Freitag, 10. Juni 2016

Bore out und die Zukunft der Arbeit.

aus Süddeutsche.de, 10. Juni 2016, 09:12 Uhr

Modernes Arbeitsleben
Langweiler von Beruf
Wer im Job chronisch unterbeschäftigt ist, schadet seiner Firma - und sich selbst. Doch wie kommt man in diese Situation? Und warum ist es so schwer, sich daraus zu befreien?

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Kein anderer Simulant der modernen Arbeitswelt, nicht der Schleimer, nicht der Kompetenz-Imitator, fristet ein so klägliches Dasein wie der Beschäftigungsvortäuscher. Gut getarnt verbringt er die Tage damit, bis zum Feierabend Tätigkeiten zu simulieren, während er in Wahrheit doch vor allem eins tut: sich langweilen.

Für Firmen stellen solche Mitarbeiter eine Gefahr dar: Eine Forschungsgruppe von Montclair State University und University of South Florida fand unter den chronisch Unterbeschäftigten eine höhere Wahrscheinlichkeit für kontraproduktives Arbeitsverhalten. Stärker als ausgelastete Mitarbeiter beteiligen sie sich demnach an Mobbing, Selbstisolation, Diebstahl oder Sabotage.

Dabei ist Langeweile in der Arbeit, und das ist die traurige Wahrheit, eher Regel als Ausnahme: In der jährlichen Gallup-Umfrage zur Mitarbeitermotivation in Deutschland gaben zuletzt 68 Prozent der Beschäftigten an, lediglich Dienst nach Vorschrift zu machen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Roland Paulsen beschreibt in seinem Buch "Empty Work" das Schicksal eines solch tapferen Wesens: Ein schwedischer Bankangestellter langweilt sich zu Tode, weil sein Vollzeit-Job aus einer Tätigkeit besteht, für die er jeden Tag nur 15 Minuten benötigt. Als er es satt hat, den Rest seiner Zeit zu verschwenden, wendet er sich an einen Vorgesetzten. Das Resultat: Der Mann behält zwar seinen Job, aber leider auch die Aufgabe. Gekürzt auf eine Halbtagsstelle. In vielen anderen Ländern wäre er wahrscheinlich entlassen worden.

Früher galt der Gelangweilte schlicht als Faulenzer mit bösen Absichten. Sicher, hinter manchem Computerbildschirm döst ein Nichtstuer aus Passion, doch als Problem erhält das "Bore-Out" ("Wie Burn-out, nur nicht so interessant",spottete der Guardian) seit einigen Jahren eine angemessene Würdigung.

"Erst gehst du ins Internet, und dann schließt du dich in ein leeres Büro ein und weinst"


Selbst als jüngst ein Franzose seinen Arbeitgeber wegen permanenter Unterforderung auf 385 000 Euro Schadenersatz verklagte, offenbarte der Fall neben Größenwahn die typische Tragik des Gelangweilten: "Ich hatte einige Materialien zu kaufen, ein bisschen Papier, und dann war mein Tag vorbei", klagte der Mann Medienberichten zufolge. "Erst gehst du ins Internet, und dann schließt du dich in ein leeres Büro ein und weinst."

Nicht nur dieser Extremfall wirft die Frage auf, wie Menschen in solche Situationen kommen. Häufig, so fand Paulsen in seiner Befragung von 40unproduktiven Mitarbeitern heraus, seien interessante Aufgaben einfach von Vorgesetzten an Kollegen delegiert worden. Könnte es sein, fragt er deshalb, dass die wachsende Ungleichheit in der Arbeitswelt nicht nur finanziell stärker wird, sondern sich auch zwischen anregenden und langweiligen Jobs zeigt? Eine Frage, über die all jene nur müde lächeln können, die vor lauter Stress und Überstunden für Langeweile im Job schlicht keine Zeit haben.

Gegenwart trifft auf Ideal

Was die Ödnis des Nichtstuns zusätzlich belastet, ist der Anspruch, nicht einfach nur einen Job zu machen, sondern in der Arbeit Erfüllung zu finden. "Wir erwarten von einem Beruf nicht nur Aufstiegsmöglichkeiten und Einkommen, sondern auch Sinn, Freude und Daseinsberechtigung", schreibt die Atlantic-Autorin Ellen Ruppel Shell. Untersuchungen zeigen, dass die berufliche Midlife-Krise häufig so um die 40 beginnt und vor allem damit zusammenhängt, dass wir unsere (triste) Gegenwart mit dem (nostalgisch gefärbten) Wunschbild unseres Berufs vergleichen, das wir in unseren Zwanzigern hatten. Neben dem Faulpelz-Stigma bedeutet Nichtstun in der Arbeit auch eine ständige Konfrontation mit dem Ideal einer erfüllenden Arbeit, das mit dem Selbstverwirklichungs-Hype einhergeht.

