Renaissance im Landesmuseum Zürich
Der Anfang der Moderne
Die
fruchtbare Geschichte des Kulturaustauschs während der Renaissance
setzt das Landesmuseum Zürich in seinem neuen Erweiterungsbau, der
dieses Wochenende eingeweiht wird, attraktiv in Szene.
Mindestens
zwei Dinge hatten die Künstler und Gelehrten der europäischen
Renaissance um 1500 den meisten Intellektuellen von heute voraus.
Erstens glaubten sie, von der «wiedergeborenen» Vergangenheit – also von
der Antike – lernen zu können. Sie fühlten sich dieser nicht überlegen,
sahen sie nicht als rückständig an. Zweitens standen sie im Austausch
mit der arabisch-islamischen Welt. Sie rezipierten deren Schriften, die
ihnen das antike Wissen erschlossen. Ohne den spanisch-arabischen
Philosophen Averroës wäre die Aristoteles-Rezeption nicht möglich
gewesen. In Basel wurde, wenn auch nicht unumstritten, um 1540 erstmals
die lateinische Koran-Übersetzung gedruckt.
Eine Angelegenheit der Eliten
Die
fruchtbare Geschichte dieses synchronen wie diachronen Kulturaustauschs
setzt das Landesmuseum Zürich in seinem neuen Erweiterungsbau, der
dieses Wochenende eingeweiht wird, attraktiv in Szene. Die aus ganz
Europa und den USA kommenden Schätze der grandiosen Schau «Europa in der
Renaissance» sind so spektakulär wie das Innere des Baus, der dem
Besucher wiederholt dramatische Raumgefühle schenkt; manchmal weiss er
nicht, ob er nun zuerst die neue Architektur oder die alten Meister
bestaunen soll.
Der Platz ist
da, grosszügig sind die Bücher, Schriften (von Albertus Magnus,
Boethius, Vitruv etwa), Statuen und Bilder placiert (zum Beispiel von
Tizian, Dürer, Leonardo da Vinci, Hans Memling), lange Raumfluchten
lenken den Blick auf besonders hervorgehobene Stücke (das
«Armada-Porträt» der Königin Elisabeth I.). Die imposante Treppe, die
das Parterre mit dem ersten Stock verbindet, zieht einen geradezu hinauf
zum zeitgenössischen, kindsgrossen Holzmodell des – für die Renaissance
typischen – kirchlichen Zentralbaus (Santa Maria della Consolazione in
Todi), der auf dem obersten Absatz thront. Renaissance, wir kommen!
Die
Geschichte kennt keine Epochen, nur das Chaos der Ereignisse und die
Trägheit der Mentalitäten. Die Epochen werden von den Historikern
gebildet. Jacob Burckhardt, der solitäre revolutionäre Reaktionär aus
Basel, prägte mit seinem 1860 erschienenen Buch «Die Kultur der
Renaissance in Italien» den bis heute gängigen Renaissance-Begriff, der
die Zeit von etwa 1400 bis 1600 umfasst, als toskanische Dichter und
florentinische Humanisten in den Ruinen und Texten der Antike ein neues,
individualisiertes Menschenbild finden, dem Gott nicht mehr der
alleinige Massstab ist.
Als
Reverenz an Burckhardt ist dessen Schreibtisch in einem gläsernen Kubus
ausgestellt, auf den von einem Treppenabsatz das gigantische Haupt einer
römischen Statue herabblickt – eine von vielen gelungenen
Inszenierungen, die den im Bann seiner Heroen stehenden Gelehrten
evoziert. Anders als Burckhardt indes weitet die Schau, die von Denise
Tonella (Landesmuseum Zürich) und Bernd Roeck (Universität Zürich)
konzipiert wurde, die Perspektive von Italien auf ganz Europa und
darüber hinaus auf die arabische Welt und etwa Kolumbus' amerikanische
Entdeckungsfahrt von 1492.
Anders
auch als Burckhardt verzichtet die Schau weitgehend auf die Politik,
die geprägt war vom Aufstieg und Niedergang der Stadtrepubliken sowie
des Soziallebens der führenden Schichten, der ausufernden Geselligkeit
des Adels und seiner blutigen Fehden. Verwandt bleibt die Schau
Burckhardt darin, dass sie die Renaissance als eine Angelegenheit
ausschliesslich der Eliten fasst. Von dem neuen Menschenbild, das die
Subjektivität und Individualität hervorhob – kaum entziehen kann man
sich dem rätselhaften, auf den Betrachter gerichteten Blick des
Schaffhauser Malers Tobias Stimmer, der sich bei der Arbeit porträtiert
–, bekam der weitaus grösste Teil der damaligen Bevölkerung nichts mit.
Auch
von den weiteren «Revolutionen», die neben der «Bilderrevolution»
insbesondere der flämischen Malerei und der Architektur Thema sind
(Zentralperspektive), dürften die meisten Leute nur am Rand Kenntnis
genommen haben: die Kartografie und Astronomie (Kopernikus), die
Sezierungsexperimente der Medizin, die botanischen Klassifizierungen,
die Mechanik der Uhren. Nur die «Medienrevolution» drang zu ihnen vor,
die um 1450 mit der Gutenbergschen Druckerpresse ihren Anfang nahm. Ohne
sie hätte die Reformation, ein weiterer Umbruch jener Zeit, kaum
stattgefunden. Eine Replik der Holzmaschine, die der Humanist Erasmus
von Rotterdam «ein beinahe göttliches Werkzeug» nannte, verblüfft mit
ihrer Einfachheit.
