Donnerstag, 12. Mai 2016

Der Krieg um Troja.


Trojanisches Pferd

Unter dem Titel Entscheidungsschlacht um Troja veröffentlicht die Neue Zürcher heute eine Beitrag von Thomas Ribi über die Thesen, die der Zürcher Forschers Eberhard Zangger seit zwanzig Jahren über den Untergang des Hethiterrreichs auf der einen und der minoisch-mykenischen Staaten auf der andern Seite vertritt. Im Zentrum seiner Theorie steht Troja, das er als Hochburg einer Konföderation westanatolischer Stadtstaaten ansieht (die er im übrigen als die sagenumwobenen "Seevölker" identifiziert). 

Bei seinem ersten, etwas zu publikumswirksamen Auftreten war Zangger von der Altertumswissenschaft mit Hohn und Spott überzogen worden. Inzwischen ist er seriöser geworden und hat auf einige besonders extravagante Details verzichtet. Nun fände er langsam doch Eingang in die Diskussionen der althistorischen Fachwelt...


...Das ist lange her, der Rauch hat sich verzogen. Unter der Asche aber glüht es weiter. Eberhard Zangger ist seit langem in einer anderen Branche tätig. Doch die Leidenschaft für die Archäologie und für die antike Mittelmeerwelt, die hat er sich bewahrt. Er ist nach wie vor überzeugt von seiner These. Und er nimmt einen neuen Anlauf, um sie zu untermauern. Mit einem Buch, das dieser Tage erscheint, und mit einer Website will er den Impuls aufnehmen, den er in den neunziger Jahren zu setzen versuchte. Zusammen mit Mitarbeitern hat er an seinem privaten Institut in Zürich die Fakten zur Besiedlung des antiken Kleinasien aufgearbeitet. Trägerschaft seiner Forschung ist eine Stiftung, deren Stiftungsrat unter anderem der ehemalige Präsident der ETH Zürich, Olaf Kübler, und der Hamburger Literaturwissenschafter Jan Philipp Reemtsma angehören.

Die Grundthese ist die gleiche wie vor zwanzig Jahren: Die radikalen Veränderungen, die am Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends in Kleinasien und in der östlichen Ägäis in kurzer Zeit zum Zusammenbruch mehrerer Grossreiche führten, sind Ergebnis von gewaltigen kriegerischen Auseinandersetzungen. «Ein Weltkrieg, nach heutigem Verständnis», sagt Zangger. Als grosse Player standen sich die Hethiter in der heutigen Osttürkei und die mykenischen, minoischen und kykladischen Fürstentümer in der Ostägäis gegenüber. Und dazwischen? Da lag zum Beispiel Troja. Die Stadt sei einiges grösser gewesen, als man heute annehme, so Zangger. Aber natürlich nicht so gross, dass sie den beiden Machtblöcken hätte die Stirn bieten können.

Ein Machtvakuum habe es trotzdem nicht gegeben zwischen den beiden Blöcken, im Gegenteil. Der Westen Kleinasiens sei überzogen gewesen von Fürstensitzen und Kleinstaaten, die weder der mykenischen Zivilisation noch der hethitischen Kultur zugeordnet werden können. Über dreihundert Siedlungsplätze sind bekannt. Zangger hat sie alle katalogisiert. Von einzelnen kennt man sogar die Namen.

Allein, so Eberhard Zangger, hatten diese Kleinstaaten keine Chance gegen die mächtigen Nachbarn. Als Bündnis aber dürften sie deren politische, militärische und wirtschaftliche Macht sogar übertroffen haben. Und gemeinsam kämpften sie gegen die Hethiter. Die in ägyptischen Quellen erwähnten «Seevölker» seien nichts anderes gewesen als die vereinten Fürstentümer aus dem Westen Kleinasiens, postuliert Zangger. Und er gibt ihnen sogar einen Namen: «Luwier» nennt er sie, mit einem Begriff aus der Sprachwissenschaft. Sie bauten Anfang des zwölften vorchristlichen Jahrhunderts eine Flotte, erhoben sich von der türkischen Südküste her gegen die mächtigen Herren im Osten und wurden ein, zwei Jahrzehnte später, um 1180 v. Chr., vor Troja von mykenischen Fürsten vernichtend geschlagen.

Ein Krieg um Troja fand statt, sagt Eberhard Zangger. Dass die Stadt durch eine Naturkatastrophe zerstört wurde, sei unwahrscheinlich. Anders als vor zwanzig Jahren steht er heute nicht ohne Beistand der zünftigen Wissenschaft da. Beat Näf, Professor für alte Geschichte an der Universität Zürich, ist Zanggers Stiftung als Stiftungsrat verbunden. Der emeritierte Zürcher Althistoriker Christian Marek steht dem Unternehmen mit Interesse gegenüber, auch wenn er bei einzelnen Punkten Fragezeichen setzt. Zangger seinerseits hat seinen Thesen die schärfsten Stachel gezogen. Auf die phantastische Gleichsetzung von Troja mit Atlantis verzichtet er nun. Im Buch taucht der Begriff Atlantis nirgends auf – auch wenn seine Rekonstruktion Trojas zeigt, dass sich Zangger nicht von der Vorstellung verabschiedet hat, dass die Stadt über ringförmig angelegte Gräben verfügte, die geflutet werden konnten. Belege dafür gibt es bis jetzt nicht.

Eine Seemacht aus Anatolien

Mit seinem neuen Blick auf die ägäische Bronzezeit wirft der Aussenseiter aus Zürich der Forschung noch einmal den Fehdehandschuh hin und hofft, sie nehme ihn diesmal auf. Er ist zuversichtlich. Heute sei eine neue Generation von Wissenschaftern am Werk. Auf Kritik ist Zangger gefasst. Und Fragen stellen sich zuhauf: Ist es legitim, das sprachlich und kulturell heterogene Völkergemisch im Westen Kleinasiens als Luwier zu einer mehr oder weniger kompakten Volksgruppe zu machen? Können ein paar kleine anatolische Fürstentümer über Nacht zu einer Seemacht werden, vor der man sich bis Ägypten fürchtet? Und darf man aus archäologischen Befunden nicht nur Kulturgeschichte, sondern auch historische Abläufe rekonstruieren? «Ich behaupte nicht, dass ich eine definitive Lösung gefunden habe», sagt Eberhard Zangger. Aber über Thesen müsse man diskutieren, ohne Vorurteile.

Das ist richtig. Und gerade der Trojaforschung würde es gut anstehen, die Scheuklappen abzulegen. Den bis heute wichtigsten Impuls gab ihr nämlich nicht ein Archäologe, sondern ein Kaufmann aus Mecklenburg: Nur von der «Ilias» geleitet, begann Heinrich Schliemann 1870 bei Hisarlık an der türkischen Westküste zu graben – und fand nach der heute gängigen Ansicht die Ruinen des antiken Troja.

Eberhard Zangger: The Luwian Civilisation. The Missing Link in the Aegean Bronze Age. Yayinlari-Verlag, Istanbul 2016. 294 S. Informationen unter: www.luwianstudies.org

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen