Montag, 21. Juli 2014

Die Dampfmaschine.

jobs.NZZ.ch Wärmkraftmaschine
aus nzz.ch, 7. Juli 2014, 09:28

Errungenschaften der Technik 
Kraft aus Dampf

von Lucien F. Trueb 

Das Prinzip der Wärmekraftmaschine – dazu gehören unter anderem die klassische Kolben-Dampfmaschine und die Dampfturbine – war schon in der Antike bekannt. Der griechische Mathematiker Heron von Alexandria, der im 1. Jh. n. Chr. lebte, beschrieb in seinem Werk «Pneumatika» eine auf dem Rückstossprinzip basierte Dampfturbine, die er Aeolipile nannte.

Es handelte sich um eine drehbar gelagerte Kugel, in welche über die hohlen Achsen Dampf aus einem holzbefeuerten Kessel eingeleitet wurde. Der Dampf wurde über zwei entgegengesetzt abgewinkelte Rohre ausgestossen und brachte die Kugel bis auf 1500 Umdrehungen pro Minute. Herons Kugel war als Spielzeug konzipiert; moderne Nachbildungen ergaben, dass der Wirkungsgrad sehr schlecht war.
 
Bergwerke entwässern

Mehr als eineinhalb Jahrtausende vergingen, bis Wasserdampf zum Verrichten nützlicher Arbeit eingesetzt wurde. In diesem Zusammenhang muss gleich festgehalten werden, dass James Watt (1736-1819) nicht der Erfinder der Dampfmaschine war; allerdings hat er sie wesentlich verbessert. Die allererste Kolbendampfmaschine baute der Franzose Denis Papin (1647-1712) zum Antrieb einer Pumpe. Der in seinen Zylinder geleitete Dampf kondensierte unter der Wirkung von eingespritztem, kaltem Wasser, wobei der atmosphärische Druck den Kolben in den Zylinder drückte.

Die britischen Pioniere der Dampfmaschine waren Thomas Savery (1650-1715) und Thomas Newcomen (1663-1729). Newcomens Maschine diente schon 1712 – lange vor Watts Geburt – zum Abpumpen von Wasser in einem Bergwerk. Ihr Betrieb war trotz dem Wirkungsgrad von weniger als 1 Prozent im Vergleich zum Einsatz von Pferden durchaus rentabel. Auch bei den britischen Vorreitern handelte es sich um sogenannte atmosphärische Dampfmaschinen, bei denen das im Zylinder erzeugte, grobe Vakuum den Arbeitstakt ausführte.
 
James Watt und die Pferde

An diese Entwicklungen anschliessend, baute James Watt ab 1769 die ersten Niederdruck-Dampfmaschinen, bei denen auch das Füllen des Zylinders ein Arbeitstakt war. Watts wichtigste Erfindung war jedoch die doppelt wirkende Dampfmaschine, bei welcher der Kolben abwechslungsweise von beiden Seiten her mit Dampf angetrieben wurde. Zudem kühlte man den ausgestossenen Dampf in einem externen Kondensator und rezyklierte das Wasser. Die optimierte Betätigung der Dampfschieber sowie der (bereits existierende) Fliehkraftregler brachten den Wirkungsgrad von Watts Maschinen bis auf 3 Prozent.

Um die Leistung seiner Dampfmaschinen quantitativ angeben zu können, erfand James Watt auch die Pferdestärke (PS). Nach langen Gesprächen mit Mühlenbauern fand er, dass ein langfristig gesund bleibendes Pferd während eines zehnstündigen Arbeitstags nicht mehr als 10 Prozent seines Körpergewichts bei einer Geschwindigkeit von 4 bis 5 km/h bewegen sollte. Daraus ergibt sich die Einheit PS, wobei eine Pferdestärke 735,5 Watt entspricht. Kurzfristig kann ein Pferd bis zu 15 PS leisten, doch wird es dabei richtiggehend geschunden.
 
Industrielle Revolution

Im Sinne höherer Leistungen und eines besseren Wirkungsgrades führte die Entwicklung zu immer höheren Drücken und Temperaturen. Dazu benötigte man Stähle hoher Festigkeit – Ansporn für die Metallurgie. Eine Hochdruckdampfmaschine wurde schon 1801 zum Antrieb eines Strassenfahrzeugs eingesetzt. Man verzichtete auf den Kondensator, um Gewicht einzusparen: Der Dampf wurde gleich nach der Entspannung im Zylinder ausgestossen. Ein wichtiger Fortschritt war zudem die Compound-Maschine, bei welcher der vom Hochdruckzylinder ausgestossene Dampf einem oder mehreren Niederdruckzylindern zugeführt wurde und weitere Arbeit leistete.

