aus Die Welt, 28.09.15
"Mohammed kannte als Kind keine Liebe"
In seinem neuen Buch beschreibt der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad den Propheten als paranoid und mörderisch. Der Islamische Staat sei das legitime Kind des Religionsstifters
Die Welt:
Sie sagen, Sie würden den islamischen Propheten Mohammed gern endgültig begraben. Was meinen Sie damit?
Hamed Abdel-Samad:
Mohammed starb zwar vor 1400 Jahren, aber wirklich begraben wurde er nie. Er gehört nach wie vor zu den mächtigsten Menschen im 21. Jahrhundert. Er herrscht noch immer und ist Vorbild für 1,4 Milliarden Muslime, friedliche wie gewaltbereite. Alle beziehen ihre Legitimation aus seinen Texten und überlieferten Taten. Seine Regeln werden sogar von Nichtmuslimen befolgt: Er darf nicht kritisiert oder gezeichnet werden. Und wir machen mit. Ich sehe das nicht ein. Mohammed und das, was er getan hat, wurde nie kritisch untersucht. Niemand traut sich, ihn als Menschen in seiner Zeit zu betrachten mit all seinen Schwächen, Krankheiten, Zweifeln und Selbstzweifeln. Es wird Zeit, mit ihm abzurechnen und ihn in seiner Zeit zu begraben. Er hat diese Verehrung nicht verdient, und er hat auch diese Macht im 21. Jahrhundert nicht verdient.
Sie gehen hart mit dem Propheten ins Gericht, nennen ihn einen "krankhaften Tyrannen", einen "Narzissten", "Paranoiker" und sogar "Massenmörder". Das wird vielen auch moderaten Muslimen nicht gefallen ...
Ich gehe von einer multiplen Krankheit aus, die aus seiner persönlichen Geschichte resultiert und die die Muslime absorbiert haben. Narzissmus und Paranoia haben ihren Ursprung sehr oft in Minderwertigkeitsgefühlen, Zurückweisungen, Ablehnung. Mohammed ist als Kind oft zurückgewiesen worden. Den Vater kannte er nicht, die Mutter gab ihn weg und starb, als er sechs Jahre alt war. Er hatte keine Leitbilder, kannte keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keine Anerkennung. So bildete sich eine Persönlichkeit, die unter Kontrollzwang, Verlustängsten und Paranoia litt. Das erklärt auch, dass Mohammed so viele Frauen geheiratet und sie wie Puppen gesammelt hat. Sein Geltungsbedürfnis war auch ursächlich dafür, eine göttliche Offenbarung zu empfangen. Er hat bestimmt nicht gelogen oder abgeschrieben. Er hatte wirklich eine Eingebung, die er aber nur hat empfangen können, weil er in einer so labilen Verfassung war. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht.
Aber danach war sein Erfolg, das Offenbarte unter die Leute zu bringen, zunächst bescheiden.
Genau, er war am Anfang nicht erfolgreich, obwohl die ersten Koranpassagen sanft und friedvoll gewesen sind. Zusammenleben, Toleranz, Rücksichtnahme – niemand war davon beeindruckt. Dann änderte er seine Strategie – und auch die Sprache ändert sich. Mohammed schließt Kriegsbündnisse, im Schatten des Schwertes kam der Erfolg. Erst als Kriegsbeute in Aussicht stand, wurde der Islam auch zu einem ökonomischen Projekt, das immer mehr Anhänger fand. Viele Kriegsfürsten, die Mohammed früher bekämpft hatten, hielten nun zu ihm, weil sie auf das siegreiche Pferd setzen wollten.
Das ist Ihr persönliches Bild des Propheten. Sie nutzen und interpretieren aber die gleichen Quellen, die Sie eigentlich kritisieren. Wie passt das zusammen?
Alles ist in den Quellen enthalten, einiges wurde vertuscht, anderes mystifiziert, wieder anderes hinzugefügt. Ich versuche nur, die Spreu vom Weizen zu trennen. Es gibt Geschichten, die man nicht erfinden kann oder deren Erfindung keinen Sinn macht. Daraus leite ich ab, was Mohammed beschäftigt, besorgt, geängstigt haben mag. Es entsteht also ein sehr menschliches Bild des Propheten.
Viele werden Sie der Blasphemie zeihen ...
