Michelangelo, Sixtinische Kapelle
aus nzz.ch, 30.4.2016, 05:30 Uhr
Christoph Markschies: Gottes Körper
Geist ohne Materie?
Hat Gott einen Körper – oder ist er reiner Geist? Der Kirchenhistoriker Christoph Markschies entdeckt ein vergessenes Kapitel der Theologiegeschichte.
Gott
ist unermesslich, unbegreiflich, unkörperlich, jeder Vorstellung
entzogen. Kaum hat Photin, ein ägyptischer Mönch, dies dem alten
Einsiedler Serapion erklärt, bricht dieser in Tränen aus und schreit
laut: «Weh mir! Sie haben mir meinen Gott weggenommen. Nun habe ich
keinen mehr, an den ich mich wenden kann.» Die Anekdote wird von
Johannes Cassian in den «Unterredungen der Väter» (420er Jahre)
mitgeteilt. Sie handelt von Streitigkeiten über die Frage: Hat Gott
einen Körper oder nicht? Photin folgt dem christlichen Kirchenvater
Origenes (185–253), während sich Serapion an den Wortlaut der Heiligen
Schrift hält und Gott einen Körper zuerkennt.
Zwei Geschichten
In
seinem Buch «Gottes Körper» erzählt Christoph Markschies, Professor für
ältere Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, zwei
miteinander verflochtene Geschichten. Die erste beginnt mit dem – zwar
nicht ausgesprochenen, aber vorausgesetzten – Glauben der Griechen und
Juden an körperliche Götter oder einen körperlichen Gott. Dann kommt
Plato, der, zumindest nach dem Referat in Ciceros Schrift «Vom Wesen der
Götter», Gott Unkörperlichkeit zuschreibt: Gott ist reiner Geist, und
wenn es die Dichter anders darstellen, ist das eben Dichtung und nicht
Wahrheit.
Unter den
christlichen Theologen teilen Origenes, Augustinus und Thomas von Aquin
diese Ansicht, auf jüdischer Seite sind Philon von Alexandria und
Maimonides zu nennen. Mit der Unkörperlichkeit Gottes hat eine der
platonischen Philosophie entstammende Lehre in die monotheistischen
Religionen Eingang gefunden. Dadurch wurden diese «hellenisiert» – durch
griechischen Geist verändert.
Markschies
begnügt sich nicht mit dieser einfachen Geschichte. Er stellt ihr eine
zweite Erzählung zur Seite, die komplizierter ausfällt. Sie handelt vom
Widerstand gegen die platonische Gottesauffassung. Viele antike Denker –
heidnische, jüdische und christliche – konnten sich nicht dazu
entschliessen, Gott einen Körper abzusprechen. Was keinen Körper hat,
existiert nicht; also muss Gott einen Körper haben – so der Kirchenvater
Tertullian, der dementsprechend auch der menschlichen Seele eine
gewisse Materialität zuschreibt.
Wurde
über die körperliche Beschaffenheit der Götter, der Seele, der Engel
oder auch des einen Gottes nachgedacht, war allerdings oft von einer
ganz besonderen Materialität die Rede – etwa von zarter
Feinstofflichkeit oder von der «astralen», den Sternen eigenen
Materialität. Stoiker und Neuplatoniker haben so gedacht, unter den
Christen ausser Tertullian noch Melito von Sardes und andere. Einen
Kompromiss schloss Gennadius von Marseille (um 470): Die Seele und die
Engel sind körperlich, Gott allein unkörperlich.
Die Natur Jesu
Die
jüdische Mystik, der Markschies ein ausführliches Kapitel widmet,
leistet besonders heftigen Widerstand gegen die Idee von Gottes
Unkörperlichkeit. Die unter der Bezeichnung «Hechalot» bekannten
spätantiken Texte enthalten ausführliche Beschreibungen der ins
Unermessliche gesteigerten Körperdimensionen Gottes.
Eine
besondere Note erhält der Widerstand gegen die Unkörperlichkeit Gottes
in den spätantiken christlichen Debatten über das Wesen Jesu Christi.
Wie steht es um den Körper eines Wesens, das Gott und Mensch zugleich
ist? Hat Jesus nur einen Scheinleib – oder hat er einen echten Körper?
Die orthodoxe christliche Lehre ist bereits im Neuen Testament klar
ausgesprochen (Brief des Paulus an die Kolosser 2, 9): «In Christus
wohnt die ganze Fülle der Gottheit sômatikôs» – also körperlich und
leibhaftig ist Gott in der Gestalt Jesu Christi anwesend.
Markschies
bewegt sich in einem Forschungsfeld, das seit den 1970er Jahren blüht:
die Geschichte des Körpers im Christentum. Die entstandene ausgedehnte
Literatur weist grosse Namen auf: Peter Brown, Jacques Le Goff
und Caroline Walker Bynum. Diese Autoren schreiben die wechselvolle
Geschichte des Körpers von seiner Zügelung und Abwertung in Spätantike
und Mittelalter bis zur neuen Parteinahme für ihn im Zeitalter von
Renaissance und Reformation. Doch ging es nur um den menschlichen
Körper, der göttliche blieb unbeachtet.
Durch
das Buch von Markschies, der das Thema wiederentdeckt hat und erstmals
umfassend erkundet, erhält die Erforschung der christlichen
Körpergeschichte eine neue Perspektive. Auch der modernen Theologie
gelingt es nicht, sich vom körperlichen Gott ganz zu trennen. Eine klare
Parteinahme für die Auffassung, Gott habe einen Körper, lässt sich bei
Christoph Markschies allerdings nicht entdecken. Jedoch ist er weit
davon entfernt, den Spott eines Ernst Haeckel zu teilen, der in seinen
«Welträtseln» (1899) Gott als «gasförmiges Wirbeltier» apostrophierte.
Christoph Markschies: Gottes Körper. Jüdische, christliche
und pagane Gottesvorstellungen in der Antike. Verlag C. H. Beck, München 2016.
900 S., Fr. 38.90.
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