Montag, 15. Februar 2016
Schröders "Agenda 2020".
aus FAZ, 15. 2. 2016
... Unterdessen hat Gerhard Schröder (SPD) eine „Agenda 2020“ zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gefor-dert. Im Zentrum des Reformprogramms müsse ein Integrationsgesetz stehen, sagte Schröder den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Von der Frage, wie gut die Flüchtlinge integriert werden, wird abhängen, ob die Gesell-schaft die Flüchtlinge als Belastung oder als Chance wahrnimmt.“ Die SPD-Führung unterstützte Schröders Forderung.
Schröder verteidigte die Entscheidung seiner Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) vom vergangenen
September, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. „Ein Fehler jedoch war, diesen Ausnahmezustand zur Normalität zu erklären“, kritisierte er. „Jetzt ist man dabei, diesen Fehler der Vergangenheit nachträglich zu reparieren.“
Ein Integrationsgesetz muss nach Schröders Vorstellung Sprachförderung, Schulausbildung sowie die Bereitstellung von Wohnungen und Arbeitsplätzen regeln. „Auch die Finanzierung der Integration muss geklärt werden, denn Länder und Kommunen dürfen nicht die Hauptlast tragen.“
Der Altkanzler, der in seiner Amtszeit die Reformagenda 2010 für Arbeitsmarkt und Sozialsystem auf den Weg brachte, forderte darüber hinaus „ein neues Zuwanderungsgesetz, um die Migration zu steuern und zu begrenzen“. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür bis zur nächsten Legislaturperiode warten wolle, sei „zu spät“. Schröder rief seine Nachfolgerin dazu auf, sich in der Flüchtlingskrise stärker an der proeuropäischen Politik von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) zu orientieren. Deutschland müsse sich der Gefahr der Renationalisierung in der EU entgegenstellen: „Dafür brauchen wir wieder eine stärkere deutsch-französische Zusammenarbeit.“ ...
Nota. - Bei einem Integrationsgesetz geht es nicht darum, ob es "scharf" oder "lasch" oder links oder rechts ist, sondern darum, dass die wachsende Zahl von Zuwanderern – darüber muss man sich einig sein – aufgefordert und dabei unterstützt wird, in der deutschen Gesellschaft heimisch zu werden. Das sind die beiden Kriterien: deutsche Gesellschaft und heimisch. Die deutsche Gesellschaft – das ist zuerst einmal der öffentliche Raum. Dessen Regeln können nur respektiert werden, wenn sie allenthalben sichtbar sind. Heimisch – das ist die Privatsphäre der Zugewanderten. Da können-dürfen-sollen sie von ihrer heimatlichen Kultur bewahren, was ihnen wert erscheint.
Das Kernproblem ist allerdings, dass allein in der abendländische Kultur die Scheidung des Daseins in einen öffentlichen und einen privaten Raum paradigmatisch (aber durchaus noch nicht selbstverständlich) geworden ist. Viele Alltagskonflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten entstehen eben daraus, dass namentlich den orientalischen Kulturen diese Scheidung völlig fremd ist. Ehrenmorde sind keine Privatsache, sondern bre-chen das Recht, und das ist öffentlich.
Die Dynamik der letzten hundert Jahre ging im Westen dahin, dass 'das Öffentliche' immer tiefer ins Privatleben der Menschen eingedrungen ist, erst als Verwaltung und Reglementierung, inzwischen digital durchs Internet. Sodass auch die westliche Kultur gar nicht so sicher ist, wo genau die Grenzen verlaufen und wo sie verlaufen sollen. Integration der Neuankömmlinge verlangt daher nicht nur, dass ihnen immer wieder deutlich gemacht wird, worein sie sich integrieren sollen, sondern ebenso sehr, dass die deutsche Gesellschaft sich selber darüber im Klaren ist; und wo sie's nicht ist, muss sie es werden.
JE
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