Donnerstag, 16. August 2018

Moralisieren im Politischen.


Sie haben mich hoffentlich nicht missverstanden. Es ist völlig in Ordnung, wenn die Bürger das Handeln ihrer Regierung nach moralischen Maßstäben beurteilen - begrüßen oder ablehnen - oder ihre eigenen politischen Ent- scheidungen an der Nächstenliebe orientieren. Eine Regierung muss sogar froh sein, wenn viele das tun.

Doch sie selber muss bei ihren politischen Entscheidungen andere Kriterien anlegen als die moralisch-ästhetischen Stimmungen der Kabinettsmitglieder. Allgemein gesprochen muss sie die Bedingungen schaffen und bewahren, unter denen die Bürger moralisch, politisch oder - auch das ist erlaubt - aus Eigeninteresse so oder anders optieren können. Das ist ein übergeordneter Standpunkt, doch ist er selbst nicht unmittelbar moralisch.

Die Bürger können sich nach moralischen, politischen und Interessengesichtspunkten zusammenschließen und - in Parteien zum Beispiel - auf die Regierung Einfluss nehmen. Das ist die politische Auseinandersetzung, auf der der repräsentative Staat beruht. Und stets ist die Regierung, welcher Partei sie auch gerade angehört, gehalten, die Vor- aussetzuungen für die Wahlfreiheit der Bürger zu erhalten; an erster Stelle das Gemeinwesen selbst. Dabei mag es nötig werden, sich mit dem weniger Schlechten zu bescheiden, weil das Gute nicht machbar ist. Ob oder ob nicht, ist stets im Streit zu ermitteln. 


So weit war alles in Ordnung.

Das Schlechte an der Flüchtlingsdebatte war, dass eine moral majority sich aufspielte, als sei sie das Maß des politisch Korrekten. Die Anmaßung war ein doppelte. Moral ist das, was jeder mit sich selbst auszumachen hat, auf einen andern kann er sich nicht herausreden noch muss er sich vor ihm rechtfertigen. Das Politische ist allerdings das, was in der Gemeinschaft Jeden mit Jedem verbindet oder von ihm trennt. Mit andern Worten, es ist schlechterdings strittig, und was das Richtige ist, muss jedesmal ausgefochten werden. Festlegen, in welchem Rahmen etwas 'noch statthaft' und außerhalb seiner 'nicht korrekt' ist, heißt, sich über die Gesamtheit der Politeis erheben. Das mag einer auf seine Kappe nehmen und sich zum Führer oder zum Erleuchteten aufpusten - er wird dann schon sehen. Doch widerwärtig wird es, wenn er sich dabei auf... die Mehrheit beruft. Das ist nicht dumm, das ist bösartig und gehört gezüchtigt.

So aber war es leider am Anfang des Herbstes 2015. Es reichte aus, dass einer, aus welchem Grund auch immer, entgegnete: Ihr seid nicht die Mehrheit, oder: Ihr werdet es nicht lange bleiben; oder auch: Ihr mögt die Mehrheit sein, aber Recht habt ihr nicht - dann brach Entrüstung über ihn herein. Doch auf Argumente musste er sich nicht einstellen. Weder musste er selber welche vortragen, noch wurden ihm welche entgegengehalten. Auf beiden Seiten wurde nur Stimmung gemacht, von Tag zu Tag lauter. 

Im Stimmungmachen wird immer der gewinnen, der in der Offensive ist. Und das waren nicht die Korrekten, die behaupteten ja, selbstverständlich und (mindestens moralisch) schon immer da gewesen zu sein; und begaben sich eo ipso in die Defensive: Als dynamisch konnten sich die Andern darstellen - ohne an nur einem Punkt positiv und spezifisch werden zu müssen.

Nein, ich habe nicht gerade den Wahlerfolg von Donald Trump erklärt, sondern lediglich, wie die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, die eine politische Richtungsentscheidung war, in die Gefahr des Scheiterns geriet, weil sie von denen ihrer Unterstützer, die an ihre Identität eher als an Deutschlands  Stellung in Europa und in der Welt gedacht hatten, zu einer Sache privater Neigungen trivialisiert worden ist. 

Es ist höchste Zeit, aus der Defensive in den Angriffsmodus überzugehen: Die Gartenzwerge sind es nicht, die Deutschland stark machen wollen.




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