Die Dampfmaschine revolutionierte nicht nur den Bergbau, sondern auch die Textil- und Metallindustrie. Man identifiziert sie mit der industriellen Revolution. Im Transportwesen wurden mit der Dampflokomotive und dem Dampfschiff im 19. Jahrhundert völlig neue Horizonte erschlossen. Wer Geld hatte, konnte nun komfortabel rund um die Welt reisen. Doch ab dem 20. Jahrhundert wurde die Kolbendampfmaschine durch die ohne Vorerwärmung startenden Verbrennungsmotoren verdrängt.
 
1800 Megawatt Leistung

Bei den fossil befeuerten beziehungsweise nuklearen Kraftwerken spielt Dampf weiterhin die zentrale Rolle, doch dient er zum Antrieb von hocheffizienten Dampfturbinen. Ihre massive, mit zahlreichen Kränzen von Schaufeln bestückte Welle ist zum Sinnbild der modernen Technik geworden. Im Hochdruckteil sind die Schaufeln sehr kurz, sie werden zur optimalen Nutzung des bereits teilweise entspannten Dampfs immer grösser und können eine Länge von über zwei Metern erreichen. Die zum Antrieb eines Generators dienenden Dampfturbinen erreichen Leistungen um 1800 Megawatt.




aus nzz.ch, 25. Juli 2012, 08:58


Dampfmaschine
Mehr Kunst als Wissenschaft

von Marcel Hänggi ⋅ «Technik ist der Kunst näher verwandt als der Wissenschaft», hat der amerikanische Ingenieur Cyril Stanley Smith einmal geschrieben. Dass Technik als Anwendung aus der Wissenschaft hervorgeht, ist eher die Ausnahme als die Regel. Häufiger geht sie der Wissenschaft voraus. 

Paradebeispiel ist die Dampfmaschine. Thomas Newcomen, der vor genau 300 Jahren die erste funktionstüchtige Dampfmaschine baute, war Schmied und damit mehr Künstler als Wissenschafter.
Andere vor ihm hatten versucht, die Dampfkraft zu nutzen, aber erst Newcomen erreichte die nötige Präzision der Kolben, Ventile und Dichtungen. Wohl profitierte er von der Wissenschaft – aber nicht von deren Theorie, sondern von praktischen Erfahrungen: Naturforscher experimentierten schon länger mit Luftdruck und Vakuum und liessen entsprechende Geräte bauen. Die Theorie der Thermodynamik indes folgte erst 150 Jahre nach der ersten thermodynamischen Maschine.

Die Dampfmaschine war eine der folgenschwersten Erfindungen der Neuzeit. Die industrielle Revolution ausgelöst, wie das so oft behauptet wird, hat sie zwar nicht; diese Revolution setzte zu Beginn vor allem auf Wasser- und menschliche Arbeitskraft. Die Dampfmaschine war also «kein Motor der Geschichte», wie der Historiker Joachim Radkau in seinem Buch «Technik in Deutschland» schreibt. Aber die Dampfmaschine begründete das «fossile Zeitalter» mit all seinen Implikationen bis hin zum Klimawandel. Sie hat der Industrialisierung eine Richtung gewiesen und das Gesicht unserer Gesellschaft, ihre Machtstrukturen, ihren Rhythmus massgeblich geprägt.

Die ersten Dampfmaschinen entwässerten als Pumpen Kohlebergwerke. Kohle wurde eingesetzt, um Kohle zu gewinnen; wer mehr Kohle hatte, konnte mehr Kohle «machen». Der Vorteil der Dampfkraft lag nicht im Preis oder in der Effizienz, sondern in ihrem Hang zur Grösse. Pferdekraft war zwar billiger. Aber es liessen sich schlecht 60 Pferde in einen Göpel spannen – während man ohne weiteres eine 60-PS-Dampfmaschine bauen konnte.

Wasserkraft wiederum war um Welten effizienter. Aber sie war ortsgebunden, solange man den elektrischen Strom nicht nutzen konnte. Kohle dagegen wurde mit der Eisenbahn ortsunabhängig. Die ersten Eisenbahnen wurden zum Kohletransport gebaut: Kohle transportierte sich selber, der Energieverbrauch entkoppelte sich räumlich von der Energiegewinnung, Industrieballungen entstanden.

Die Dampfkraft ersetzte die menschliche und tierische Arbeitskraft nur teilweise. Ihren grausamen Höhepunkt erreichte die manuelle Arbeit, als die dampfgetriebenen Textilfabriken Europas immer mehr Baumwolle aus Sklavenplantagen nachfragten. Auch in den Fabriken selbst schufteten Arbeiter, und zwar rund um die Uhr. Denn mit dem Gas, das bei der Verkokung von Kohle anfiel, liessen sich die Hallen künstlich beleuchten.

Zurück zum Anfang: Technik sei der Kunst näher als der Wissenschaft – das gilt wohl nur für vormoderne, wissenschaftsferne Zeiten, könnte man meinen. Keineswegs. Der eingangs zitierte Cyril Stanley Smith münzte seine Aussage auf eine Entwicklung, die für wissenschaftsbasierte Technik steht wie keine zweite: Er war Atombomben-Konstrukteur im Manhattan Project.

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