aus welt.de, 8.11.2020
Im November des Jahres 921 eskalierte bei Bonn am Rhein die Lage. Zwei Heere marschierten auf, um die Machtfrage im zerfallenden Frankenreich zu klären. Das eine führte der Karolinger Karl III., das andere der Sachse Heinrich I. Doch statt sich zu schlagen, fanden beide zu einem Vertrag. Westlich des Rheins sollten die Karolinger weiter herrschen, östlich die neue sächsische Dynastie, deren Herrschaftsgebiet damit aus dem alten Imperium Karl des Großen gelöst wurde. Damit wurde sein östlicher Reichsteil zur Grundlage eines neuen, deutschen Reiches.
Doch mit diesem außenpolitischen Erfolg hatte Heinrich sein Königtum, das ihm zwei Jahre zuvor per Wahl zugefallen war, noch keineswegs gesichert. Denn die Länder östlich des Rheins wurden von einem überlegenen Gegner heimgesucht (was im Übrigen ein Grund für Karl III. gewesen sein mag, sich von diesem Reichsteil endgültig zu verabschieden): den Ungarn. Ende des 9. Jahrhunderts hatte das nomadisierende Reitervolk aus Asien an Donau und Theiß eine neue Heimat gefunden. Von dort aus überzog es seine Nachbarn regelmäßig mit Beutezügen.
Wie Heinrich dieses Problem löste, beschreibt der Chemnitzer Mediävist Martin Clauss in seiner neuen „Militärgeschichte des Mittelalters“. Die „Heeresverfassung“, die Heinrich und sein Sohn Otto I., „der Große“ ihrem Reich gaben, sollte nicht nur militärische, sondern auch tiefgreifende soziale Veränderungen zur Folge haben: Aus Panzerreitern wurde ein Reiteradel, die Ritter.
Zunächst erkaufte sich Heinrich von den Ungarn Zeit. Weil ihm durch einen Glücksfall ein ungarischer Anführer in die Hände gefallen war, konnte er 924 – nicht zuletzt gegen umfangreiche Tribute – einen neunjährigen Waffenstillstand erwirken. Eine Win-Win-Situation, eröffnete er doch den Ungarn die Möglichkeit, ihre Unternehmen in bislang weniger heimgesuchte Gegenden zu verlagern.
Über Heinrichs Reformwerk berichtet der sächsische Geschichtsschreiber Widukind von Corvey: „Zunächst wählte er unter den Kriegern im Lande (agrarii milites) jeden Neunten aus und ließ ihn in befestigten Plätzen wohnen, um für seine acht Genossen Wohnungen zu errichten und den dritten Teil aller Früchte entgegenzunehmen und zu verwahren; die übrigen acht aber sollten für den Neunten säen, ernten, Früchte sammeln und sie an ihrem Platz aufbewahren.“
Wie diese Zeilen zu deuten sind, hat Generationen von Wissenschaftlern beschäftigt. Wegen fehlender archäologischer Zeugnisse verwirft Clauss die Vorstellung eines regelrechten „Burgenbauprogramms“. Statt dessen geht er von einem Ausbau älterer Fluchtburgen aus, die mit ständigen Garnisonen bemannt wurden, die von Leuten aus dem Umland zu unterhalten waren.
Feste Plätze boten den Vorteil, dass sie zum einen als Rückzugsorte für die Umwohnenden dienten, zum anderen von den Ungarn, deren große Stärke ihre Mobilität war, kaum im Handstreich zu nehmen waren. Für langwierige Belagerungen aber waren diese leichten Reitertruppen kaum ausgerüstet.
Doch bloße Verteidigung würde auf die Dauer nicht ausreichen, zumal von einem König Erfolge auf dem Schlachtfeld erwartet wurden. Daher setzte Heinrich alles daran, seine Kavallerie zu verstärken. Dabei zeigte er keine Skrupel. Diebe und anderes wettergegerbtes Gesindel wurde begnadigt, wenn sie für den Kriegsdienst geeignet waren. Zugleich intensivierte der König den Kleinkrieg gegen die slawischen Stämme jenseits der Elbe, um in diesem „border warfare mit gewaltkompetenten Akteuren“ (Clauss) die Reichsverteidigung zu stärken.
