aus Der Standard, Wien, 1. Juli 2016, 17:00
Wie Artificial Intelligence die Wissenschaft revolutionieren könnte
Selbstlernende Algorithmen und smarte Devices könnten den Forschern Denk- und Konstruktionsarbeit abnehmen
von Tanja Traxler
Es ist nicht so, dass sich Physiker nicht für selbstfahrende Autos interessieren. Experimentalphysiker vor allem. Aber es gibt etwas, wofür sie sich noch mehr interessieren: selbstfunktionierende Experimente. Kann Artificial Intelligence die Wissenschaft revolutionieren? Werden Smarte Devices bald dem Experimentator das Zepter der experimentellen Forschung aus der Hand nehmen?
Diese Fragen werden am Rande der Nobelpreisträger-Tagung, die diese Woche in Lindau am Bodensee stattfindet, diskutiert. Mario Krenn, PhD-Student beim Quantenphysiker Anton Zeilinger an der Universität Wien, hat schon einen ersten Schritt unternommen, um Artificial Intelligence für die Wissenschaft nutzbar zu machen. Nachdem in seiner Gruppe wochenlang nach einem Set-up gesucht worden war, einen bestimmten Quantenzustand herzustellen, schrieb er ein Programm, das das Problem lösen sollte – mit Erfolg: "Nach einer Nacht Berechnungen hat das System eine Lösung gefunden, die wir wochenlang vergebens gesucht hatten", berichtet Krenn in Lindau. Die wesentlichen Bestandteile eines Quantenoptik-Experiments wie Spiegel, Linse oder Strahlteiler wurden dabei von einem Computer-Algorithmus namens "Melvin" angeordnet.
System soll selbst entscheiden
Die Ergebnisse von zwei Experimenten, die auf diese Art konstruiert wurden, konnten schon publiziert werden und weitere sollen folgen. "Der nächste Schritt ist, dass das System selbst entscheidet, was ein interessantes Experiment wäre, nicht der Wissenschafter", sagt Krenn. Turing-Preisträger und Google-Vizepräsident Vinton Cerf findet diesen Ansatz zwar interessant, er würde aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht von "Artificial Creativity" sprechen. Für ihn fängt maschinelles Lernen dann an, wenn das System eigenständig Regeln vorschlägt und nicht nur die des Programmierers befolgt.
Cerf, der vielen als Vater des Internets gilt, hat sich bereits in seiner Studienzeit in den 1960ern mit der Frage beschäftigt, wie mehrere Computer zu einem Netzwerk zusammengeschaltet werden können. In ihrem Beitrag über Cerf erklärt Susanne Dambeck im Blog der Lindauer Nobelpreisträger-Tagung das Prinzip von Cerfs Netzwerk-Lösung: "Die Art der Kommunikation unterschied sich grundlegend von derjenigen des Telefons: Hierbei bleibt eine Leitung für die ganze Dauer des Gesprächs ‘offen’, dieses Prinzip nennt man Leitungsvermittlung (Englisch: ‘circuit switching’). Ein Computer verschickt hingegen ein Daten-Paket, das man sich wie eine elektronische Postkarte vorstellen muss, man nennt das auch ‘Paketvermittlung’ (‘packet switching’)." Aufbauend darauf entwickelte Cerf gemeinsam mit Robert Kahn das Internetprotokoll TCP/IP, auf dem IP-Adressen basieren. Dafür bekamen sie 2004 den Turing Award.
Kein Grund zur Sorge
Cerf ist wenig überraschend ein Internetfreak. Für Lachen sorgte hier in Lindau seine Erzählung, dass sein Weinkeller von einem vernetzten System überwacht wird, das ihm sofort per SMS mitteilt, sobald die gewünschte Temperatur überschritten wird. Das kann nervig werden, wenn niemand zuhause ist und er alle fünf Minuten eine Warnung bekommt. Insgesamt kann Cerf die Angst des Menschen vor Maschinen kaum nachvollziehen. Er meint, dass man über selbstlernende Systeme, wie sie heute schon zum Einsatz kommen, nicht besorgt sein muss, denn: "Ihr Erfolg liegt nicht darin, dass sie brillant sind, sondern darin, dass sie mehr Versuche machen können." Nachsatz: "Da ist nichts Unfreundliches daran."
Auch Rainer Blatt, Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Co-Leiter der Lindauer Nobelpreisträger-Tagung, ist nicht beunruhigt von dem Gedanken, dass intelligente Maschinen bald ihn und seine Kollegen aus den Laboren vertreiben könnten: "Eine Headline wie 'Artificial Intelligence replaces physicist' ist mehr als provokant" und nach seiner Einschätzung auch recht überzogen. Weniger der Aufstieg von Artificial Intelligence bereitet Cerf Sorgen, sondern vielmehr bestehende Bugs in der Software. Die Skepsis gegenüber Artificial Intelligence erklärt er sich damit, "dass viele Menschen nicht verstehen, wie einfach diese Systeme derzeit sind". Man sollte sich seiner Meinung nach nicht einreden, dass sie ähnlich wie das Gehirn funktionieren, "denn sonst ängstigt man sich nur davor".
aus FAZ, 29. 6. 2016
Auch intellektuelle Leistungen könnten automatisiert werden
...Doch was ist an der Digitalisierung so neu, dass es aus Sicht der Autoren auch an dieser Stelle einer Änderung der Hochschullehre bedarf? „Während die Automatisierung in der Vergangenheit in erster Linie manuelle Arbeit ersetzt hat, wird es in Zukunft immer häufiger möglich sein, auch intellektuelle Leistungen zu automatisieren“, heißt es in dem Bericht. Das sei ein Punkt gewesen, über den mit dem wissenschaftlichen Beirat des Reports viel gesprochen und diskutiert wurde, sagt Mathias Winde vom Stifterverband im Gespräch mit dieser Zeitung.
Nach Angaben der Unternehmensbefragung rechnen 39 Prozent der Unternehmen mit einem Wegfall akademischer Berufe; 75 Prozent erwarten, dass administrative Tätigkeiten künftig automatisiert ablaufen. ... „Die Digitalisierung wird in der Arbeitswelt Einzug halten, darauf sollten die Studenten vorbereitet werden“, erklärt Winde.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen