Donnerstag, 2. Juni 2016

"Islamophob!"

Scharf hinsehen und Kritik üben ist bei vielen Aspekten des Islam nicht nur legitim, sondern ein aufklärerisches Gebot. (Bild: Shamil Zhumatov)
aus nzz.ch,  

Die Rede von der «Islamophobie» und vom «Respekt» 
An den Pranger der Weltlächerlichkeit 
Gern wird mit der Totschlagvokabel «Islamophobie» versucht, jede Kritik am Islam abzuwürgen. Auf der anderen Seite fordern Despoten «Respekt» ein. Wir sollten uns von solchen Kampfbegriffen nicht einschüchtern lassen.

Gastkommentar von Eduard Kaeser


Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der «Islamophobie». Einer der Nestoren der linken politischen Philosophie, Michael Walzer, hat letztes Jahr unter dem Titel «Islamism and the Left» ein unangenehmes Thema aufgebracht. «Heute erfährt jede grosse Weltreligion ein bedeutsames Wiederaufleben», schreibt Walzer, «und die wiederbelebte Religion ist kein Opiat, wie wir dachten, sondern ein sehr starkes Stimulans. (. . .) Von Pakistan bis Nigeria und auch in Teilen Europas ist der Islam eine Religion, die eine grosse Zahl von Männern und Frauen, vor allem Männern, dazu anstiften kann, in ihrem Namen zu töten und zu sterben.» Ein beunruhigendes Phänomen, vor dessen Kritik viele Linke zurückschrecken, weil sie, so Walzer, eine «schreckliche Furcht davor [haben], als ‹islamophob› bezeichnet zu werden».

Ideologische Nebelwerfer

Im Kulturkampf-Klima, wo Grossmäuler und ideologische Nebelwerfer das Sagen haben, hängt das Schwert der «Islamophobie» über allen kritischen Äusserungen zum Islam. Das Wort ist eine regelrechte Totschlagvokabel. Das Buch der unerschrockenen Caroline Fourest etwa, «Eloge du blasphème» (2015), fand bisher keinen englischsprachigen Verlag, der es übersetzt hätte. Es gibt eine Ausgabe auf Kindle mit dem Untertitel «Why Charlie Hebdo is not islamophobic».

Der algerische Autor Kamel Daoud hat kürzlich die Ereignisse der Kölner Silvesternacht zum Anlass einer genaueren Analyse des islamischen Frauenbilds genommen. Eine Phalanx von Sozial- und Kulturwissenschaftern erhob daraufhin unter dem Banner «Gerechtigkeit für Muslime» den alten Vorwurf des «Orientalismus», also des eurozentrischen, verzerrenden Islamverständnisses. Liest man Daouds Artikel, gewinnt man freilich den Eindruck, er bemühe sich, gerade aus «dem Innern» des islamischen Körper- und Frauenverständnisses heraus, die Nöte – «das sexuelle Elend» – eines jungen Muslims zu erklären. Ist es überdies so schrecklich, wenn man dem Islam Massstäbe anlegt, die ihm fremd sind, zum Beispiel jenen der Gleichberechtigung der Frau?

Es geht gegen Meinungsfreiheit und Freiheit der Selbstdarstellung, gegen Kritik, Ironie, Witz, Sinn für Mehrdeutigkeit und Toleranz für Andersartiges.

Zu sagen, Islamismus habe nichts mit dem Islam zu tun, ist etwa dasselbe, wie zu sagen, die Inquisition habe nichts mit dem Katholizismus zu tun. Aber statt nun wie das Kaninchen die Schlange Extremismus anzustarren, täten wir gut daran, ein anderes Phänomen oder Syndrom nicht aus den Augen zu verlieren. Betrachten wir ein paar auffällige Symptome. Karikaturisten werden verfolgt und ermordet. Jean-Marie Le Pen erklärt im Putin-Blatt «Komolskaia Prawda», dass dies den Leuten von «Charlie Hebdo» zu Recht widerfahren sei, denn es handle sich um anarchistische und unmoralische Feinde des Front national. Putin verfolgt regierungskritische Bewegungen wie Pussy Riot. Sie machen ihn zur lächerlichen Figur. Der kaukasische Despot Kadyrow, eine Puppe Putins, pöbelt an einem Massenanlass in Grosny: «Wir werden einen entschiedenen Protest gegen die Vulgarität, Unmoral, den Mangel an Kultur und die Schamlosigkeit jener lancieren, welche die Karikaturen des Propheten zeichneten.» In der Türkei rennt ein Staatspräsident fast jeder Satire und Kritik an seiner Person als einer Majestätsbeleidigung hinterher.

Mafiosifizierung der Politik

Man muss nun keineswegs den Humor von «Charlie Hebdo» oder von Böhmermann goutieren. Aber wir sollten den Blick weiten. Die sogenannte Wiederkehr des Religiösen ist die Facette einer umfassenderen gefährlichen Entwicklung: der Erstarkung eines grimmigen Autoritarismus, des Rufs nach dem «starken Mann». Er lässt ein Gespenst aus der Vergangenheit wiederaufleben: die Furcht vor der Freiheit, wie sie Erich Fromm 1941 genannt und unter anderen Theodor W. Adorno 1950 unter dem Titel «Autoritäre Persönlichkeit» diskutiert hat. Diesem Gespenst ist nichts so zuwider wie Meinungsfreiheit und Freiheit der Selbstdarstellung, Kritik, Ironie, Witz, Sinn für Mehrdeutigkeit, Toleranz für Andersartiges. Ständig posaunt es «Respekt vor der Religion», «Respekt vor dem Türkentum», «Respekt vor dem neuen Russland» und meint nur eines: Duck dich und halt den Mund!

«Respekt» ist ein Lieblingswort der Mafia, und mit ihm leistet man einer Mafiosifizierung der Politik Vorschub. – Es vergrössert den politischen Giftschrank. Er munitioniert jetzt nicht nur Jihadisten und Möchtegern-Kalifen, sondern auch die Jean-Marie Le Pens, Putins, Erdogans dieser Welt, zudem die Prozession bigotter Frommbacken mit ihrem Dekadenzvorwurf, die wüste Horde von Provinzdespoten und Hinterwäldler-Warlords. An ihnen zeigt sich die Fratze des zynischen, ruchlosen, heuchlerischen, verbohrten, verblendeten oder bloss verblödeten Verächters modernen Menschseins, politisch gewendet: der liberalen und demokratischen Gesellschaft. Und als solcher gehört er unverdrossen an den Pranger der Weltlächerlichkeit gestellt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen