Wortschleim
Ein Weckruf von Roland Kaehlbrandt
Lassen wir die deutsche Sprache verkommen?
«Imponierdeutsch»,
«Lockerdeutsch» und andere Symptome des Sprachverfalls – der Philologe
Roland Kaehlbrandt spiesst sie auf und plädiert für eine selbstbewusste
Kultivierung des Sprachgefühls.An der deutschen Sprache liess Mark Twain beinahe kein gutes Haar, als er sie sich 1880 in seinem Essay «The Awful German Language» vornahm und genüsslich etliche ihrer Sonderbarkeiten vorführte. Zusammengesetzte Wörter von einiger Länge – «alphabetische Prozessionen» – provozierten den amerikanischen Schriftsteller ganz besonders zu humoristischen Sticheleien, etwa die eindrucksvolle «Generalstaatenverordnetenversammlung» oder auch die «Kleinkinderbewahrungsanstalt».
Mühelos Wörter zusammenfügen und so neue Wörter schaffen zu können, preist der Philologe Roland Kaehlbrandt hingegen als einen der Vorzüge der deutschen Sprache; diese Möglichkeit mache sie «wendig», schreibt er in seinem unlängst erschienenen «Logbuch Deutsch». Freilich hat er vornehmlich kürzere Kombinationen wie «Datenautobahn» oder «fremdschämen» vor Augen, die zudem einen Erkenntnismehrwert (auch so ein Wort?) mit sich bringen. Doch selbst einem Wortungetüm wie «Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz» vermag der Autor etwas abzugewinnen; unschön sei es, immerhin aber bündele es «eine komplette Information».
Am Anfang eine Ode
In
seiner Ode auf das Deutsche rechnet Kaehlbrandt neben dem wunderbar
vermehrbaren Wortschatz und anderem auch die sogenannten
Abtönungspartikeln zu deren grossen Vorzügen, beispielsweise das «denn»
(«Wie geht es dir denn?») oder das «halt» («Mach's halt!»). Im
gesprochenen Deutsch gibt es viele, und sie spielen eine kaum zu
überschätzende, die Rede «tönende» Rolle, während sie in vielen anderen
Sprachen (etwa im Französischen) deutlich seltener sind. Nicht zuletzt
rühmt der Verfasser den flexiblen deutschen Satzbau. Die nahezu
grenzenlose Freiheit der Wortstellung im Satz verdankt sich dem
differenzierten Kasussystem, das Mark Twain selbstredend auch nicht
mochte. Elastizität im Satzbau erlaubt feinste Nuancierungen, die
Kaehlbrandt anhand der mehrfachen Variation des schlichten Satzes «Ich
habe ihm das Buch geschenkt» veranschaulicht: «Ihm habe ich das Buch
geschenkt» akzentuiert einen Aspekt; «geschenkt habe ich ihm das Buch»
einen anderen – und so weiter.
Doch
der Lobgesang auf das Deutsche – «das Wunder Deutsch» – nimmt nur
wenige Seiten ein; auf seiner grösseren Strecke liest das Buch sich wie
ein Weckruf: Seht her, so gehen wir mit unserer Sprache um – wir
schätzen sie gering, verhunzen sie, höhlen sie aus, lassen sie verarmen
und verludern, geben sie gar auf. «Wir», die Adressaten der Klage, das
sind im Prinzip alle Deutschsprechenden, bisweilen aber – dann, wenn es
um Sprach- und also auch Bildungspolitik geht – insbesondere die in
Deutschland und in der Europäischen Union Lebenden deutscher Zunge.
Auf
seinen Exkursionen durch die real existierende Sprachpraxis füllt
Kaehlbrandt das Logbuch zunächst mit Beobachtungen zu dem, was er
«Imponierdeutsch» nennt und was andere als «Distinktionsjargon des
politischen und ökonomischen Establishments» bezeichnet haben: ein aus
dem Managementbereich kommendes, dem Effizienzdenken huldigendes,
technokratisch grundiertes Idiom, in dem fortwährend von Wandel und
Strategie, von Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Innovation die Rede
ist und dessen Leerheit laut dröhnt, wenn «Fachexperten» bemüht,
«sektorielle Bereiche» identifiziert oder «konkrete Einzelfälle»
besprochen werden.
