aus nzz.ch,
Gespräch mit dem Soziologen Ruud Koopmans
Assimilation funktioniert
In
den USA werden seine Studien rezipiert, in Europa ignoriert. Ruud
Koopmans' These: Nicht die Diskriminierung der Migranten ist die
Herausforderung, sondern ihre Selbstdiskriminierung.
Exakt am Morgen
des 22. März 2016, als in Brüssel die Bomben von Islamisten
explodierten, publizierte das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eine
Studie unter dem Titel «Muslime auf dem Arbeitsmarkt». Die Koinzidenz
war Zufall. Kein Zufall war, dass die Studie sogleich unterging in den
Breaking News aus Brüssel, wo nach dem Terror in Paris bereits zum
zweiten Mal innert vier Monaten Reporter aus der halben Welt in der
belgischen Hauptstadt und vor allem in Molenbeek einfielen, um ein paar
Sätze aus den Bewohnern des «islamistischen Terroristennestes» zu
quetschen. Viel kam auch diesmal nicht heraus, doch eine Angabe fehlte
in diesen Berichten nie: die Arbeitslosenquote. 35 Prozent der Jungen,
mehrheitlich Muslime, haben in Molenbeek keinen Job und miserable
Perspektiven.
Womit wir wieder bei besagter Studie des WZB wären, die so manchen Hinweis darauf liefert, warum das so ist – nicht nur in Molenbeek, sondern in ganz Europa. Denn von Frankreich über England bis nach Schweden bilden muslimische Migranten die «Schlusslichter auf dem Arbeitsmarkt», wie der Studienautor Ruud Koopmans sagt. Koopmans, ein 55-jähriger niederländischer Soziologe, forscht mit Unterbrüchen seit 1994 am Wissenschaftszentrum in Berlin, wo er die Abteilung für «Migration, Integration und Transnationalisierung» leitet. Zugleich ist er Professor für Soziologie und Migration an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Der Unruhestifter
Er
macht mit seinem Team höchst aufwendige empirische Studien, er
publiziert sie in renommierten internationalen Journals, die Resultate
werden bis in die USA heftig diskutiert. Ein gefragter Mann also, würde
man meinen. Doch nicht im deutschsprachigen Europa. Hier wird Koopmans'
Arbeit fast schon totgeschwiegen. «Von einer ‹Lügenpresse› in
Deutschland würde ich nicht reden, aber ein selektives Schweigen gibt es
nach meiner Erfahrung durchaus», sagt Koopmans im Gespräch mit der NZZ.
Es
gibt Forscher, die seine Mails nicht mehr beantworten und ihrem
akademischen Nachwuchs von einem Kontakt mit Koopmans abraten, weil sie
ihn für einen verkappten Rassisten halten. «Ich stelle eine extreme
Intoleranz in der Integrationsforschung gegenüber abweichenden Meinungen
fest und, schlimmer noch, ein totales Desinteresse an
Forschungsbefunden, die nicht ins eigene Denkschema passen», sagt
Koopmans dazu. Er engagierte sich einst bei den niederländischen Grünen,
bis ihr marokkanischstämmiger Fraktionschef Salman Rushdies «Satanische
Verse» verbieten wollte. Und er versteht sich noch heute «als Linker,
der manchmal die Linke nicht mehr versteht». Zum Beispiel dann, wenn
diese «die Muslime einseitig nur als Opfer sieht».
Keine
Frage, dieser Mann stört den politisch-akademischen Gottesdienst unter
den deutschsprachigen Migrationsforschern, deren erster Glaubenssatz
heisst: Alle Integrationsprobleme sind einzig auf die Diskriminierung
der Einwanderer durch die ansässigen Bürger zurückzuführen. Wenn es in
dieser Branche ein Unwort der letzten zwanzig Jahre gab, dann heisst es:
Assimilation. Kulturelle Anpassung, so der bisherige Konsens, geht gar
nicht. Nach dieser Lesart ist Assimilation nichts anderes als die
erzwungene Verleugnung der eigenen Wurzeln.
Wer
solches von Migranten verlangt, steht sofort in vermintem Gelände, gilt
im Minimum als engherzig und intolerant, eigentlich schon als Rassist.
Und nun kommt Professor Koopmans und fragt im Originaltitel seiner neuen
Studie: «Does assimilation work?» Allein die Frage ist für manche
Provokation genug, nicht zu reden von der Antwort: Ja, sie funktioniert!
Dies ist Koopmans' Fazit aus einer Befragung von 7000 Muslimen in sechs
europäischen Ländern. Je höher ihre soziokulturelle Assimilation an die
Mehrheitsgesellschaft, umso besser ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Dann gibt es, gleiche Qualifikationen vorausgesetzt, kaum mehr
Differenzen zu den Jobchancen der Nichtmuslime.
Anpassung: Definition
Doch
was heisst Anpassung für Koopmans? Zunächst einmal nicht zwangsläufig
Preisgabe des eigenen Glaubens. Aber es bedeutet, sich problemlos in der
Sprache des neuen Wohnlandes verständigen zu können und hauptsächlich
dessen Medien zu nutzen. Es bedeutet ferner, Freunde und Bekannte nicht
nur in der eigenen Ethnie, sondern ebenso in der Mehrheitsgesellschaft
zu finden, allenfalls auch Familienangehörige. Und schliesslich sollen
die Auffassungen über die Rolle der Frau der durchschnittlichen
Vorstellung in der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Unter diesen
Umständen stehen die Integrationschancen gut.
