Mittwoch, 20. Juli 2016

Becks sechsbändige «Geschichte der Antike».


aus nzz.ch, 20.7.2016, 05:30 Uhr

Phäaken, Griechen und Spartaner, Makedonier und Römer
Innerhalb von nur gut zwei Jahren ist bei C. H. Beck eine sechsbändige Geschichte der Antike erschienen, die historisch interessierten Reisenden eine veritable Reise in die Vergangenheit ermöglicht.

von Hans-Albrecht Koch 

Wenn uns das Schicksal eines Ödipus in der Tragödie erschüttert, wenn wir bei der Lektüre eines Dialogs von Platon oder einer Lehrschrift des Aristoteles verspüren, dass uns das dort Verhandelte angeht, wenn uns der Anblick eines antiken Tempels durch Grösse und Proportionen fasziniert, spüren wir, dass wir es mit kulturellen Zeugnissen der Antike zu tun haben, in denen sich Nähe und Ferne zu unserem Denken und Fühlen zugleich manifestieren und in denen sich unsere eigenen Fragen spiegeln. Selten aber machen wir uns bewusst, in welchem allgemein geschichtlichen Kontext diese Zeugnisse entstanden und wirksam geworden sind.

Derartige Zusammenhänge zu vermitteln und zu deuten, hat sich die Geschichtsschreibung seit der Antike zur Aufgabe gemacht. Gerade einmal gut zwei Jahre hat der Verlag C. H. Beck benötigt, um eine neue, sechsbändige Geschichte der Antike vollständig erscheinen zu lassen (zu den beiden ersten Bänden siehe NZZ 20. 8. 14). Drei der sechs Bände gelten der griechischen, drei der römischen Geschichte – eine Unterscheidung, die mit den vielen kleinen Reichen im Zeitalter des Hellenismus und dem den ganzen Mittelmeerraum umspannenden Römischen Reich immer kompliziertere Perspektivierungen erforderlich macht.

Freiheit und ihre Bedrohung

In ihrer Darstellung des «Archaischen Griechenland» ergänzt Elke Stein-Hölkeskamp (Universität Duisburg-Essen) die einzelnen Kapitel jeweils um Fallstudien, die nicht nur der Quellenlage (nämlich dem Überwiegen archäologischer gegenüber schriftlichen Zeugnissen) entsprechen, sondern auch dem historisch wirklich interessierten Reisenden von heute die Einordnung der ihm begegnenden Bodenfunde in den Museen Griechenlands und Unteritaliens (die Kolonien) in den jeweiligen historischen Kontext erlauben: Scheria für die Phäaken; Metapont für die neue Welt der Kolonien; Athen für die Welt der Polis und so fort.

In dem Band zum «Klassischen Griechenland» behandelt der Tübinger Althistoriker Sebastian Schmidt-Hofner die Periode von den Perserkriegen über die Hegemonie Athens unter Perikles und den das ganze Mittelmeer berührenden Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta bis zur hellenischen Renaissance infolge des Aufstiegs Makedoniens unter Alexander dem Grossen. Die Zeit war eine Ära ständig bedrohter und immer wieder neu zu erringender Freiheit, gekennzeichnet durch zahlreiche, zuweilen auch nur ideologisch geführte «kalte» Kriege.

Peter Scholz, der an der Universität Stuttgart antike Geschichte und Kultur lehrt, ist es gelungen, in seiner Darstellung des Hellenismus unserem Geschichtsbewusstsein die in der Regel abhandengekommene «Fülle der Erscheinungen» übersichtlich vor Augen zu führen. Anschaulich macht er vor allem das «machtpolitische Schaukelspiel», dessen Äquilibristik Grundlage und Gefährdung der verschiedenen Reiche zugleich war: auch des Ptolemäerreiches mit dem kulturellen Zentrum in Alexandria, wohin der Leichnam Alexanders verbracht worden war.

Ein Beispiel für viele: 273/272 v. Chr. wähnte der König des benachbarten Seleukidenreiches, durch die Verheiratung seiner Tochter mit dem ptolemäischen Statthalter die Kyrenaika (eine Landschaft im Osten des heutigen Libyen) seinem Reich einverleibt zu haben. Er hatte sich jedoch getäuscht, und es kam zum Krieg, dessen für Ptolemaios II. siegreiches Ende sogleich propagandistisch ausgeschlachtet wurde – etwa durch den Dichter Theokrit. Gut 250 Jahre hielten sich die ptolemäischen Herrscher am Nil – bis zur Eingliederung in das Römische Reich durch Cäsar und Augustus.

Für die «Römische Republik» hebt Wolfgang Blösel (Universität Duisburg-Essen) für die gesamte Zeitspanne von der römischen Königszeit bis zum Ende der Republik die charakteristischen Verschränkungen verschiedener Lebensbereiche hervor: etwa den Zusammenhang von Politik und Religion, die ständige Rückbindung der in den Provinzen gewonnenen Macht der römischen Amtsträger an das Forum Romanum. Überall konfrontiert Blösel für die Frühzeit die eher spärlichen und unsicheren literarischen Quellen mit den archäologischen Befunden. Der Band führt bis zum Ende der Bürgerkriege, aus denen Oktavian siegreich hervorging. Zu den Konsequenzen der Bürgerkriege gehört auch die Aufspaltung von militärischem Oberbefehl, den ein Politiker hatte, «dem die Zuneigung und Hoffnungen der Soldaten auf spätere Versorgung galten», und dem Amt des eigentlichen Feldherrn, «der die Legionen zur Schlacht ordnete und zum Sieg führte».

Erzählung und Analyse

Alle Autoren des Gesamtwerks gehören der mittleren Althistoriker-Generation an, und sie verstehen sich sowohl auf das anschauliche Erzählen als auch auf die systematische Analyse. Alle Bände widmen sich erklärtermassen zuvörderst der politischen Geschichte. Literatur und Kunst rücken nur insofern in den Blick, als sich in ihnen religiöse Gegebenheiten spiegeln, die politische Institutionen geprägt haben.

Mit Abbildungen, durchweg in Schwarz-Weiss, sind die Bände nur sparsam ausgestattet, aber die Leser können auf die Präzision der dargebotenen Texte vertrauen. Besondere Hervorhebung verdienen die kartografischen Darstellungen. Der sehr moderate Preis macht das Werk leicht erschwinglich und rückt es in die Nähe der legendären wissenschaftlichen Taschenbücher der Nachkriegszeit, die sich gleichermassen in den Händen von Schülern und Lehrern, Studierenden und Professoren fanden. Möge es dieser Geschichte der Antike genauso ergehen.


Elke Stein-Hölkskamp: Das archaische Griechenland. Verlag C. H. Beck, München 2015. 302 S., Fr. 22.90.
Sebastian Schmidt-Hofner: Das klassische Griechenland – Der Krieg und die Freiheit. Verlag C. H. Beck, München 2016. 368 S., Fr. 22.90.
Peter Scholz: Der Hellenismus – Der Hof und die Welt. Verlag C. H. Beck, München 2016. 352 S., Fr. 22.90.
Wolfgang Blösel: Die römische Republik – Forum und Expansion. Verlag C. H. Beck, München 2015. 304 S., Fr. 22.90.


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