Die Anstrengungen gegen den äußeren Feind stärkten auch das Zusammengehörigkeitsgefühl im Reich. Herzöge, Bischöfe und Äbte, an deren Rivalitäten noch Heinrichs Vorgänger Konrad I. gescheitert war, fanden in den Verteidigungsanstrengungen zusammen, sodass Heinrich nach Ablauf des Waffenstillstandes ein deutlich vergrößertes Heer gegen die Ungarn aufbieten konnte.
Durch die „Heeresreform“, die sie von der Landwirtschaft freistellte, waren die Reiter im Kampf geübt und bereit und in der Lage, sich taktischen Anweisungen des Königs zu unterwerfen. Die wichtigste war Disziplin. Der Chronist Liutprand von Cremona berichtet, dass Heinrich seinen Leuten befohlen haben soll, koordiniert zu vorzurücken, sodass sie sich mit ihren Schilden gegenseitig decken und damit den Pfeilbeschuss durch die Ungarn abwehren konnten.
Nach der ersten Salve sollten sie sich im vollen Galopp auf die Feinde stürzen, um sie vor der zweiten mit den Schwertern zu bekämpfen. „Die Kampfweise wurde offensichtlich auf den Gegner abgestimmt und gruppendienliche Disziplin dem Ruhmstreben der Individuen vorgezogen“, schreibt Clauss. Damit gelang Heinrich bei Riade (vermutlich Ritteburg an der Unstrut) 933 ein erster Sieg über die Ungarn.
Der Schockangriff schwer gepanzerter und disziplinierter Reiter wurde von da an zur entscheidenden Taktik auf dem mittelalterlichen Schlachtfeld. Dahinter trat das – zahlenmäßig sicherlich größere – Fußvolk als Unterstützung in den Hintergrund. Auch Heinrichs Sohn und Nachfolger Otto I. setzte auf landsmännisch geschlossene „Legionen“ (wie Widukind sie nach römischem Vorbild nannte) bayerischer, fränkischer, schwäbischer und böhmischer Ritter, mit denen er 955 die militärische Entscheidung gegen die Ungarn suchte.
Während diese Augsburg belagerten, zog der König in Eilmärschen heran. Auf dem Lechfeld wurde das ungarische Heer weitgehend vernichtet. Auf weitere Vorstöße auf Reichsgebiet verzichteten sie. Auf der anderen Seite wurde die Erfahrung des gemeinsam errungenen Sieges zum Grundstein eines Reiches, das sich nicht zuletzt durch die Kaiserkrönung Ottos 962 zunehmend als ein „deutsches“ verstand.
Das Heer, mit dem Otto siegte, umfasste vielleicht 8000 Reiter und ebenso viele Fußsoldaten. Viel größer sollten auch in Zukunft die Armeen des Mittelalters nicht werden. Man hat errechnet, dass die Verlustzahlen mitunter ein Drittel betrugen. Das erklärt, so Clauss, warum „offene Feldschlachten in der mittelalterlichen Kriegführung weniger dominierend waren als andere Kriegsformen, wie Kämpfe um befestigte Plätze oder Plünderungszüge“.
Ihre zentrale Stellung auf dem Schlachtfeld und die Kosten ihrer Ausrüstung spiegelten sich auch in der sozialen Stellung der Ritter. Sie wurden zu Grundbesitzern, die als privilegierte Gruppe in der Lage war, sich für den Reiterkampf zu üben. Dieser Reiteradel sollte dem Mittelalter seinen Stempel aufdrücken.
Martin Clauss: „Militärgeschichte des Mittelalters“. (C. H. Beck, München. 128 S., 9,95 Euro)
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