Das
heisst nicht, Diskriminierung spiele überhaupt keine Rolle. Nur eben
eine viel kleinere als seit Jahren behauptet, sagt Koopmans. Weit
wichtiger sind für ihn die «interethnischen sozialen und familiären
Kontakte» über die eigene Community hinaus. Je mehr davon, umso besser,
weil diese Kontakte Sozialkapital schaffen, das wiederum die
Arbeitssuche und damit das Ankommen am neuen Ort erleichtert.
Auf Distanz
Es
gilt aber auch das Umgekehrte. Wer kulturell möglichst auf Distanz zum
Wohnland bleibt, wird sich immer schwertun mit der Integration, und das
ist laut Koopmans bei fast der Hälfte der europäischen Muslime der Fall.
Man könnte dies eine freiwillige Selbstdiskriminierung der Immigranten
nennen.
Koopmans' letzte grosse Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass von
den 7000 befragten Muslimen in sechs westeuropäischen Ländern nicht
weniger als 65 Prozent der Meinung sind, dass religiöse Regeln wichtiger
für sie sind als säkulare Gesetze. Fast 60 Prozent wollen explizit
keine homosexuellen Freunde, und 45 Prozent glauben, dass man «Juden
nicht trauen kann». Mehr als 40 Prozent der europäischen Muslime, so
Koopmans' Fazit, neigten deshalb zu einer fundamentalistischen Haltung.
Während
sonst jeder schwulenfeindliche oder antisemitische Halbsatz
christlicher Fundamentalisten sofort scharf (und zu Recht) medial
bestraft wird, waren diese Zahlen den deutschen Leitmedien kaum eine
Zeile oder Sendeminute wert. Einzig die «Frankfurter Allgemeine Zeitung»
berichtete kurz darüber, worauf sie die Studie mit dem Satz versenkte,
deren Autor sei ein «wissenschaftlich verbrämter Schwinger der
Fundamentalismuskeule von gestern». Im Übrigen: grosses Schweigen.
Die
Schweiz hat derweil ein erhellendes Beispiel zum gleichen Thema erlebt:
den verweigerten Händedruck zweier muslimischer Schüler gegenüber ihrer
Lehrerin – aus religiösen Gründen. Die Meinungen dazu waren rasch
gemacht. «Wie wollen Sie einen Jugendlichen mit einem derartigen
Verhalten später in die Berufswelt integrieren?», fragte der Präsident
des Baselbieter Lehrerverbandes und gab die Antwort gleich selber: «Das
ist unmöglich.» Die jungen Muslime können sich nun einigermassen
anpassen (wie es in der Schweiz die grosse Mehrheit pragmatisch tut,
ohne dass sie sich gleich ihrer Identität beraubt fühlt). Oder sie
verkehren bald nur noch unter Gleichgesinnten, riskieren damit
Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialhilfe.
Sozialstaat: falsche Anreize
Auch
dazu hat Ruud Koopmans aufgrund seiner Forschung dezidierte Ansichten.
«Viele Zuwanderer sind anfangs hochmotiviert. Doch die Erfahrung zeigt,
dass ein stark ausgebauter Wohlfahrtsstaat ihre Motivation in kürzester
Zeit untergräbt. In den USA, wo die sozialen Fangnetze fehlen, passiert
das nicht», erklärte er im Januar an einer Tagung der CDU in Berlin. Und
beruhigte die Anwesenden sogleich, er wolle nicht gleich den
Wohlfahrtsstaat abschaffen. Koopmans will keine amerikanischen, aber
auch keine schwedischen Zustände in Europa, denn in Schweden ist die
Abhängigkeit der muslimischen Migranten von der staatlichen Fürsorge
extrem hoch – und die Integration in den Arbeitsmarkt gerade deswegen
alles andere als erfolgreich. Für den, der arbeiten kann, aber nicht
muss, ist die Selbstisolation jederzeit eine valable Option.
Was
es nach Koopmans braucht, sind klare Anreize in der europäischen
Migrationspolitik, die eine Integration der Immigranten über die
Ausübung einer entlöhnten Tätigkeit erzwingen. Fehlen sie oder sind sie
falsch gesetzt, kommt es wie schon früher zu einer Negativselektion.
Bedeutet aber Immigration mehr Arbeitslosigkeit, mehr Ghettos und höhere
Sozialhilfe, dann bricht die politische Zustimmung der Bürger für
Zuwanderung irgendwann weg. An besagter Tagung erklärte Koopmans: «Jene
Zuwanderer, die sich wirklich anstrengen, also die Sprache des neuen
Landes lernen, einen Job finden und straffrei bleiben, sollen belohnt
werden und auf Dauer bleiben dürfen. Den Asylsuchenden soll man Schutz
gewähren, aber kein Bleiberecht garantieren. Wenn sie die Integration
nicht geschafft haben, müssen sie in ihr Herkunftsland zurückkehren,
sobald es die Lage dort erlaubt. So kombiniert man die moralische
Pflicht, Schutz zu bieten, mit dem Eigeninteresse des
Zuwanderungslandes.»
Keiner
der hohen CDU-Funktionäre mochte diese Sätze aufnehmen. Es wird noch
eine Weile dauern, bis die Forschung von Ruud Koopmans in Politik und
Öffentlichkeit ankommt. Doch gut möglich, dass es dann plötzlich ganz
schnell geht.
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