Sonntag, 20. September 2015

Der Untergang einer Zivilisation.

aus Die Presse, Wien, 20. 9. 2015                                                  Invasion der Seevölker in ägyptischer Darstellung

Die griechische Wirtschaft ist am Ende
Im zwölften Jahrhundert v. Chr. kam es im östlichen Mittelmeerraum zum Zusammenbruch einer florierenden Staatenwelt. Die Geschehnisse lassen Parallelen zur Gegenwart erkennen.

von Martin Kugler

Die griechische Wirtschaft ist am Ende. In Libyen, Syrien und Ägypten kam es zu revolutionsartigen Aus-schreitungen, die Türkei befürchtet, in die Konflikte hineingezogen zu werden. Jordanien ist überfüllt mit Flüchtlingen, der Iran übt sich in Drohgebärden, im Irak geht es drunter und drüber. Sie glauben, dies seien ein paar Schlagzeilen aus aktuellen Nachrichten? Das stimmt zwar, aber genau so war die Situation bereits vor mehr als 3000 Jahren“, schreibt der US-Archäologe Eric H. Cline in seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch „1177v. Chr.– Der erste Untergang der Zivilisation(336 S., Theiss, 30,80 €). Die Jahreszahl ist symbolisch gemeint: Damals blieben die Ägypter (als einziges Volk) siegreich über die sogenannten Seevölker, die im ganzen östlichen Mittelmeerraum eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatten.


In diesen Jahren gingen mächtige Reiche zugrunde: Hethiter, Kanaaniter, Mykene, Zypern, auch Troja, Megid-do oder Ugarit fielen wüst. Es war das jähe Ende „eines der goldenen Zeitalter der Weltgeschichte – als früheste Epoche, in der es eine florierende globalisierte Wirtschaft gab“, so Cline. Die Reiche standen mehrere Jahrhun-derte lang in engem Kontakt, sie trieben Handel, unterhielten diplomatische Beziehungen und verhängten auch schon einmal ein Wirtschaftsembargo.
Binnen weniger Jahrzehnte brach dieses System zusammen, und zwar, wie Cline ausführt, nicht etwa, weil die Seevölker so übermächtig gewesen wären, sondern wegen einer Verkettung vieler Umstände: Es gab Serien von Erdbeben, Dürrekatastrophen, Aufständen, Invasionen. Jeder Faktor für sich allein wäre keine ausreichende Erklärung für den Zusammenbruch, meint Cline. Aber die Faktoren hätten sich wohl gegenseitig verstärkt und so in die Katastrophe geführt, mutmaßt er.
Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht, es zeigen sich aber wiederkehrende Muster – etwa der Aufstieg und Fall von Zivilisationen. Es gibt kein überzeugendes Argument, dass das mit unserer „westlichen“ Kultur anders sein sollte. „Es könnte durchaus sein, dass wir heute anfälliger sind, als wir vielleicht glauben“, so Cline. Er zieht aber auch eine tröstlichere Lehre aus der Geschichte: Nach dem Zusammenbruch habe es Raum für Neues, für innovative Ideen gegeben, etwa für das Alphabet, die monotheistische Religion oder die Demokratie.
Darüber nachzudenken, anstatt angesichts der heutigen Misere in Trübsal zu verfallen, ist jedenfalls lohnend!
Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.



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