Trojanisches Pferd
Unter dem Titel Entscheidungsschlacht um Troja veröffentlicht die Neue Zürcher heute eine Beitrag von Eberhard Zangger seit zwanzig Jahren über den Untergang des Hethiterrreichs auf der einen und der minoisch-mykenischen Staaten auf der andern Seite vertritt. Im Zentrum seiner Theorie steht Troja, das er als Hochburg einer Konföderation westanatolischer Stadtstaaten ansieht (die er im übrigen als die sagenumwobenen "Seevölker" identifiziert).
Bei seinem ersten, etwas zu publikumswirksamen Auftreten war Zangger von der Altertumswissenschaft mit Hohn und Spott überzogen worden. Inzwischen ist er seriöser geworden und hat auf einige besonders extravagante Details verzichtet. Nun fände er langsam doch Eingang in die Diskussionen der althistorischen Fachwelt...
...Das ist lange her, der Rauch hat sich verzogen. Unter der Asche aber glüht es weiter. Eberhard Zangger ist seit langem in einer anderen Branche tätig. Doch die Leidenschaft für die Archäologie und für die antike Mittelmeerwelt, die hat er sich bewahrt. Er ist nach wie vor überzeugt von seiner These. Und er nimmt einen neuen Anlauf, um sie zu untermauern. Mit einem Buch, das dieser Tage erscheint, und mit einer Website will er den Impuls aufnehmen, den er in den neunziger Jahren zu setzen versuchte. Zusammen mit Mitarbeitern hat er an seinem privaten Institut in Zürich die Fakten zur Besiedlung des antiken Kleinasien aufgearbeitet. Trägerschaft seiner Forschung ist eine Stiftung, deren Stiftungsrat unter anderem der ehemalige Präsident der ETH Zürich, Olaf Kübler, und der Hamburger Literaturwissenschafter Jan Philipp Reemtsma angehören.
Die Grundthese ist
die gleiche wie vor zwanzig Jahren: Die radikalen Veränderungen, die am
Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends in Kleinasien und in der
östlichen Ägäis in kurzer Zeit zum Zusammenbruch mehrerer Grossreiche
führten, sind Ergebnis von gewaltigen kriegerischen
Auseinandersetzungen. «Ein Weltkrieg, nach heutigem Verständnis», sagt
Zangger. Als grosse Player standen sich die Hethiter in der heutigen
Osttürkei und die mykenischen, minoischen und kykladischen Fürstentümer
in der Ostägäis gegenüber. Und dazwischen? Da lag zum Beispiel Troja.
Die Stadt sei einiges grösser gewesen, als man heute annehme, so
Zangger. Aber natürlich nicht so gross, dass sie den beiden Machtblöcken
hätte die Stirn bieten können.
Ein
Machtvakuum habe es trotzdem nicht gegeben zwischen den beiden Blöcken,
im Gegenteil. Der Westen Kleinasiens sei überzogen gewesen von
Fürstensitzen und Kleinstaaten, die weder der mykenischen Zivilisation
noch der hethitischen Kultur zugeordnet werden können. Über dreihundert
Siedlungsplätze sind bekannt. Zangger hat sie alle katalogisiert. Von
einzelnen kennt man sogar die Namen.
Allein,
so Eberhard Zangger, hatten diese Kleinstaaten keine Chance gegen die
mächtigen Nachbarn. Als Bündnis aber dürften sie deren politische,
militärische und wirtschaftliche Macht sogar übertroffen haben. Und
gemeinsam kämpften sie gegen die Hethiter. Die in ägyptischen Quellen
erwähnten «Seevölker» seien nichts anderes gewesen als die vereinten
Fürstentümer aus dem Westen Kleinasiens, postuliert Zangger. Und er gibt
ihnen sogar einen Namen: «Luwier» nennt er sie, mit einem Begriff aus
der Sprachwissenschaft. Sie bauten Anfang des zwölften vorchristlichen
Jahrhunderts eine Flotte, erhoben sich von der türkischen Südküste her
gegen die mächtigen Herren im Osten und wurden ein, zwei Jahrzehnte
später, um 1180 v. Chr., vor Troja von mykenischen Fürsten vernichtend
geschlagen.
Ein Krieg um Troja
fand statt, sagt Eberhard Zangger. Dass die Stadt durch eine
Naturkatastrophe zerstört wurde, sei unwahrscheinlich. Anders als vor
zwanzig Jahren steht er heute nicht ohne Beistand der zünftigen
Wissenschaft da. Beat Näf, Professor für alte Geschichte an der
Universität Zürich, ist Zanggers Stiftung als Stiftungsrat verbunden.
Der emeritierte Zürcher Althistoriker Christian Marek steht dem
Unternehmen mit Interesse gegenüber, auch wenn er bei einzelnen Punkten
Fragezeichen setzt. Zangger seinerseits hat seinen Thesen die schärfsten
Stachel gezogen. Auf die phantastische Gleichsetzung von Troja mit
Atlantis verzichtet er nun. Im Buch taucht der Begriff Atlantis nirgends
auf – auch wenn seine Rekonstruktion Trojas zeigt, dass sich Zangger
nicht von der Vorstellung verabschiedet hat, dass die Stadt über
ringförmig angelegte Gräben verfügte, die geflutet werden konnten.
Belege dafür gibt es bis jetzt nicht.
Eine Seemacht aus Anatolien
Mit
seinem neuen Blick auf die ägäische Bronzezeit wirft der Aussenseiter
aus Zürich der Forschung noch einmal den Fehdehandschuh hin und hofft,
sie nehme ihn diesmal auf. Er ist zuversichtlich. Heute sei eine neue
Generation von Wissenschaftern am Werk. Auf Kritik ist Zangger gefasst.
Und Fragen stellen sich zuhauf: Ist es legitim, das sprachlich und
kulturell heterogene Völkergemisch im Westen Kleinasiens als Luwier zu
einer mehr oder weniger kompakten Volksgruppe zu machen? Können ein paar
kleine anatolische Fürstentümer über Nacht zu einer Seemacht werden,
vor der man sich bis Ägypten fürchtet? Und darf man aus archäologischen
Befunden nicht nur Kulturgeschichte, sondern auch historische Abläufe
rekonstruieren? «Ich behaupte nicht, dass ich eine definitive Lösung
gefunden habe», sagt Eberhard Zangger. Aber über Thesen müsse man
diskutieren, ohne Vorurteile.
Das
ist richtig. Und gerade der Trojaforschung würde es gut anstehen, die
Scheuklappen abzulegen. Den bis heute wichtigsten Impuls gab ihr nämlich
nicht ein Archäologe, sondern ein Kaufmann aus Mecklenburg: Nur von der
«Ilias» geleitet, begann Heinrich Schliemann 1870 bei Hisarlık an der
türkischen Westküste zu graben – und fand nach der heute gängigen
Ansicht die Ruinen des antiken Troja.
Eberhard Zangger: The Luwian Civilisation. The Missing Link
in the Aegean Bronze Age. Yayinlari-Verlag, Istanbul 2016. 294 S. Informationen
unter: www.luwianstudies.org
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen