Die Rede von der «Islamophobie» und vom «Respekt»
An den Pranger der Weltlächerlichkeit
Gern
wird mit der Totschlagvokabel «Islamophobie» versucht, jede Kritik am
Islam abzuwürgen. Auf der anderen Seite fordern Despoten «Respekt» ein.
Wir sollten uns von solchen Kampfbegriffen nicht einschüchtern lassen.
Ein
Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der «Islamophobie». Einer der
Nestoren der linken politischen Philosophie, Michael Walzer, hat
letztes Jahr unter dem Titel «Islamism and the Left»
ein unangenehmes Thema aufgebracht. «Heute erfährt jede grosse
Weltreligion ein bedeutsames Wiederaufleben», schreibt Walzer, «und die
wiederbelebte Religion ist kein Opiat, wie wir dachten, sondern ein sehr
starkes Stimulans. (. . .) Von Pakistan bis Nigeria und auch in Teilen
Europas ist der Islam eine Religion, die eine grosse Zahl von Männern
und Frauen, vor allem Männern, dazu anstiften kann, in ihrem Namen zu
töten und zu sterben.» Ein beunruhigendes Phänomen, vor dessen Kritik
viele Linke zurückschrecken, weil sie, so Walzer, eine «schreckliche
Furcht davor [haben], als ‹islamophob› bezeichnet zu werden».
Ideologische Nebelwerfer
Im Kulturkampf-Klima, wo Grossmäuler und ideologische Nebelwerfer das Sagen haben, hängt das Schwert der «Islamophobie»
über allen kritischen Äusserungen zum Islam. Das Wort ist eine
regelrechte Totschlagvokabel. Das Buch der unerschrockenen Caroline
Fourest etwa, «Eloge du blasphème» (2015), fand bisher keinen
englischsprachigen Verlag, der es übersetzt hätte. Es gibt eine Ausgabe
auf Kindle mit dem Untertitel «Why Charlie Hebdo is not islamophobic».
Der
algerische Autor Kamel Daoud hat kürzlich die Ereignisse der Kölner
Silvesternacht zum Anlass einer genaueren Analyse des islamischen
Frauenbilds genommen. Eine
Phalanx von Sozial- und Kulturwissenschaftern erhob daraufhin unter dem
Banner «Gerechtigkeit für Muslime» den alten Vorwurf des
«Orientalismus», also des eurozentrischen, verzerrenden
Islamverständnisses. Liest man Daouds Artikel, gewinnt man freilich
den Eindruck, er bemühe sich, gerade aus «dem Innern» des islamischen
Körper- und Frauenverständnisses heraus, die Nöte – «das sexuelle Elend»
– eines jungen Muslims zu erklären. Ist es überdies so schrecklich,
wenn man dem Islam Massstäbe anlegt, die ihm fremd sind, zum Beispiel
jenen der Gleichberechtigung der Frau?
Es
geht gegen Meinungsfreiheit und Freiheit der Selbstdarstellung, gegen
Kritik, Ironie, Witz, Sinn für Mehrdeutigkeit und Toleranz für
Andersartiges.
Zu
sagen, Islamismus habe nichts mit dem Islam zu tun, ist etwa dasselbe,
wie zu sagen, die Inquisition habe nichts mit dem Katholizismus zu tun.
Aber statt nun wie das Kaninchen die Schlange Extremismus anzustarren,
täten wir gut daran, ein anderes Phänomen oder Syndrom nicht aus den
Augen zu verlieren. Betrachten wir ein paar auffällige Symptome.
Karikaturisten werden verfolgt und ermordet. Jean-Marie Le Pen erklärt
im Putin-Blatt «Komolskaia Prawda», dass dies den Leuten von «Charlie
Hebdo» zu Recht widerfahren sei, denn es handle sich um anarchistische
und unmoralische Feinde des Front national. Putin verfolgt
regierungskritische Bewegungen wie Pussy Riot. Sie machen ihn zur
lächerlichen Figur. Der kaukasische Despot Kadyrow, eine Puppe Putins,
pöbelt an einem Massenanlass in Grosny: «Wir werden einen entschiedenen
Protest gegen die Vulgarität, Unmoral, den Mangel an Kultur und die
Schamlosigkeit jener lancieren, welche die Karikaturen des Propheten
zeichneten.» In der Türkei rennt ein Staatspräsident fast jeder Satire
und Kritik an seiner Person als einer Majestätsbeleidigung hinterher.
Mafiosifizierung der Politik
Man
muss nun keineswegs den Humor von «Charlie Hebdo» oder von Böhmermann
goutieren. Aber wir sollten den Blick weiten. Die sogenannte Wiederkehr
des Religiösen ist die Facette einer umfassenderen gefährlichen
Entwicklung: der Erstarkung eines grimmigen Autoritarismus, des Rufs
nach dem «starken Mann». Er lässt ein Gespenst aus der Vergangenheit
wiederaufleben: die
Furcht vor der Freiheit, wie sie Erich Fromm 1941 genannt und unter
anderen Theodor W. Adorno 1950 unter dem Titel «Autoritäre
Persönlichkeit» diskutiert hat. Diesem Gespenst ist nichts so
zuwider wie Meinungsfreiheit und Freiheit der Selbstdarstellung, Kritik,
Ironie, Witz, Sinn für Mehrdeutigkeit, Toleranz für Andersartiges.
Ständig posaunt es «Respekt vor der Religion», «Respekt vor dem
Türkentum», «Respekt vor dem neuen Russland» und meint nur eines: Duck
dich und halt den Mund!
«Respekt»
ist ein Lieblingswort der Mafia, und mit ihm leistet man einer
Mafiosifizierung der Politik Vorschub. – Es vergrössert den politischen
Giftschrank. Er munitioniert jetzt nicht nur Jihadisten und
Möchtegern-Kalifen, sondern auch die Jean-Marie Le Pens, Putins, Erdogans
dieser Welt, zudem die Prozession bigotter Frommbacken mit ihrem
Dekadenzvorwurf, die wüste Horde von Provinzdespoten und
Hinterwäldler-Warlords. An ihnen zeigt sich die Fratze des zynischen,
ruchlosen, heuchlerischen, verbohrten, verblendeten oder bloss
verblödeten Verächters modernen Menschseins, politisch gewendet: der
liberalen und demokratischen Gesellschaft. Und als solcher gehört er
unverdrossen an den Pranger der Weltlächerlichkeit gestellt.
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