Das ist in Ordnung. Die Fundamentalisten und Konservativen rufen das. Aber ich nenne es Vernunft. Historisch-kritische Lesart. Andere trauen sich nicht, sie rechtfertigen lieber und reden schön. Sie sagen: "Ja, Mohammed hat vielleicht 900 Juden an einem Tag getötet. Damals war das ganz normal." Wirklich? Welcher Stamm hat damals 900 Menschen an einem Tag getötet? Keiner, denn es war gängige Praxis, Gefangene gegen Lösegeld freizulassen. Hat Mohammed etwa seine Töchter verheiratet, als sie sechs Jahre alt waren? Kaum. Ich glaube vieles nicht. Ich versuche, aus vielen Puzzleteilen ein Gesamtbild zu erstellen.
Im Moment ist es aber doch so, dass jeder sich seinen eigenen Reim auf den Propheten macht, sich herauszieht, was für ihn nützlich ist. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe nichts mit dem wahren Islam zu tun, hört man immer wieder. Aber stimmt das denn?
Diese Behauptung ist nicht nur irreführend, sondern gefährlich. Das würde ja bedeuten, dass wir den Islam so lassen können, wie er ist. Der IS macht nichts, was Mohammed in seiner Zeit nicht auch getan hat. Er zieht aus den historischen Texten für jede seiner Taten eine religiöse Legitimation. Ob Enthauptungen, Versklavung, Vergewaltigung, Ehe mit Minderjährigen, die Vertreibung von Juden und Christen – für alles lassen sich entweder im Koran oder in den Hadithen (Überlieferungen der Taten und Aussagen Mohammeds) Belege finden.
Aber wie steht es mit Massenmord an Glaubensbrüdern? Wo findet sich das in den tradierten Texten?
Nirgends, aber der IS betrachtet seine muslimischen Opfer nicht als Glaubensbrüder, sondern als Apostaten, die vom wahren Glauben abgefallen sind.
Dann lässt sich alles in den Propheten hineininterpretieren und alles rechtfertigen.
Ich könnte sagen, dass die Terroristen vom IS Mohammed missverstanden haben und fehlinterpretieren, wenn aus den authentischen Quellen und Texten herauszulesen wäre, dass Mohammed ein Mönch gewesen ist, der unter einer Palme seine Botschaft verkündet hat, dann friedlich gestorben ist, und die Menschen nach seinem Tode eine Religion begründet haben, die dann missbraucht wurde. So war es aber nicht. Mohammed war Kriegsherr, er hat das Gleiche getan, was die IS-Terroristen heute tun. Es ist die Geisteshaltung Mohammeds, der den Menschen misstraute, die sich bis heute erhalten hat. Die Geisteshaltung eines größenwahnsinnigen Narzissten, der einen inneren Kreis von Gefolgsleuten definiert und alle, die außerhalb dieses Kreises stehen, als Feinde betrachtet, die ausgelöscht gehören. Der IS ist das legitime Kind von Mohammed, in Wort und Tat. Niemand versteht Mohammed so gut wie der IS. Genau wie die Religionspolizei in Saudi-Arabien, die Fanatiker in Indonesien, Boko Haram in Nigeria, al-Schabab in Somalia und die Hamas im Gazastreifen. Sie stammen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten, berufen sich aber alle auf die gleichen multiplen Krankheiten des Propheten und damit auch seiner Religion.
Sie wollen die Menschen aus der Reserve locken, das ist Ihnen ja mit Ihren bisherigen Büchern auch schon gelungen. Diesmal aber gehen Sie den Propheten direkt an. Haben Sie nicht die Befürchtung, alle zu verprellen, also auch jene aufgeklärten Muslime, die vielleicht empfänglich für Ihren Denkansatz wären?
Ich mache ganz andere Erfahrungen. Die wesentlichen Thesen des Buches habe ich in mehreren Internetvorlesungen auf Video aufgenommen und bei YouTube eingestellt. Allein in den vergangenen drei Monaten haben 1,1 Millionen Menschen in der arabischen Welt das angesehen. Beschimpfungen und Bedrohungen bin ich gewohnt. Aber ich war überrascht, wie viel Zuspruch ich bekam. Es gibt einen Diskurs, und das ist ein Zeichen dafür, dass die Muslime in der arabischen Welt bereit sind für eine offene Auseinandersetzung über ihre Religion und ihren Propheten. In der Diaspora, die sich den Luxus gönnt, ein romantisiertes Bild vom Islam aufrechtzuerhalten, ist der Diskussionsbedarf nicht groß. Im Westen ist man immer noch der Meinung, eine schützende Hand über die Muslime halten zu müssen.
Sie wollen also eine Erweckung, eine Reformation, die mit einem Tabubruch einhergeht?
Es gibt das Phänomen der Aufklärung durch Verstörung. Ich möchte, dass die Islam- und Mohammed-Kritik zu einer Normalität wird. Niemals würde man einem Christen solche Fragen stellen, der ein Buch "Jesus – eine Abrechnung" vorlegt. Niemand käme auf die Idee, den Autor zu fragen, ob er nicht fürchte, zwei Milliarden Christen vor den Kopf zu stoßen. Die Tatsache, dass mir diese Fragen gestellt werden, ist die beste Legitimation für das Buch. Ich will erreichen, dass kein Autor oder Zeichner um sein Leben fürchten muss, nur weil er eine Figur kritisiert, die vor 1400 Jahren gestorben ist.
Sind die Christen gegenüber den Muslimen im Vorteil?
Ja, weil Jesus dazu einlädt, Gutes zu tun, und man mit Fug und Recht behaupten kann, dass die Kreuzritter die Lehre Jesu missbraucht haben, weil Jesus niemals einen Feldzug geführt und niemals irgendjemanden enthauptet hat. Drei Kernaussagen des Christentums sind: 1. "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat." 2. "Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." 3. "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" Daraus kann man ohne Probleme eine humanistische Lehre entwickeln. Die religiösen Regeln wurden von Menschen geschrieben, sie haben nicht diese Immunität wie im Islam.
Kann der Reformprozess damit beginnen, dass die Muslime über sich selbst lachen können müssen?
Ja, aber das geht nur, indem man die Menschen herausfordert. Im Moment bestimmen die Fundamentalisten die Regeln. Sie sagen, man darf über Mohammed so nicht schreiben. Und wir nehmen das an. Ich bin ein freier Mensch, und ich habe dafür teuer bezahlt. Ich nehme die Freiheit ernst. Und ich bin darin kompromisslos. Viele hassen mich dafür. Aber es gibt auch viele, denen ich eine Stimme gebe. Ich suche nicht nach Verbündeten, ich war immer allein. Und ich rege mich auch nicht auf über die Fundamentalisten, die mich töten wollen. Ich rege mich über die vermeintlich liberalen Muslime und Deutschen auf, die mir sagen, du gehst zu weit. Ich lebe unter Polizeischutz und fürchte um mein Leben – aber ich gehe zu weit? Haben wir uns so weit umdrehen lassen von der Logik der Fundamentalisten?
Oder ist es Angst vor der Gewalt der Islamisten, vorauseilender Gehorsam angesichts auch einer neuen Masseneinwanderung nach Deutschland?
Vielleicht, aber es ist falsch. Deutschland läuft Gefahr, den Fehler zu wiederholen, den es mit den Gastarbeitern und deren Kindern gemacht hat. Damals scheute man sich, aus kultureller Sensibilität einzugreifen, wollte die Einwanderer nicht bevormunden. Aber heute muss man doch die Frage stellen: Wovor fliehen die Menschen? Sie fliehen doch genau vor dieser islamischen Geisteshaltung, vor dem Hass auf Andersdenkende und "Ungläubige", vor einer Ideologie, die sich über Jahrhunderte verfestigt hat. Und dann kommen sie hierher, und wir sind nicht in der Lage, ihnen zu sagen, dass sie das, wovor sie geflohen sind, hier nicht wiederbeleben können? Es hat doch einen Grund, dass die Menschen nach Deutschland, ins Land der "Ungläubigen" flohen und nicht nach Mekka ins Herz des Islam. Der Grund ist, dass Deutschland eine freie und offene Gesellschaft hat, in der die Menschen frei forschen und denken können. Deswegen lebt Deutschland heute in Sicherheit und Wohlstand.
Was macht die Politik falsch?
Sie hofft auf Schützenhilfe der Islamverbände, die mit staatlichen Geldern islamische Kindergärten, Schulen und Moscheen bauen und die Flüchtlingskinder indoktrinieren wollen. Irgendwann werden die heranwachsenden Muslime dann das Gefühl haben, dass sie ihren Glauben in dieser Gesellschaft nicht ausleben können, im Land der Sünde, wo die Menschen Alkohol trinken. Dann sind sie verloren an die Ideologen des IS.
Sie fordern von den Immigranten eine bedingungslose Annahme unseres Lebensentwurfes?
