Donnerstag, 19. Mai 2016

Der Burenkrieg.

aus nzz.ch, 18.5.2016
 
Martin Bossenbroeks Geschichte des Burenkriegs
«Kapholländer» gegen Briten

Den blutigen Konflikt zwischen Grossbritannien und den Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Transvaal (1899–1902) schildert der niederländische Historiker Martin Bossenbroek aus drei Perspektiven.
 
von Cord Aschenbrenner 

Dem kenntnisreichen und spannenden Buch, um das es hier geht, wünscht man viele Leser. Aber ob es sie finden wird? Auf das Sechshundert-Seiten-Werk des niederländischen Historikers Martin Bossenbroek muss man sich einlassen wollen, es handelt von einem fast vergessenen Krieg und dessen komplexer Vorgeschichte. Die Handlung spielt in einer im Bewusstsein deutschsprachiger Leser geografisch doch entlegenen Zone: in Südafrika am Übergang zum 20. Jahrhundert. Mancher mag damit gerade noch die «Krüger-Depesche» verbinden, das Gratulationstelegramm Wilhelms II. an den Burenpräsidenten Paul Kruger (der im Deutschen üblicherweise als «Krüger» figuriert), abgeschickt Anfang Januar 1896 – nach einem gescheiterten, britisch inspirierten Putschversuch, dem im Buch ausführlich dargestellten «Jameson Raid» in der burischen Republik Transvaal.

Drei Männer

Für Niederländer ist das etwas anders, in ihrem historischen Bewusstsein hat die Inbesitznahme der Kap-Region durch Händler der niederländischen Ostindien-Kompanie und durch Abenteurer immer eine Rolle gespielt. Man fühlte sich den Buren (wie sich die Ausgewanderten nannten) – einmal mehr, einmal weniger – verbunden; so ist es bis nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Martin Bossenbroek, Professor für Geschichte an der Universität Utrecht, hat sein Buch über den Burenkrieg für ein Publikum geschrieben, das eine Art Grundverständnis hat für die Geschichte der «Kapholländer», wie eine alte Bezeichnung lautet.

Der Autor erzählt gut und mit der lockeren Souveränität dessen, der seine Materie beherrscht. In Andreas Ecke hat er einen kongenialen Übersetzer gefunden. – Männer machen auch in dieser Darstellung Geschichte: Der erste Teil, der im Juni 1884 einsetzt, hat den niederländischen Juristen und späteren Generalstaatsanwalt Willem Leids, und damit eine Art Justizminister der burischen Republik Transvaal, als Hauptfigur; der Protagonist des zweiten Teils, der die ersten Monate des Krieges umfasst, ist der junge Winston Churchill, Kriegsberichterstatter für ein Londoner Blatt und damals bereits berühmt durch seine Berichte und Bücher aus Afghanistan und dem Sudan; das für die Buren bittere Ende im Jahr 1902 schliesslich – die Niederlage gegen das Empire, dem Präsident Kruger 1899 den Krieg erklärt hatte – zeichnet Bossenbroek am Beispiel des Farmersohns und jungen burischen Kämpfers Deneys Reitz nach.

Diese drei Männer zu nehmen, um einen besonders blutigen und gnadenlos geführten Kolonialkrieg anschaulich zu machen, ist aus zwei Gründen eine gute Idee. Zum einen haben die drei das für einen Historiker Wichtigste hinterlassen: Quellen in Form von Tagebüchern und Briefen oder auch, wie im Fall Churchills, Reportagen. All diese Dokumente baut Bossenbroek mit grossem erzählerischem Geschick und unter Verwendung weiterer Zeugnisse sowie der reichlich vorhandenen Sekundärliteratur in seine Geschichte des Krieges ein. Churchills Briefe und Artikel sind zwar schon lange bekannt, doch sind sie zu spannend geschrieben, als dass ein auf gute Dramaturgie setzender Autor sie hätte vernachlässigen dürfen. (Ausserdem stammen sie eben von Winston Churchill...)

Zum anderen stehen die drei Namen für den perspektivenreichen Zugang, den Bossenbroek zu seinem Thema wählt: Leids, lange Zeit die rechte Hand und der Vertraute Präsident Krugers (später repräsentierte er die Buren in Europa), dient Bossenbroek dazu, den Krieg und seine Vorgeschichte aus niederländischer Perspektive zu erzählen und die durchaus emotionale Verbindung des Königreichs zu den Buren zu zeigen. Churchill, der junge Imperialist aus bestem Hause, verkörpert auf seine Weise Macht und Arroganz des Empire; Reitz schliesslich ist der bodenständige Afrikaaner, der für seine Heimat gegen die Invasoren aus Übersee kämpft.

Warum überhaupt provozierte das mächtige Empire, das immerhin über die Kapkolonie bestimmte, einen Krieg mit den beiden Burenrepubliken? Denn so war es, Krugers Kriegserklärung erfolgte nach langen Reibereien und Konflikten mit den Briten. Dabei ging es immer wieder um den Begriff der «Suzeränität», nämlich um die behauptete Oberherrschaft des Empire über Transvaal und den Oranje-Freistaat. Eine solche britische Oberherrschaft bestritten die Buren und verwehrten ihrerseits den wegen der reichen Bodenschätze (wie Gold und Diamanten) auf das Gebiet der beiden Republiken drängenden britischen «Uitlanders» eine rechtliche Gleichstellung. Schliesslich beschloss man in London, sich die beiden Burenstaaten einzuverleiben; über die entscheidenden Gründe, ob ökonomische, geostrategische oder womöglich psychologisch zu beurteilende, streiten Historiker bis heute.

Konzentrationslager

Beantworten kann auch Bossenbroek die Frage nach den ausschlaggebenden Gründen letztlich nicht. Ihm gelingt dennoch ein denkbar genaues Bild dieses Krieges, der auch deswegen so trostlos war, weil zum ersten Mal Zivilbevölkerung in Lager gesperrt wurde, in denen Zehntausende umkamen; 46 000 Weisse und Nichtweisse (Schwarze, «Farbige» und Inder) überlebten die Internierung durch die Briten in den «concentration camps» nicht; 230 000 Menschen wurden insgesamt interniert, darunter viele Kinder.

In diesem blutigen Konflikt scheint das kommende Jahrhundert seine dunklen Schatten vorausgeworfen zu haben. Nimmt man etwa die Grabenkämpfe zu Beginn des Krieges, die britische Strategie der verbrannten Erde oder auch die hohe Zahl toter Soldaten, Kämpfer und Zivilisten sowie die immensen finanziellen Kosten, so darf der Burenkrieg durchaus als Vorfahr der Grosskriege des 20. Jahrhunderts gelten. Auch das weltweite Medienecho war, dank über zweihundert Berichterstattern, Fotografen und Zeichnern, gross. All dies verwebt Martin Bossenbroek zu einer brillanten Meistererzählung, die auch nicht unerwähnt lässt, wie tief die Geschichte Südafrikas bis zum Ende des Apartheidregimes von den Folgen dieses Krieges geprägt war.

Martin Bossenbroek: Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs. Aus dem Niederländischen: Andreas Ecke. C. H. Beck, München 2016. 624 S., Fr. 42.90.

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