Die
kulturhistorisch orientierte Schau, die nicht nur mit ihren Objekten,
sondern auch mit ihren präzisen, informierten Hinweistexten überzeugt,
hat einen Zug ins Erhabene. Sie streicht hervor, wie die Künstler und
Gelehrten das Schönheitsideal der alten Griechen kultivierten und in
ihrem Schaffen nach Harmonie und Ausgewogenheit strebten. Zahlreich sind
die Belege dafür. Die Renaissance steht für eine selbstbewusste,
strahlende Moderne: Revolution, Subjektivität, Wissenschaft, Technik –
und für die Dialogbereitschaft über die Grenzen der eigenen Kultur und
Konfession hinaus.
Sterben in Schönheit und Kälte
Am
Schluss des Rundgangs trifft der Besucher auf eine barocke, blendend
weisse Marmorskulptur: Prometheus, der sich am Felsen windet, während
ein Adler ihm die Leber aus dem Leib hackt. Am Ende stirbt die
Renaissance, immerhin, in «Schönheit und Kälte». Die Religionskriege
ertränken das humanistische Ideal der Toleranz in Blut, in der Kleinen
Eiszeit gefriert es.
Doch hat
die Renaissance diese Abgründe nicht von Anfang an mitbedacht? Thomas
Morus entwarf satirisch eine Gegenwelt zur ungerechten
Ständegesellschaft mit ihrem religiösen Fanatismus und begründete das
utopische Denken, Machiavelli trat, indem er in der Politik von Florenz
eine Art Klassenkampf am Werk sah, als Analytiker der Macht auf, der die
gottgegebene Vorherrschaft des Adels pulverisierte, Rabelais kriegte
nicht genug von sarkastisch-skatologischen Spässen. Mit dem
Selbstreflexiven, Verstörenden, Abseitigen der Renaissance liesse sich
deren Modernität komplettieren.
Landesmuseum Zürich: Europa in der Renaissance. Metamorphosen
1400–1600. Geöffnet anlässlich des 26-stündigen Fests von 31. Juli und 1.
August. Bis 27. November 2016. Katalog: Europa in der Renaissance, hg. vom
Schweizerischen Landesmuseum. Hantje Cantz, Berlin 2016. 344 S., 380 Abb., Fr.
55.–.
Nota. - Irgendwo habe ich versprochen, die Formulierung "die Moderne" nicht mehr zu gebrauchen - der eine lässt sie mit der Jenaer Romantik beginnen, der andere mit Kandinskys erstem abstrakten Bild, und Urs Hafner eben mit der Renaissance. Jedes hat irgendwie seine Berechtigung, aber wenn man es sowieso immer wieder en détail erläutern muss, kann man auf den pauschalierenden Ausdruck auch gut verzichten. Zumal sich Ausrut-scher kaum vermeiden lassen: So war die Aristoteles-Rezeption der 'Lateinischen Averroisten' der Ausgangs-punkt der Hochscholastik und gehört noch ganz und gar zum Mittelalter, das in Wahrheit der muslimischen Kultur viel unbefangener gegenüberstand als 'die Moderne'. Aber sie war die Voraussetzung des sog. Unviver-salienstreits gewesen, und den darf man allerdings als einen, und sogar als einen der prominentesten Anfänge der Moderne nennen; doch als einen der Renaissance gerade nicht, denn die hat zuerst einmal Plato wiederent-deckt und Aristoteles ins Fegefeuer verbannt.
Nota. - Irgendwo habe ich versprochen, die Formulierung "die Moderne" nicht mehr zu gebrauchen - der eine lässt sie mit der Jenaer Romantik beginnen, der andere mit Kandinskys erstem abstrakten Bild, und Urs Hafner eben mit der Renaissance. Jedes hat irgendwie seine Berechtigung, aber wenn man es sowieso immer wieder en détail erläutern muss, kann man auf den pauschalierenden Ausdruck auch gut verzichten. Zumal sich Ausrut-scher kaum vermeiden lassen: So war die Aristoteles-Rezeption der 'Lateinischen Averroisten' der Ausgangs-punkt der Hochscholastik und gehört noch ganz und gar zum Mittelalter, das in Wahrheit der muslimischen Kultur viel unbefangener gegenüberstand als 'die Moderne'. Aber sie war die Voraussetzung des sog. Unviver-salienstreits gewesen, und den darf man allerdings als einen, und sogar als einen der prominentesten Anfänge der Moderne nennen; doch als einen der Renaissance gerade nicht, denn die hat zuerst einmal Plato wiederent-deckt und Aristoteles ins Fegefeuer verbannt.
Und wenn wir schonmal Epochengrenzen vermessen, dann können wir auch gleich beim Renaissancebegriff selbst beginnen. Natürlich ist es richtig, die Geschichtsepoche in Europa, die vom Humanismus und dem Aufkommen des Buchdrucks (auch so ein 'Anfang') geprägt war, unter einem Namen zusammenzufassen. Aber das ist mittlerweile so oft und selbstverständlich geschehen, dass es an der Zeit wäre, 'die Renaissance' wieder stärker nach ihren Ausbildungen diesseits und jenseits der Alpen zu scheiden. Denn einerseits hat sich im Norden besonders in der Malerei ein starker 'gotischer' Anteil bis ins Barock hinein erhalten. Dagegen hat die nördliche gotische Bildhauerei ein Menschenbild gezeichnet, das in Italien eben erst mit der Renaissance Eingang fand (und in dem der Fahrende Ritter durchschimmert - den die Italiener freilich nicht kannten). Na und so weiter. - Wenn ich aber den Rezensenten recht verstehe, dann ist die Zürcher Austellung insgesamt viel zu affirmativ, um solche Fragen aufzuwerden.
JE
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