zum klimatisierten Hochleistungstraktor unserer Tage.
Großformatige Comicbilder führen den Besucher von einem Aha-Erlebnis zum nächsten. War es wirklich die Liebe, die den Stier zum Pflügen brachte? Oder nur die viel beschworene Bauernschläue? Ist es ratsam, die Ochsen nach getaner Arbeit zu massieren? Zugegeben, die Ausstellungsmacher werden nicht alle Fragen beantworten, die sie mit einem Augenzwinkern gestellt haben. Aber das Nachdenken über den „Steinzeittrecker“ könnte zu einer der wenig beachteten Wurzeln unserer Kultur führen. Wie grundlegend ist die Ernährung, und wie wenig sind wir gerade in Deutschland bereit, dafür zu zahlen?
Bauern aus dem heutigen Ungarn drangen ins Land der Jäger und Sammler vor
Die Geschichte des Ackerbaus in Mitteleuropa ist schnell erzählt. Um 5500 v. Chr. trafen Bauern aus der ungarischen Tiefebene auf die einheimischen Jäger und Sammler. Sie brachten domestizierte Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen mit, sowie Emmer, Einkorn, Linsen und Erbsen. Vermutlich auch Infektionskrankheiten, die sich aus dem engen Kontakt von Mensch und Haustier entwickelt hatten. Die Einwanderer aus dem Osten lebten in 40 Meter langen Häusern und kochten Getreidebrei in verziertem Tongeschirr, das der Kultur ihren Namen gab: „Linienbandkeramik“. Leider erzählen die Scherben nicht, ob die Migranten von der einheimischen Bevölkerung angefeindet, ignoriert oder bewundert wurden.
Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. zwangen die Menschen erstmals Rinder unter das Joch. Vermutlich fanden sie auch schnell heraus, dass man einen wilden Stier mittels Kastration zum zahmen Ochsen machen kann, und dass Herdentiere nicht gern allein unterwegs sind. Rasch setzten sich Rindergespanne durch. Sie zogen eine Stangenschleife (den Urahn eines Wagens, noch ohne Rad), einen einfachen Wagen oder einen Hakenpflug. Dieser kann den Boden allerdings nicht wenden, sondern nur Furchen ziehen. Um die Erde vollständig aufzulockern, musste das Feld rechtwinklig zu den Furchen ein zweites Mal gepflügt werden. Das dabei entstehende Schachbrettmuster wurde bei Ausgrabungen von prähistorischen Ackerflächen nachgewiesen.
Zwei Ochsen unterm Joch - ein wertvolles Kunstwerk, ein Kultgegenstand?
Weil die Rindergespanne das bäuerliche Leben nachhaltig veränderten, hielten sie Einzug in die religiöse Vorstellungswelt. So fand man im polnischen Bytyn die plastische Darstellung zweier Rinder, die durch ein starres Nackenjoch verbunden sind. Die stilisierten Zugtiere bestehen aus Kupfer, einem Material, das Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. in Mitteleuropa noch so wertvoll war, dass es in der Regel kultischen Gegenständen vorbehalten blieb. In Nordeuropa legte man „Wagengräber“ mit Rindergespannen und Radfahrzeugen an – und zudem mehr als 25 000 Megalithgräber, bei deren Bau oft tonnenschwere Steine bewegt wurden. Auch sie sind ein Beleg für die wachsende Bedeutung der „Rindertraktion“.
Erst mit der Erfindung des Verbrennungsmotors bekamen Zugtiere in der Landwirtschaft ernsthafte Konkurrenz. Der „Fordson F“, von Henry Ford ab 1917 in Serienproduktion hergestellt, gilt bis heute als der meistverkaufte Traktor der Welt. Stellvertretend für die „Trecker-Evolution“ sind im Foyer der Arche Nebra drei Oldtimer ausgestellt, darunter der „Lanz Acker-Bulldog HR 7“.
Die Sonderausstellung ist noch bis zum 1. November zu sehen in der „Arche Nebra“, An der Steinklöbe 16, 06642 Nebra. Weitere Informationen finden Sie hier.
Nota. - Seine umwälzende Bedeutung hat das Rad erst im 19. Jahrhundert durch seine Verbindung mit der Dampfmaschine und eisernen Gleisen, sowie im 20. Jahrhundert durch das Automobil gewonnen: Zuvor gab es gar nicht genügend befestigte Wege, die den umfassenden Einsatz von Radfahrzeugen erlaubt hätten. Der wichtigste Transportweg blieb das Wasser. Erst die große Industrie des 19. Jahrhunderts hat Eisenbahnnetze und Straßenbau im großen Maßstab ermöglicht.
JE
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