aus Der Standard, 24. Mai 2014,
Am Anfang mussten alle rudern
Wie Europa in den antiken Reichen der Griechen und Römer seinen Ausgang nahm
von Alois Pumhösel
Um
ein Schiff durch Rudern fortzubewegen, bedarf es koordinierter
Anstrengung. Immerhin sitzen alle im selben Boot, und nur
Zusammenarbeit führt ans Ziel. Eine Gemeinschaft bildet sich. Das
Überqueren der Meere trug in der Antike auch dazu bei, dass sich die
Vorstellung von einer idealen Gemeinschaft veränderte. Hin zu mehr
Teilhabe Einzelner. Hin zur Demokratie.
Athen
konnte seine Stellung als Seemacht im fünften Jahrhundert vor Christus
nur halten, indem es tausende Bewohner des Stadtstaats, die selbst
nicht der Aristokratie angehörten, als Ruderer einsetzte. "Es gab
immer einen Zusammenhang zwischen dem Beitrag, den der Einzelne zur
Wehrhaftigkeit einer Polis leistet, und seiner politischen
Partizipation. Entsprechend dieser Korrelation wollten die Ruderer auch
Mitspracherechte haben", beschreibt der deutsche Althistoriker,
Altphilologe und Wissenschaftsvermittler Karl-Wilhelm Weeber im
Gespräch mit dem Standard eine der Grundlagen für die Entstehung der
Demokratie im alten Athen.
Als die gegenwärtige Finanzkrise
über Griechenland hereinbrach, schrieb Weeber sein Buch Hellas sei
Dank! Was Europa den Griechen schuldet (Siedler), um daran zu erinnern,
wo die Fundamente der europäischen Kultur gelegt wurden: Was ist schon
eine Wirtschaftskrise gegen die Entwicklung der Demokratie, der
Philosophie, des Theaters?
Im alten Griechenland führte die
neue politische Anteilnahme der "Kakoi" , der "Schlechten", zu einem
neuen Selbstbewusstsein. "Nachdem die Aristokraten jahrhundertelang
gepredigt hatten, dass sie nichts wert sind, stellen die Unterdrückten
nun fest: Wir schaffen das auch!" - Ein Quantensprung im sozialen
Zusammenleben, der einen vergleichsweise großen Teil der Gesellschaft
mit neuem Ehrgeiz versah. Für Vollbürger wurde es selbstverständlich,
sich einzubringen - eine Eigenschaft, die heute wieder als Vorbild
dienen könnte. Die Rhetorik, Mittel der effektiven Beeinflussung, wurde
zur Kunstform.
Warum aber waren die Griechen so
erfolgreich? Warum sind ihre Lehren nicht im Staub der Geschichte
versunken wie viele andere? Auch sie waren beeinflusst von älteren
Kulturen und hatten etwa astronomisches Wissen von den Babyloniern
übernommen. Auch der Chronist Herodot glaubte, dass von den Barbaren
einiges zu lernen sei. "Die Griechen haben nicht alles erfunden, aber
sie haben über den Tellerrand hinausgesehen", sagt Weeber.
Antike Horizonterweiterung
Offenheit
und Wissensdrang, Annahmen hinzuschreiben und der Kritik preiszugeben,
einen Diskurs entstehen lassen - das seien alles Dinge, die uns die
Griechen mit auf den Weg gegeben haben, erklärt Weeber. "Sie haben uns
gelehrt, aus den Erfahrungen ein System abzuleiten und Methodiken zu
entwickeln."
Dass die Lehren der Griechen die Zeiten
überdauern konnten, ist den Römern zu verdanken. Auch sie legten eine
erstaunliche Offenheit und Adaptionsfähigkeit an den Tag: "Bei allem
Machtstreben, bei aller Gewalt, die sie ausgeübt haben, war es eine
große Leistung der Römer, dass sie ihre kulturelle Unterlegenheit
gegenüber den Griechen erkannt haben", erklärt Weeber, der mit dem Buch
Rom sei Dank! bereits auch die Leistungen der Römer gepriesen hat. "Sie
haben das Fremde angenommen. Sie haben es zum Vorbild und nicht platt
gemacht."
Die Römer übernahmen griechische Grundlagen in
Medizin, Mathematik, Theater, Ästhetik, Literatur, Philosophie. Sie
entwickelten sie weiter und verbreiteten sie in den eroberten Gebieten.
"Die kulturelle Missionierung war ein Mittel der Herrschaftssicherung,
ein Mittel, lokale Eliten an sich zu binden", sagt Weeber.
Die
Römer waren es auch, die den Grundstein für moderne Rechtssysteme
legten. "Die Abkopplung des Rechts von der Willkür der Priester ist
früh in der römischen Zeit passiert." Mit der Zeit kam eine große
Fallsammlung zustande, systematische Rechtsregeln gingen hervor. Man
konnte etwa nicht zweimal für dasselbe Delikt angeklagt werden. Im
Zweifel lag das Recht aufseiten des Angeklagten. Und, so Weeber: "Das
Eigentumsrecht wurde sehr hoch angesiedelt, das merken wir heute noch
in den europäischen Rechtsordnungen." Die Römer sind also mitschuld,
dass wir materiellen Dingen so viel Bedeutung geben, könnte man
folgern.
Kirche konserviert
Ausgerechnet das
Christentum sorgte dafür, dass das antike Wissen nicht vergessen
wurde. Die Kirche hielt die lateinische Sprache, den
"Transmissionsriemen in die Neuzeit", am Leben. Dank ihr wissen wir
heute etwa, dass im Mythos Zeus als weißer Stier die phönizische
Königstochter Europa mit eindeutigen Absichten übers Meer nach Kreta
entführte. Die alten Griechen und Römer entführten dagegen die Europäer
in eine Welt, in der systematisches Denken und gemeinsame
Entscheidungen als Ideale gelten.
Nota.
Das erklärt so gut wie gar nichts. Die Überlieferung aus der griechisch-römischen Antike geschah im Oströmische Reich und später im islamischen Raum viel ausdauernder und viel unmittelbarer als im Westreich und den barbarischen Herrschaften der Völkerwanderung. Die müssten demnach viel 'westlicher' geprägt sein als Europa.
Europa entstand vielmehr im Mittelalter aus der Rivalität der feudalen mit den kirchlichen Gewalten. Zwischen beiden konnte sich eine bürgerliche Welt auftun.
JE
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