Vom
«Imponierdeutschen» ist es nur ein kleiner Schritt zu den Anglizismen,
die in Wendungen wie «Für mich ist es fein, am Ende des Tages» ihre
kuriosen Blüten ebenso treiben wie im «Facility-Manager», der den
«Hausmeister» oder, in der Schweiz, den «Abwart» verdrängt hat. Auch mit
derlei pumpen sich Sprecher gedankenlos auf. Kaehlbrandt will
Anglizismen natürlich nicht verboten wissen, er ermuntert aber dazu,
eigene Wörter zu erfinden, wie es Sprachpfleger und Sprachschöpfer seit
dem 17. Jahrhundert getan hätten – und er kann unter anderem auf das
schöne Wort «Leidenschaft» verweisen, das in jenem Jahrhundert als
Ersatz für das französische «passion» geprägt wurde. Aus dem Geist jener
Zeit, so deutet der Autor gleich zu Beginn des sonst kaum Pathetik
atmenden Buches an, sei das heutige Deutsch geboren; «aus dem Freigeist
von Späthumanismus und Aufklärung» sei es «gegen die französisch
sprechenden Fürstenhöfe und gegen die lateinisch dominierten
Wissenschaften zu einer verständlichen Sprache für alle Bürger
ausgebaut» worden.
Das Sprachgefühl
Die
Wissenschaften gehen heute – auch dort, wo es keinen Sinn ergibt –
wieder zum Lateinischen über, das nun das Englische ist (oft genug eine
Pidgin-Version). Diese beklagenswerte Tendenz, die eine
erkenntnisförderliche kulturelle Vielfalt gefährdet und einer blassen
Monokultur den Weg bereitet, beklagt Kaehlbrandt ebenso wie die
Auswüchse einer vermeintlich «geschlechtergerechten» Sprache und die
«zwanghafte Zwanglosigkeit» des auch in öffentlichen und
institutionellen Bereichen um sich greifenden «Lockerdeutschen», das die
«Hallogesellschaft» in die Banalisierung und Distanzlosigkeit driften
lasse.
Der Weckruf Roland
Kaehlbrandts ist zugleich ein Aufruf, das Sprachgefühl wieder zu
kultivieren. Es bedürfte mithin einer neuen éducation sentimentale.
Roland Kaehlbrandt: Logbuch Deutsch. Wie wir sprechen, wie
wir schreiben. Klostermann, Frankfurt am Main 2016. 251 S., Fr. 21.90.
Nota. - Die Schweizer haben vier Landessprachen, die sie, wo es passt, auch schonmal vermengen; je mehr eine Sprache ausdrücken kann - nicht nur aussagen! -, umso reicher ist sie. Dass es nicht um Reinheit geht, musste U. J. Wenzel seinen Schweizern nicht extra sagen. In Deutschland bin ich mir da dieser Tage nicht sicher. Dass deutsch denken nicht schon Deutsch beherrschen heißt, musste uns ja ein österreichischer Jude ins Poesiealbum schreiben.
Wo ein Fremdwort oder eine ganze Redewendung mehr ausdrückt als die deutsche Übersetzung - sei es genauer, sei es vieldeutiger -, da soll es willkommen sein. Andernfalls dient es unlauteren Zwecken und verhunzt die Sprache; was an sich auch nicht schlimm wäre, aber es fördert und legitimiert schlampiges Denken, und das kann ein Gemeinwesen nicht wünschen. Wer meint, an dieser Stelle deutsche Identität wahren zu sollen, verdient alle Unterstützung.
Allerdings ist das keine Sache von éducation sentimentale, wie Wenzel meint, sondern eine Aufgabe von ästhetischer Bildung.
JE
Wo ein Fremdwort oder eine ganze Redewendung mehr ausdrückt als die deutsche Übersetzung - sei es genauer, sei es vieldeutiger -, da soll es willkommen sein. Andernfalls dient es unlauteren Zwecken und verhunzt die Sprache; was an sich auch nicht schlimm wäre, aber es fördert und legitimiert schlampiges Denken, und das kann ein Gemeinwesen nicht wünschen. Wer meint, an dieser Stelle deutsche Identität wahren zu sollen, verdient alle Unterstützung.
Allerdings ist das keine Sache von éducation sentimentale, wie Wenzel meint, sondern eine Aufgabe von ästhetischer Bildung.
JE
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