Dienstag, 19. April 2016

Anakreontische Ziegenlyrik.


Nun also doch nochmal Böhmermann:
 
Dass zwei Drittel der Deutschen Erdogan nicht mögen und sich ins Fäustchen lachen, durfte in Merkels Erwägungen gar keine Rolle spielen. Ebensowenig wie es ein Aufschrei der Volksseele gedurft hätte, wenn es gegen, sagen wir, Obama kurz nach seinem Amtsantritt gegangen wäre. Das Gesetz ist da, Erdogan hat sich darauf berufen; in der Sache hat ein Gericht zu entscheiden, und zwar nach der Rechtslage und weder nach Popularität noch nach Opportunität.

Die Bundesregierung muss nach § 103 grünes Licht geben - oder es verweigern: Ein Ermessen hat sie also doch, und ein politisches, sollte man meinen, da sie ja doch ein politisches Organ ist. Aber das bedeutet eben nicht ein politisches Vor-Urteil, sondern soll verhindern, dass irgendein auswärtiger Potentat unter einem Vorwand seine Kritiker auch im Ausland noch verfolgen kann. Dass eben nicht politische Kritik, sondern nur persönliche Beleidigungen vor Gericht gezogen werden dürfen. Und persönlich beleidigend ist von Böhmermanns Gedicht ja jede Zeile, dafür brauchte die Merkel keinen Gutachter. Das Gericht hat nun zu entscheiden, ob diese Beleidigungen trotzdem von den Freiheit der Meinungäußerung und gar der Kunst gedeckt sind. Allein, dass Böhmermann seinen Eimer Ziegendreck vor- und nachher ausdrücklich als verboten bezeichnet hat, reicht ja wohl nicht aus, denn sonst wäre das Gesetz überflüssig...

Gerade das ist es, sagt die Regierung, und will es abschaffen. Aber erst, wenn es abgeschafft ist, muss es nicht mehr angewendet werden; bis dahin schon. Von Fall zu Fall anders zu entscheiden steht nicht im Ermessen der Regierung, nicht in einem Rechtsstaat und einstweilen wohl nicht einmal in der Türkei.


PS. Anakreons Hirtenlyrik war bloß erotisch; richtig obszön war die von Theokrit. Keine Türken übrigens, sondern beide Griechen.


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