Martin Bossenbroeks Geschichte des Burenkriegs
«Kapholländer» gegen Briten
Den
blutigen Konflikt zwischen Grossbritannien und den Burenrepubliken
Oranje-Freistaat und Transvaal (1899–1902) schildert der niederländische
Historiker Martin Bossenbroek aus drei Perspektiven.
Dem
kenntnisreichen und spannenden Buch, um das es hier geht, wünscht man
viele Leser. Aber ob es sie finden wird? Auf das
Sechshundert-Seiten-Werk des niederländischen Historikers Martin
Bossenbroek muss man sich einlassen wollen, es handelt von einem fast
vergessenen Krieg und dessen komplexer Vorgeschichte. Die Handlung
spielt in einer im Bewusstsein deutschsprachiger Leser geografisch doch
entlegenen Zone: in Südafrika am Übergang zum 20. Jahrhundert. Mancher
mag damit gerade noch die «Krüger-Depesche» verbinden, das
Gratulationstelegramm Wilhelms II. an den Burenpräsidenten Paul Kruger
(der im Deutschen üblicherweise als «Krüger» figuriert), abgeschickt
Anfang Januar 1896 – nach einem gescheiterten, britisch inspirierten
Putschversuch, dem im Buch ausführlich dargestellten «Jameson Raid» in
der burischen Republik Transvaal.
Drei Männer
Für
Niederländer ist das etwas anders, in ihrem historischen Bewusstsein
hat die Inbesitznahme der Kap-Region durch Händler der niederländischen
Ostindien-Kompanie und durch Abenteurer immer eine Rolle gespielt. Man
fühlte sich den Buren (wie sich die Ausgewanderten nannten) – einmal
mehr, einmal weniger – verbunden; so ist es bis nach dem Zweiten
Weltkrieg gewesen. Martin Bossenbroek, Professor für Geschichte an der
Universität Utrecht, hat sein Buch über den Burenkrieg für ein Publikum
geschrieben, das eine Art Grundverständnis hat für die Geschichte der
«Kapholländer», wie eine alte Bezeichnung lautet.
Der
Autor erzählt gut und mit der lockeren Souveränität dessen, der seine
Materie beherrscht. In Andreas Ecke hat er einen kongenialen Übersetzer
gefunden. – Männer machen auch in dieser Darstellung Geschichte: Der
erste Teil, der im Juni 1884 einsetzt, hat den niederländischen Juristen
und späteren Generalstaatsanwalt Willem Leids, und damit eine Art
Justizminister der burischen Republik Transvaal, als Hauptfigur; der
Protagonist des zweiten Teils, der die ersten Monate des Krieges
umfasst, ist der junge Winston Churchill, Kriegsberichterstatter für ein
Londoner Blatt und damals bereits berühmt durch seine Berichte und Bücher aus Afghanistan und dem Sudan;
das für die Buren bittere Ende im Jahr 1902 schliesslich – die
Niederlage gegen das Empire, dem Präsident Kruger 1899 den Krieg erklärt
hatte – zeichnet Bossenbroek am Beispiel des Farmersohns und jungen
burischen Kämpfers Deneys Reitz nach.
Diese
drei Männer zu nehmen, um einen besonders blutigen und gnadenlos
geführten Kolonialkrieg anschaulich zu machen, ist aus zwei Gründen eine
gute Idee. Zum einen haben die drei das für einen Historiker Wichtigste
hinterlassen: Quellen in Form von Tagebüchern und Briefen oder auch,
wie im Fall Churchills, Reportagen. All diese Dokumente baut Bossenbroek
mit grossem erzählerischem Geschick und unter Verwendung weiterer
Zeugnisse sowie der reichlich vorhandenen Sekundärliteratur in seine
Geschichte des Krieges ein. Churchills Briefe und Artikel sind zwar
schon lange bekannt, doch sind sie zu spannend geschrieben, als dass ein
auf gute Dramaturgie setzender Autor sie hätte vernachlässigen dürfen.
(Ausserdem stammen sie eben von Winston Churchill...)
Zum
anderen stehen die drei Namen für den perspektivenreichen Zugang, den
Bossenbroek zu seinem Thema wählt: Leids, lange Zeit die rechte Hand und
der Vertraute Präsident Krugers (später repräsentierte er die Buren in
Europa), dient Bossenbroek dazu, den Krieg und seine Vorgeschichte aus
niederländischer Perspektive zu erzählen und die durchaus emotionale
Verbindung des Königreichs zu den Buren zu zeigen. Churchill, der junge
Imperialist aus bestem Hause, verkörpert auf seine Weise Macht und
Arroganz des Empire; Reitz schliesslich ist der bodenständige
Afrikaaner, der für seine Heimat gegen die Invasoren aus Übersee kämpft.
Warum
überhaupt provozierte das mächtige Empire, das immerhin über die
Kapkolonie bestimmte, einen Krieg mit den beiden Burenrepubliken? Denn
so war es, Krugers Kriegserklärung erfolgte nach langen Reibereien und
Konflikten mit den Briten. Dabei ging es immer wieder um den Begriff der
«Suzeränität», nämlich um die behauptete Oberherrschaft des Empire über
Transvaal und den Oranje-Freistaat. Eine solche britische
Oberherrschaft bestritten die Buren und verwehrten ihrerseits den wegen
der reichen Bodenschätze (wie Gold und Diamanten) auf das Gebiet der
beiden Republiken drängenden britischen «Uitlanders» eine rechtliche
Gleichstellung. Schliesslich beschloss man in London, sich die beiden
Burenstaaten einzuverleiben; über die entscheidenden Gründe, ob
ökonomische, geostrategische oder womöglich psychologisch zu
beurteilende, streiten Historiker bis heute.
Konzentrationslager
Beantworten
kann auch Bossenbroek die Frage nach den ausschlaggebenden Gründen
letztlich nicht. Ihm gelingt dennoch ein denkbar genaues Bild dieses
Krieges, der auch deswegen so trostlos war, weil zum ersten Mal
Zivilbevölkerung in Lager gesperrt wurde, in denen Zehntausende umkamen;
46 000 Weisse und Nichtweisse (Schwarze, «Farbige» und Inder)
überlebten die Internierung durch die Briten in den «concentration
camps» nicht; 230 000 Menschen wurden insgesamt interniert, darunter
viele Kinder.
In diesem
blutigen Konflikt scheint das kommende Jahrhundert seine dunklen
Schatten vorausgeworfen zu haben. Nimmt man etwa die Grabenkämpfe zu
Beginn des Krieges, die britische Strategie der verbrannten Erde oder
auch die hohe Zahl toter Soldaten, Kämpfer und Zivilisten sowie die
immensen finanziellen Kosten, so darf der Burenkrieg durchaus als
Vorfahr der Grosskriege des 20. Jahrhunderts gelten. Auch das weltweite
Medienecho war, dank über zweihundert Berichterstattern, Fotografen und
Zeichnern, gross. All dies verwebt Martin Bossenbroek zu einer
brillanten Meistererzählung, die auch nicht unerwähnt lässt, wie tief
die Geschichte Südafrikas bis zum Ende des Apartheidregimes von den
Folgen dieses Krieges geprägt war.
Martin Bossenbroek: Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs. Aus dem
Niederländischen: Andreas Ecke. C. H. Beck, München 2016. 624 S., Fr. 42.90.
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