Lenins bester Text heißt “Staat und Revolution”. Er schrieb ihn wenige Wochen vor dem Oktober. Er handelt davon, wie – nach Marx’ Prognose – nach der Machtergreifung des Proletariats der Staat absterben sollte. Die Diktatur des Proletariats würde vom ersten Tag an daran arbeiten, sich wieder abzuschaffen.
Es ist dann anders gekommen.
Revolution und Bürgerkrieg
Seit der ersten russischen Revolution von 1905 war das keine rein theoretische Frage. In einem grenzenlosen agrarischen Ozean gab es einige hoch moderne industrielle Inseln, deren Produktivität jedem Vergleich standhielt, und deren blutjunges, traditionsfreies Proletariat konzentrierter und revolutionärer war als im wohlhabenden Westen. Und der russischen Bourgeoisie, eingeklemmt zwischen zarischer Selbstherrschaft und proletarischer Revolution, bangte vor ihrem eigenen Schatten. Tatsächlich hat sie dann 1917 so gut wie keine Rolle gespielt.
“Sozialismus in Einem Land” oder permanente Revolution
Die Staatsmacht an sich reißen kann das Proletariat “in Einem Land”; weil eine Staatsmacht ja immer nur in einem Land herrscht. Anders kann auch eine Weltrevolution nicht beginnen. Aber das Kapital herrscht auf einem Weltmarkt. Ein Land, das daraus ausbricht, schneidet sich von den
Umso mehr, als die starke staatliche Macht, die nun die Produktion neu aufzubauen hat, zugleich auch die Verteilung besorgt. Und das Verteilen ist voller Versuchung. Wer an der Quelle sitzt, hat ein Privileg. Mit den Privilegien ist es wie mit der Gravitation. Viele widerstehen ihnen, aber nicht alle. Und die eine Seite wird immer größer, die andre immer kleiner. Da helfen keine Moralisierungskampagnen und keine Beschwörung des richtigen Bewusstsein, sondern nur… das Fortschreiten der Revolution in die Welt.
“Der Kommunismus ist empirisch nur als die Tat der herrschenden Völker ‘auf einmal’ und gleichzeitig möglich”, weil er die universelle Produktivkraft und den darauf beruhenden Weltverkehr voraussetzt, hieß es bei Karl Marx. Na ja, vielleicht nicht am selben Tag, aber doch in dem einem und selben fortlaufenden Prozess, mit Rückschlägen zwar, aber ohne Unterbrechung; Revolution “in Permanenz”, wie Marx zu präzisieren nicht vergaß.
Welche Politik?
Doch permanent ist die Revolution nicht von alleine; man muss es wollen. Die revolutionäre Krise nach dem Ersten Weltkrieg war erst 1923 einer kurzen Stabilisierung gewichen. Und prompt ergriff in Sowjetrussland die Fraktion die Macht, die ausdrücklich den “Sozialismus in Einem Land” zu ihrem Programm erklärte. Es war die Fraktion der ermüdeten alten Revolutionäre und der habgierigen jungen Bürokraten. Sie verwandelte die Kommunistische Internationale zu einem Instrument der sowjetischen Diplomatie: Einfluss auf die Innenpolitik der westlichen Länder nehmen, um Druck auf deren Außenpolitik zu üben: ‘Frieden mit der Sowjetmacht’ war die Losung, die Revolution konnte warten.
Hätten, bei einer andern Politik, weitere Revolutionen in Europa siegen und der Sowjetmacht zu Hilfe kommen können? Man weiß es nicht, denn es wurde nicht versucht. Der herrschenden Fraktion wäre es nicht gelegen gekommen; es hätte ihren Sieg untergraben. Die Alternative Stalin oder Trotzki war die Wahl zwischen der bürokratischen Konterrevolution in Russland und der permanenten Revolution in der Welt.
Eines hätte eine andere Politik der deutschen Kommunisten auf jeden Fall verhindern können und verhindern müssen: die Machtergreifung des Nationalsozialismus, jenem “letzten Bollwerk gegen den Bolschewismus”, nachdem die parlamentarische Demokratie abgedankt hatte.
Ohne Stalin kein Hitler. Und ohne Hitler kein Stalin: Der Große Terror der dreißiger Jahre und das Auswuchern der bürokratischen Herrschaft zum totalitären Moloch folgten dem nationalsozialistischen Modell. Vom “Zwillingsgestirn Hitler-Stalin” hat Leo Trotzki bitter gesprochen.
Die ganze alte Scheiße?
Viel schlimmer!
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