Mittwoch, 2. Juli 2014

Das mentale Dorf.

aus scinexx                                                              Irgendwo in Gallien...

Großstädter schaffen sich ihr "Dorf" selbst 
Bekanntenkreise sind genauso eng und verwoben wie bei Landbewohnern

Von wegen anonym und unverbindlich: In der Großstadt sind Freundeskreise zwar größer als bei Landbewohnern, aber ihre Struktur ist die gleiche wie auf dem Dorf: Wer ihm angehört, ist Teil eines engen, verwobenen Netzwerks – man kennt sich. Das haben Forscher mit Hilfe von Mobilfunk- und Telefondaten aus zwei europäischen Ländern festgestellt. Auch in der Großstadt schaffen wir uns demnach unser eigenes "Dorf", unsere Bezugsgruppe.

Mit dem Wachsen der Großstädte leben immer mehr Menschen auf engem Raum miteinander. Als Folge kommt jeder Einzelnen mit mehr Menschen in Kontakt, bleibt aber gleichzeitig auch anonymer. Markus Schläpfer vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und seine Kollegen haben nun mit einem neuen Ansatz untersucht, wie sich das Stadtleben auf Größe und Struktur von Bekanntenkreisen und sozialen Netzen auswirkt. Sie nutzten Telefondaten um nachzuvollziehen, wer in Stadt und Dorf wie oft mit wem spricht und wen kontaktiert.

Telefonkontakte verraten Netzwerkstruktur

Um herauszufinden, wie das Leben in der Großstadt oder auf dem Dorf Kommunikationsverhalten und soziale Netze beeinflusst, haben Schläpfer und seine Kollegen 15 Monate lang Mobilfunkdaten des gesamten portugiesischen Handynetzes ausgewertet. Aus diesen Millionen von Verbindungsdaten erstellten sie ein Interaktions-Netzwerk, aus dem sich die Größe und Struktur einzelner Bekanntenkreise rekonstruieren ließ.

"Zwar sind solche Mobilfunkdaten nicht notwendigerweise ein genaues Abbild der tatsächlichen sozialen Netzwerke", betonen die Forscher. So können zwei enge Freunde sich häufig treffen und direkt miteinander reden, aber nur wenig telefonieren. Dennoch haben vergangene Studien gezeigt, dass mobile Daten trotz solcher Abweichungen die individuellen sozialen Interaktionen recht gut repräsentieren, so die Wissenschaftler. Auf ähnliche Weise analysierten die Forscher zusätzlich auch einen Monat lang Festnetzgespräche in ganz Großbritannien.

Doppelt so viele Kontakte...

Das erste Resultat der Analysen: Je größer die Stadt, in der ein Mensch lebt, desto mehr telefonische Kontakte hat er und desto häufiger telefoniert er auch. "Ein durchschnittlicher Bewohner von Lissabon hat rund doppelt so viele erwiderte Kontakte wie ein Bewohner von Lixa, einer ländlichen Kleinstadt", so die Forscher. Mit jeder Verdoppelung der Einwohnerzahl einer Stadt steigt die Zahl der Handykontakte dabei um rund zwölf Prozent pro Person. Dies sei das erste Mal, dass dieser Zusammenhang so klar und in diesem großen Maße nachgewiesen wurde.

…aber genauso verwobene Freundeskreise

Doch die Auswertungen zeigten noch etwas Unerwartetes: Obwohl die sozialen Netze bei Großstadtbewohnern größer sind als auf dem Land, sind sie deshalb nicht weniger eng und verwoben. "Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Bekannte in einem solchen Netz auch unabhängig von der Zentralperson miteinander bekannt sind, müsste geringer sein", so die Forscher. Doch erstaunlicherweise war dies nicht der Fall: In der Großstadt gab es genauso viele Querverbindungen in den sozialen Netzen wie auf dem Land.

"Das deutet darauf hin, dass wir selbst in Großstädten in Gruppen leben, die so eng geknüpft sind wie diejenigen in Kleinstädten oder Dörfern", konstatieren Schläpfer und seine Kollegen. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Gemeinschaften in Dörfern oft durch die räumliche Nähe bedingt sind und man es sich nicht immer aussuchen kann, mit wem man dort engen Kontakt hat oder haben muss. In der Großstadt dagegen haben wir mehr Auswahl und suchen uns oft Gleichgesinnte für unseren Bekanntenkreis – Menschen mit ähnlichen Interessen, ähnlichem Beruf, ähnlicher Herkunft oder Ansicht. (Journal of the Royal Society Interface, 2014; doi: 10.1098/rsif.2013.0789)

(Royal Society, 02.07.2014 - NPO)


Nota.

Mentales 'Dorf' klingt tendenziös und ist vielleicht auch gar nicht treffend. Die Familie Homo hat, nachdem sie die Baumkronen verlassen und durch die Savanne gezogen ist, in Familienverbänden mit unterchiedlichen Verwandtheitsgraden gelebt. Das war rund zwei Millionen Jahre lang die eherne Bedingung ihres Überlebens. Dass die Spuren davon den Übergang zur Arbeitsgesellschaft vor grad mal 12 000 Jahren weit überdauern, kann niemanden verwundern.
JE 

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