Donnerstag, 25. Februar 2021

Savonarolas Tugendterror.

Girolamo Savonarola, Bartolommeo, Fra, 1497 . (Photo by: Picturenow/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images 

aus welt.de, 15. 2. 2021

Fanatische Kinderpolizisten trieben die Menschen zum Scheiterhaufen
Nach der Vertreibung der Medici 1495 übernahm der Mönch Savonarola in Florenz die Macht. Seine fanatischen Gardisten terrorisierten die Stadt und sorgten dafür, dass der Karneval zum lodernden „Fegefeuer der Eitelkeiten“ wurde. 
 
 
Der Karneval nahm im Festkalender von Florenz seit jeher einen herausragenden Platz ein. Denn er bot nicht einfach nur Mummenschanz und Unterhaltung für die einfachen Leute, sondern auch die besseren Kreise nahmen an dem quirligen Spiel teil. Lorenzo di Medici ließ es sich nicht nehmen, eigene Kompositionen zu den tollen Tagen beizutragen, mit denen er zugleich seine dezente Herrschaft in Szene setzte.

Doch dieser sprühende Renaissance-Reigen intellektueller Freude und fleischlicher Lust fand im Jahr 1497 ein jähes Ende. Auf der Piazza della Signoria war eine hölzerne Konstruktion errichtet worden, die an eine Pyramide erinnerte. Auf den nach oben sich verkürzenden Brettern lagen ganze Berge von Dingen, die lange im Karneval zum Einsatz gekommen waren oder zumindest an ihn erinnerten: feine Kleider, Masken, Spielkarten, Musikinstrumente, Schmuck, Gemälde und sogar Bücher lebensfrohen Inhalts. Schließlich wurde das ganze Ensemble angezündet. Dazu erklangen heilige Lieder, es folgten Messe und Almosensammlung.

Als „Fegefeuer der Eitelkeiten“ ist dieses Spektakel in die Geschichte von Florenz eingegangen. Initiator und Hauptakteur war ein Mönch, Girolamo Savonarola (1452–1498), Prior des Dominikanerklosters San Marco und seit 1495 eine Art spiritueller Anführer der Republik. Während seiner kurzen Herrschaft avancierte er zum Prototypen eines Diktators der Moral, dem später Reformatoren wie Johannes Calvin und Revolutionäre wie Maximilien Robespierre folgen sollten. 

Die Zeitläufte hatten dem in Ferrara geborenen Sohn eines verarmten Geschäftsmanns in die Hände gespielt. Denn das sensible Gleichgewicht, das seit dem Frieden von Lodi 1454 zwischen den fünf größeren Staaten auf der italienischen Halbinsel – Florenz, Mailand, Venedig, Neapel und Kirchenstaat – geherrscht hatte, brach zusammen. Grund dafür war das Erstarken der großen Territorialstaaten jenseits der Alpen. 1494 beschloss Karl VIII. von Frankreich, die Schlagkraft seiner Panzerreiter, Schweizer Söldner und moderner Geschütze auf einer Expedition gegen Neapel zu demonstrieren.

Savonarola hatte sich da bereits einen Namen als charismatischer Prediger gemacht, dem zudem die Gabe der Prophetie gegeben war, hatte er doch den Tod von Papst Innozenz VIII. 1492 ziemlich genau vorhersagen können. Dazu passte auch die lautstarke Kritik, mit der der Dominikaner den aktuellen Zustand der Papstkirche geißelte, die sich in höchst weltlichen Macht- und Lustspielen verlor. Zu deren Symbolen sollten der neue Pontifex und sein Sohn avancieren: Alexander VI. und Cesare Borgia. 

Zur gleichen Zeit wurde Florenz von einer Krise erschüttert. Ebenfalls 1492 war Lorenzo di Medici gestorben. Ihm folgte sein Sohn Piero nach, dem aber im Gegensatz zu seinem Vater die Rolle des informellen Stadtoberhaupts nicht lag. Piero protegierte offen seine Partner, war also Partei, wo behutsamer Ausgleich gefordert war. In dieser Situation fanden Savonarolas Predigten ein immer größer werdendes Publikum.

Welt und Kirche seien verderbt, statt der Bibel nähmen sich die Priester Bücher der heidnischen Antike zum Vorbild: „Während in der ursprünglichen Kirche die Kelche von Holz und Priester von Gold waren, hat die Kirche heute Kelche von Gold und Priester von Holz.“ Gleiches gelte für die weltliche Herrschaft, deren Paläste zu Schlupfwinkeln für Schurken und Verbrecher geworden seien, die nur an „neue Steuern“ dächten, „mit denen sie das Blut des Volkes aussagen können“. 

Doch Savonarola sah auch die Rettung: Ein „Schwert des Herrn“ werde kommen und der Unterdrückung ein Ende machen. „Und du, Volk von Florenz, wirst ... die Erneuerung in ganz Italien einleiten ... und allen Völkern die Erneuerung bringen.“ Das verfing in einem Publikum, das durch Pest, Kleine Eiszeit und den Verfall traditioneller Ordnungen auf Erlösung hoffte.

Einzug Karls VIII. in Florenz/ Bezzuoli Karl VIII., Koenig von Frankreich (1483-98), Amboise 30.6.1470 - ebd. 7.4.1498. - "Einzug Karls VIII. in Florenz". - (Kriegszug Karls VIII. nach Italien 1494). Gemaelde von Giuseppe Bezzuoli (1784 - 1855). (Ausschnitt.) Florenz, Galleria d'Arte Moderna. 
1494 zog Karl VIII. von Frankreich in Florenz ein

Als Karl VIII. mit seinem Söldnerheer vor den Toren stand, sahen die Florentiner die Prophezeiung als erfüllt an und unterwarfen sich endgültig der Führung des Mönchs. Piero di Medici taktierte falsch und musste fliehen, seine Standesgenossen kapitulierten. Aus der Oligarchie der Aristokraten wurde eine Republik, zu deren „Großem Rat“ auch einfache Leute Zugang hatten. 

In den Monaten nach dem Umsturz war der Karneval 1496 zur Nebensache geworden, im Jahr darauf sollte er umso prachtvoller nachgeholt werden – allerdings auf Savonarolas Weise. Bereits im Vorfeld hatte sich der Dominikaner eine höchst eigentümliche Garde zugelegt: Kinder. In Gruppen patrouillierten Tausende durch die Stadt und kontrollierten die Erwachsenen, angefangen bei ihren Eltern. „Sie gingen ... überall hin, längs der Mauern, in die Tavernen, wo immer sie Ansammlungen bemerkten, und dies taten sie in jedem Viertel, und wer sich gegen sie aufgelehnt hätte, wäre in Lebensgefahr gewesen“, heißt es in einem Bericht. Wie sehr, sollte fünf Jahrhunderte später der Terror der Roten Garden in Maos Kulturrevolution beweisen.

Als der Karneval 1497 näher rückte, durchkämmte diese Kinderpolizei die Stadt. Spiele und weltliche Gesänge erstarben, unschickliche Kleidung verschwand und mit ihr Parfümduft und aufregende Frisuren. Und die Pyramide auf der Piazza della Signoria wuchs. Selbst ein Künstler wie Sandro Botticelli, der unter Lorenzo di Medici noch mit sinnesfreudigen Darstellungen antiker Mythen geglänzt hatte, soll Blätter ins Feuer geworfen haben. Auch seine Hinwendung zu religiösen Sujets wird dem Einfluss Savonarolas zugeschrieben.

Angeblich soll ein venezianischer Kaufmann die exorbitante Summe von 20.000 Dukaten für die aufgeschichteten Schätze geboten haben, was jedoch wütend abgewiesen wurde. Als Antwort auf sein Angebot fertigte man ein Portrait von ihm und setzte es auf einen Stuhl auf der Spitze des Scheiterhaufens. Der Venezianer wurde so zum Herrscher über die Eitelkeiten, musste sich diese Herrschaft allerdings teilen mit einer monströsen Figur, die den Karneval symbolisierte, schreibt der Savonarola-Biograf Ernst Piper („Prophet der Diktatur Gottes“). 

Doch weder der Exorzismus des Medici-Geistes noch die fanatischen Predigten Savonarolas konnten darüber hinwegtäuschen, dass sich seine Zukunft einzutrüben begann. Denn Karl VIII. hatte sich keineswegs als „Schwert Gottes“ erwiesen. Zwar war ihm die Eroberung Neapels gelungen. In den Spelunken und Bordellen hatten seine Soldaten aber mit einer aggressiven Variante der Syphilis Bekanntschaft gemacht, die kurz zuvor aus Amerika eingeschleppt worden war. Von der „französischen Krankheit“ gezeichnet, machte sich das Heer auf einen ruinösen Rückzug.

Damit aber verlor Savonarola seinen politischen Rückhalt, während mit Papst Alexander VI. der Adressat seiner kritischen Reden in die Offensive ging. Als dieser den Mönch exkommunizierte, verweigerte die Republik zwar die Auslieferung. Doch als der Dominikaner den Karneval 1498 mit einem weiteren „Fegefeuer“ erhellen wollte, fanden sich schon deutlich weniger Zuträger ein. 

Girolamo Savonarola's execution on the Piazza della Signoria in Florence in 1498, Early 17th cen.. Found in the Collection of Galleria Corsini, Firenze. (© Fine Art Images / Heritage-Images) 
Am 23. Mai 1498 wurde Savonarola auf der Piazza della Signoria erhängt und verbrannt

Als der Papst schließlich der Republik mit dem Interdikt das Verbot kirchlicher Handlungen androhte, schlug die Stimmung um. Einer sogenannten „Feuerprobe“ konnte sich Savonarola noch entziehen. Doch damit war sein Charisma gebrochen. Ausgerechnet seine Kindergarden stellten sich an die Spitze der Menge, die sein Kloster stürmte. Nachdem er unter der Folter gestanden hatte, gar kein Prophet zu sein, wurde er am 23. Mai 1498 erst gehängt und dann verbrannt, auf der Piazza della Signoria, da, wo zuvor seine Scheiterhaufen der Eitelkeiten entflammt waren.

 

Nota. - Botticelli ist Savonarola treu geblieben. Seine Sujets haben sich seit dem Auftreten des Bußpredigers radikal geändert, wovon die Malweise selbst nicht unberührt bleiben konnte. Leider hat Botticelli Savonarola nicht so lange überlebt, dass sich das Bild geändert hätte, das die Welt von ihm hatte. Er hätte ein wirkliches Gegengewicht gegen Raffael werden können.

JE

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