Dabei, so legt eine Studie der Duke University in North Carolina nahe, sind wir es selbst, die häufig lieber einfache als erfüllende Aufgaben wählen. Die Forscher setzten eine Gruppe von Probanden in ein Klassenzimmer und erklärten, ihnen für fünf Minuten Stillsitzen 2,50 Dollar zu zahlen. Als Alternative boten sie an, ein Puzzle zu lösen. Wenn die Puzzelei gleichzeitig besser bezahlt wurde, entschieden sich 82 Prozent der Testpersonen dafür. Bei gleicher Bezahlung schrumpfte der Puzzlespieler-Anteil auf 36 Prozent - obwohl die Spieler danach deutlich zufriedener waren. Kurz: Wenn wir die Wahl zwischen einem langweiligen und einem interessanten Job haben, entscheiden wir uns bei gleicher Bezahlung für den langweiligen.

Die Ansprüche ans Arbeitsleben sind geringer als gedacht

Je länger wir in dieser Situation verharren, desto geringer die Motivation, zu kündigen. Gerade in Deutschland wächst mit der Dauer der Firmenzugehörigkeit die Sicherheit des Jobs, zugleich aber auch die Verantwortung für Familie oder die eigene Altersvorsorge. Und weiterhin bevorzugt der Arbeitsmarkt Erfahrung nur so lange, bis sie zu teuer wird oder die typische Altersdiskriminierung von Personalabteilungen einsetzt. Und wer garantiert, dass es in einer anderen Firma besser ist? Was also tun? Am Ende kommt es darauf an, wie sehr sich der Einzelne damit abfinden kann, regelmäßig nach einem unproduktiven Tag schlecht gelaunt nach Hause zu kommen - Langeweile macht schließlich schlechte Laune.

Wenn 68 Prozent der Deutschen Dienst nach Vorschrift machen, einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge jedoch 67 Prozent mit ihrer Arbeitsstelle zufrieden sind, deutet das darauf hin, dass unsere Ansprüche an ein erfüllendes (oder ausgefülltes) Arbeitsleben ohnehin geringer als gedacht sind. 65 Prozent der Deutschen würde sogar dann weiter arbeiten, wenn sie einen hohen Geldbetrag gewinnen würden. Ein Teil davon ahnt womöglich, sich ohne Arbeit vollends zu langweilen.


Nota. - So selbstverständlich, dass man es gar nicht mehr zu erwähnen braucht, ist es nun auch wieder nicht: Das hat alles mit der digitalen Revolution zu tun. Solange die Berufsarbeit typischerweise Industriearbeit war, wurde sie in erster Linie mit den Händen und im Stehen verrichtet. Erst, seit sie typischerweise Büroarbeit geworden ist, geschieht sie im Sitzen und fast regungslos - wenn man die Mundbewegung beim Schwatzen am Telefon unberücksichtigt lässt. Und nun fällt es keinem, und zunächst auch den "Betroffenen" nicht, auf, dass da einer nix zu tun hat.

Und weil es zur digitalen Revolution gehört, lässt sich das Phänomen nur in deren Rahmen lösen. 

Was wird aus der Arbeit? Leute, die am liebsten gar nichts täten, gab es immer; heute tauchen sie in den Großraumbüros unter, und das geht nur, weil ihre Arbeit gar nicht gebraucht wird und entfallen kann. Viel mehr Leute aber würden sich zu Tode langweilen, wenn sie nichts zu tun hätten, worin sie einen Sinn erkennen können. 

Im Erwerbsleben wird es bald auch für die keine Arbeit mehr geben. Von beiden Seiten aus, sowohl der Seite der Arbeitnehmer als von der Seite der Unternehmen, wäre es sinnvoll, Arbeit und Lebensunterhalt voneinander zu scheiden. Es würden nur noch die arbeiten, die es wirklich wollen, und die anderen würden, 'so Gott will, durch lange Weile genötigt, an ihren Geist zu denken', wie J. G. Fichte sagt (und nur ein paar werden finden, dass sie gar keinen haben). Dann werden sie unruhig und müssen sich selber was einfallen lassen, wovon sie aber vielleicht nicht leben könnten.

Kurz und gut, die Lösung bestünde in einem bedarfsunabhängigen Grundeinkommen.
JE



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen