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Kay Gropp
Pressestelle
Universität Witten/Herdecke
25.07.2014 10:48
Prof. Dr. Birger P. Priddat beschreibt in seinem neuen Buch “Homo
Dyctos“ (Netzmensch) den Zusammenhang von Wirtschaft und Denken
Im Jahr Eins nach den Enthüllungen von Edward Snowden zu den
Methoden der NSA im Netz steht das Internet plötzlich vor einem großen
Imageschaden: Vorher die große Hoffnung auf die große Freiheit und das
jederzeit sofort überall dabei sein, nachher die bedrohliche
Schnüffelmaschine, die die Privatsphäre zur Lachnummer macht. Für den
Philosophen und Volkswirt der Universität Witten/Herdecke, Prof. Dr.
Birger P. Priddat, ein Grund genauer hin zu sehen: Er untersucht drei
Phänomene: Verhaltensänderungen des Menschen im Umgang mit und durch das
Internet, Big Data und den Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen.
Priddat versucht hierbei, z.B. das Phänomen der
Urheberrechtsverletzungen im Internet neu zu verstehen. Massenhafter und
in einer juristischen Welt verbotener Download von Filmen und Musik
gehört zu einem „remix“ von Bildern und Tönen, die in Blogs und Foren
wie Facebook oder tumblr eine neue Art der Selbstdarstellung und der
„ich-Konstruktion“ ermöglichen. „Der Konsum ist nicht mehr nur private
Aneignung, sondern nimmt netz-öffentliche Formen an. Der Konsum erfolgt
durch die Anderen, denen man sich so präsentiert. Man selber konsumiert
deren Anerkennung bzw. Resonanz.“ (S. 15f) Oder an anderer Stelle geht
er auf die Allgegenwärtigkeit des Netzes ein: „Das Inter-Netz forciert
nicht nur das Gefühl, weltweit überall zugreifen zu können (permanent
access) und dabei zu sein (high level presence), sondern auch das – aus
klassischer Perspektive dilettierende – Probieren neuer Konstellationen
(creativity). Wahrnehmungen (und deren remixe) gelten bereits schon als
Wissen“. (S. 37f)
Die Überwachung unserer Klicks bei Amazon und Co führt zu persönlichen
Profilen, die mir nur noch die Werbung zeigt, die ich auch mag und mich
interessiert. Durch diese Datenberge (Big Data) verändert sich aber
nicht nur mein Konsum. Indem ich viel individueller angesprochen und zum
Kaufen angereizt werde, verändert sich auch ein Teil meiner
Persönlichkeitsstruktur.
Zum Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen: Das hektische Treiben auf
dem Börsenparkett, das Ballett der Händler mit ihrem Winken, das alles
ist verglichen mit dem Hochgeschwindigkeitshandel der Computer eine
Superzeitlupe: Zum Jahreswechsel 2012/13 konnten die Rechner in jeder
Sekunde 250.000 Aktienkäufe bzw. –verkäufe durchführen, 2014 werden es
vermutlich schon 400.000 sein. Diese hohe Geschwindigkeit nutzen die
Programme dazu, Käufe anzufragen und Millisekunden später wieder
abzusagen, nur um zu sehen, ob jemand drauf anspringt und wo das Geld
sitzt. Smoking und spoofing heißt das auf Börsendeutsch. 80% der
Aufträge im Hochgeschwindigkeitshandel der deutschen Börse werden wieder
storniert. Aber wenn man auch nur eine Aktie für einen Cent über dem
Einkaufspreis wieder verkaufen kann, bringt das im großen Maßstab großen
Gewinn: In der Börsenrushhour zwischen 15 und 16 Uhr wurden 2013 pro
Tag 70 – 80 Millionen Wertpapiere gehandelt, macht rein theoretisch
700.000 – 800.000 Euro Gewinn täglich. Die Deutsche Bank verdient 40
Prozent ihrer Gesamterträge im Wertpapierbörsenhandel. „Der
Hochgeschwindigkeitshandel verändert unsere Vorstellungen von Akteuren
und von Zeit. Und: Er führt zu einer Veränderung bei unserer Vorstellung
von ‚Entscheidung‘, denn tatsächlich entscheidet die Maschine ja nicht,
sie reagiert nur so schnell, dass es wie eine Entscheidung aussieht“,
fasst Priddat die Auswirkung zusammen. „Wenn wir das jetzt auf uns
Menschen übertragen, dann fehlt das Moment des rationalen Vergleichens
und Entscheidens, was ja den Kern der Ökonomik mit dem vernünftigen und
informierten Subjekt ausmacht. Diese Rationalität entpuppt sich als
Zeitluxus, weil keine Zeit mehr zum Überlegen bleibt. Das erst mal zu
verstehen, ist eine bedeutsame Anforderung an die Theorien, die wir
bislang noch vor uns haben.“
Birger P. Priddat: Homo Dyctos. Netze, Menschen, Märkte. Über das neue
Ich: market-generated identities. Marburg: Metropolis 2014
http://www.metropolis-verlag.de/Homo-Dyctos/1067/book.do
Weitere Informationen bei Birger P. Priddat, 02302/926-582, birger.priddat@uni-wh.de
http://www.uni-wh.de/universitaet/personenverzeichnis/details/show/Employee/prid...
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