Das feudalbürokratische Vergeudungs- und Verknappungssystem
Man kann Gesellschaftsformen danach unterscheiden, durch welche Institution sie sicherstellen, dass ein Mehrprodukt entsteht, das akkumuliert werden kann und für Fortschritt sorgt.
Im Feudalzeitalter ist es der nur bedingte bäuerliche Besitz am Boden, durch den der Grundherr am Mehrprodukt teilhat und den Bauern zur Steigerung seiner Produktivität drängt. In der bürgerlichen Gesellschaft ist es der Austausch von Kapital und Arbeit, aus dem der akkumulierbare, neues Kapital bildende Mehrwert hervorgeht. Feudaladel und Bourgeoisie haben zu ihrer Zeit zum gesellschaftlichen Fortschritt beigetragen.
Ein parasitärer Auswuchs
Und wie war das mit der Sowjetbürokratie? Unter Stalin entstand eine Schwerindustrie, das ist wahr. Zugleich hat die Terrorherrschaft der Bürokratie – Zwangskollektivierung und Hungersnot, die Große Säuberung und der Gulag, die Zwangsumsiedlung ganzer Völkerschaften – ungezählte Millionen Menschenleben gekostet. Das war nicht zuletzt auch eine gewaltige Vernichtung von Produktivkraft.
Ob die Bürokratie zur Entwicklung der Produktivkräfte beiträgt, ist rein zufällig. Einem ökonomischen Zwang dazu unterliegt sie nicht. Auch sie verschlingt einen Teil des Mehrprodukts. Akkumuliert sie einen andern Teil? Welchen Teil sie verschlingt, das unterliegt keinerlei wirtschaftlichem Mechanismus, es ist rein willkürlich. Es kann auch mehr sein als das Mehrprodukt – sie macht auch vor der Substanz nicht halt, nichts hindert sie daran. Sie zehrt nur. Sie ist ein Parasit.
Der deutsche Stalinismus
Das stalinistische System ist in der sowjetischen Zone Deutschland fix und fertig an die Stelle des nationalsozialistischen Totalitarismus getreten. Vor dem Krieg war das sächsisch-thüringische Industrierevier neben dem Ruhrgebiet das zweite wirtschaftliche Herz Deutschlands. Am Ende der DDR konnte davon nicht mehr die Rede sein. Die Bürokratie hatte eine Desakkumulation zu Wege gebracht, Ruinen schaffen ohne Waffen.
Dabei hat nicht einmal das Politbüro geprasst wie ein orientalischer Despot. In Wandlitz war alles von fast bescheidenem kleinbürgerlichen Zuschnitt. Warum also dieser Niedergang?
1. Das Mehrprodukt fiel immer kleiner aus. Ab einem bestimmten Punkt ‘vermittelt’ die Bürokratie nicht mehr die mechanischen Fertigungsprozesse, sondern behindert sie. Sie verfügt über keinen eingebauten Zwang zur Einsparung (wie etwa der Kapitalist, der pleite geht, wenn er zu teuer produziert). Sie verfügt nicht einmal über ein Maß, um die Kosten zu ermitteln: Ohne freien Markt waren die Preise reine Phantasiegebilde von Günter Mittag. Die Produktivität konnte sinken, ohne dass es einer merkte.
2. Die Bürokratie wurde immer zahlreicher. Eine Bürokratie kann auf die Dauer nicht allein durch Terror herrschen. Sie muss sich, wie jede andere Herrschaft, endlich ‘legitimieren’. Der Terror kann für ein Weile durch ständige Beschwörung von Konterrevolution und Kriegsgefahr legitimiert werden. Aber er versetzt die Gesellschaft in Lähmung und Apathie. Auf die Dauer kann sich die Bürokratie nur legitimieren, indem sie ihre Basis erweitert. Indem sie immer mehr Andere an ihren Privilegien teilhaben lässt. Die Korruption – moralisch und materiell – wird zu ihrem allgegenwärtigen Herrschaftsmittel. Am Ende der DDR gab es kaum noch einen, der nicht durch seine Zugehörigkeit zu irgendeinem Kollektiv – “gesellschaftliche Organisation”, Blockpartei, Soliinitiative… – Zugang zu irgendeinem Vorrecht hatte, von dem die Andern ausgeschlossen waren (außer natürlich die “am meisten privilegierten gesellschaftlichen Gruppe”, die Kinder).
Bürokratische Feudalisierung
Zugleich setzt aber das Privileg allgemeine Knappheit voraus. Eine zügige wirtschaftliche Entfaltung, ein allgemeiner Wohlstand hätte die Bedingungen der bürokratischen Herrschaft untergraben. Sie lagen gar nicht im Interesse der “Verantwortlichen”. Da war es nicht nötig, dass sie sich untereinander zu systematischer Verschwendung verschworen hätten; es reichte aus, dass sie sie nicht wirksam bekämpften: Der Bock taugt nicht zum Gärtner.
Die Wege der Privilegierung waren nur zum kleinen Teil regulär und offiziell. In der großen Masse waren sie informell: Einer kennt einen, der wieder einen kennt… “Seilschaften” nannte man das schließlich, eine Hand wusch die andre. Es entstanden Abhängigkeitsverhältnisse in rein persönlichem, gefolgschaftlichen Rahmen, im Schatten der sichtbaren Hierarchien. Die innere Verfassung des bürokratischen Corps nahm schließlich ausgeprägt feudale Züge an. Zersplitterung und durchgängige Mediatisierung - kanonisch erfasst im Begriff der Nischengesellschaft.
Selbst das, was man die Besitz- oder Eigentumsverhältnisse nennen könnte, ähnelte einem feudalen Lehens-Verhältnis. Zwischen Parteifunktionären und Betriebsdirektoren bestanden Vasallitäten, die in gegenseitiger Loyalität begründet waren, aber in jedem Fall nur bedingt galten – je nach den Gleichgewichten im bürokratischen Gesamtgefüge.
Die gesellschaftlichen Produktivkräfte hatten gegen Ende der DDR angefangen zu schrumpfen. Schon der Augenschein einer Bahnfahrt durch Leuna und Merseburg machte es deutlich. Ohne die Kredite aus der Bundesrepublik wäre das System schon Jahre vorher zusammen gebrochen.
Der unaufhaltsame Untergang
Es ist wahr, die horrenden Kosten der Hochrüstung haben ihren – aus den genannten Gründen nicht kalkulierbaren – Teil zum Raubbau an der Substanz beigetragen. Aber der Kalte Krieg und sein kleiner Bruder, die Friedliche Koexistenz, waren kein Paletot, den die östlichen Regimes an der Garderobe hätten ablegen können. Sie waren der kümmerliche, jämmerliche Rest, den Stalins “Sozialismus in Einem Land” von der Weltrevolution schließlich übrig gelassen hat. Aber völlig darauf verzichten konnten sie nicht. Nur unter dem Etikett “Sozialismus” (eingeschränkt durch “realexistierend”) konnte die Bürokratie ihre Herrschaft schlecht und recht legitimieren, sie musste Friedenslager und Siegerseite der Weltgeschichte bleiben bis zum bittern Ende…
Ach, bitter? Manchem Betriebsleiter ist es gar nicht so schwer gefallen, sich vom feudalbürokratischen Bonzen zum kapitalistischen Boss zu mausern, und hätte die Bundesrepublik nicht mit der D-Mark auch die Öffentlichkeit nach Ostdeutschland gebracht, wären wir dort Zeugen der selben Art von “ursprünglicher Akkumulation des Kapitals” geworden wie in Boris Jelzins Wildem Osten; na ja, allzu viele (lebende) Zeugen nicht…
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