Ja. Die Flüchtlinge brauchen Unterstützung, aber auch von Anfang an klare Regeln. Die deutsche Gesellschaft ist eine "Mitmachgesellschaft". Lieber Flüchtling, lieber Immigrant: Mach mit, oder du wird es schwer haben. Schau, dass deine Kinder Deutsch lernen. Und wenn du nicht schwimmen lernen willst, lass wenigstens deine Tochter zum Schwimm- und Sportunterricht gehen, weil dieses Land sich verpflichtet hat, deinem Kind zu seiner persönlichen Entfaltung zu verhelfen. Wenn du der Meinung bist, dass du das alles nicht willst, dann geht dein nächster Zug zurück nach Ungarn. So einfach ist das. Wenn sie das nicht jetzt begreifen, dann vielleicht nie. Die Botschaft muss sein: Dieses Land ist gut, weil es frei ist, seine Bürger sich entfalten können und Glauben Privatsache ist. Das macht dieses Land lebens- und liebenswert. Und davon profitierst du jetzt! Also hör auf zu meckern und pass dich an!
Wie sieht Ihre Lösung für den Islam aus?
Es bedarf der Ehrlichkeit. Das setzt voraus, Mohammed seines Heiligenscheins zu berauben. Die göttliche Botschaft – das ist seine Immunität, das ist der Trick. Ich glaube nicht, dass der Islam sich reformieren kann. Die Muslime können aber ihr Denken, ihre Geisteshaltung reformieren und ihr Verhältnis zur Religion modernisieren, indem sie sich zu der Überzeugung durchringen, dass der Glaube Privatsache ist. Es ist erforderlich, mit der Entmystifizierung Mohammeds und der von ihm gestifteten Religion zu beginnen. Von Teilen des authentischen Islams muss man sich verabschieden, von den Zwängen, von den Gewaltlegitimationen. Die Araber immer als Opfer des Westens zu bezeichnen ist kontraproduktiv. Damit wird die Opferhaltung zementiert. Das ist fast rassistisch. Jemand muss das Eis brechen. Ich will so ein Eisbrecher sein.
Nota. - Für die Christen ist Jesus der menschgewordene Gott. Das ist gar nicht zu überbieten. Aber von ihm wissen sie nur, was die Evangelisten über ihn berichten, und die kannten ihn gar nicht. Sie schrieben Jahrhun-derte nach seinem Tod. Die Heilige Schrift der Christen ist Menschenwerk.
Mohammed ist im Islam nicht einmal ein Heiliger. Er ist lediglich ein Prophet – der letzte, endgültige zwar, aber Gegenstand persönlicher Verehrung darf er, ein Sterblicher wie alle, nicht sein. Er hat aber ein dickes Buch hinterlassen. Das stammt jedoch nicht von ihm, sondern von Gott selbst. Der Koran ist Gottes eigenes Wort, er hat die Worte dem Propheten durch den Erzengel Gabriel Stück für Stück auf die Zunge legen lassen. Man kann sie interpretieren nach ihrem semantischen Gehalt: Wie hat Gott dies, wie hat er jenes gemeint? Doch interpre-tieren in dem Sinne, dass man sie in ihren historischen Kontext stellt und ihre Geltung von den Umständen abhängig macht, wäre nur machbar, wenn sie von einem Menschen stammten. Wenn aber der allwissende Gott unter diesen Umständen dieses, unter anderen jenes für wahr hielte, wäre er nicht Gott, und die Vorstellung allein ist lästerlich.
Dass es unter diesen Umständen im Islam eine Schriftexegese gibt, gegen die sich die christliche Hermeneutik betulich wie eine Kinderfibel ausnimmt, liegt nahe, doch niemand ist gehalten, sie zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht sind die fundamentalistischen Theologen grob und ungebildet. Aber an der entscheidenden Stelle dürften ihnen die Gebildeten nicht widersprechen können: Ist der Koran Gottes eigenes Wort, oder ist er das Werk Mohammeds – das ist die alles entscheidende Frage.
Und wenn er das Werk Mohammeds ist - was bleibt dann vom Islam?
Hamed Abdel-Samad ist in den Zeitungen vorgeworfen worden, er schütte das Kind mit dem Bade aus, er schade mit seinen Übertreibungen, ach herrje, seinem eigentlichen Anliegen, und so weiter. Das mag sein, er ist ein Abtrünniger, ein ehemaliger Theologe, diese Leute neigen zu Exzessen. Doch im Hauptpunkt hat er, fürchte ich, Recht: Der Islam ist nicht refomierbar.
JE
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