aus nzz.ch, 7.1.2015, 05:30 Uhr
In der Kampfzone des Kommunismus
Werner Scholem steht heute im Schatten seines Bruders Gershom, aber in jungen Jahren bewegten sich beide zwischen zionistischen und sozialistischen Idealen. Werners spätere Affiliation mit der KPD und die jüdische Abkunft machten ihn zum Feindbild par excellence für die Nationalsozialisten.
von Andreas Kilcher
Mit dem Namen Scholem verbindet man den Kabbala-Forscher Gershom Scholem, kaum dagegen dessen Bruder Werner Scholem, den kommunistischen Intellektuellen und Politiker. Nachdem Werner Scholems bewegtes Leben unter anderem bei Hans Magnus Enzensberger und Alexander Kluge Gegenstand literarischer Erzählung geworden waren, erschienen nun gleich zwei Biografien. – Kaum anders ist dieses Leben erzählbar als von seinem Ende her: der Ermordung Werner Scholems durch die Nationalsozialisten. Gershom Scholem widmete seine Autobiografie «Von Berlin nach Jerusalem» (1977) «dem Andenken meines Bruders Werner / geboren im Dezember 1895 in Berlin / ermordet im Juni 1940 in Buchenwald» – ermordet wurde er als doppelter Gegner der Nazis: als Kommunist und Jude.
Vier Brüder, drei Welten
Der Kommunismus war Werner Scholem keineswegs in die Wiege gelegt. Die Brüder Scholem – es waren vier: Reinhold, Erich, Werner und Gerhard, der sich später Gershom nennen sollte – wuchsen in einer assimilierten jüdischen Familie auf: Der autoritäre Vater Arthur, Inhaber einer Druckerei, war deutschnational, säkular, antizionistisch. Die älteren Söhne folgten ihm: Reinhold wurde als Mitglied der Deutschen Volkspartei noch deutscher als der Vater. Erich orientierte sich nicht rechts-, sondern – der Mutter Betty folgend – linksliberal und wurde Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei. Die jüngeren Söhne aber scherten schon als Gymnasiasten mithilfe zweier antibürgerlicher Alternativen rebellisch aus. Sechzehnjährig schloss sich Werner zunächst der zionistischen Jugendbewegung an, der er auch Gerhard zuführte. Während aber Gerhard bei dieser blieb, wandte sich Werner bald der sozialistischen zu, in der er einen «umfassenderen Wirkungskreis» sah.
Werner und Gerhard fochten in der Folge einen intellektuellen Wettstreit aus, wobei sie den Gegensatz, dann wieder die Verbindung von Sozialismus und Zionismus akzentuierten. Sie trafen sich insbesondere in der scharfen Ablehnung des Krieges, womit sie sich allerdings gerade gegen den Mainstream der sozialistischen wie der zionistischen Ideologie stellten. Tatsächlich fügten sich unter dem Diktat des Burgfriedens Sozialdemokratie wie Zionismus in Deutschland der allgemeinen Kriegsräson – die Zionisten zudem, weil sie die Befreiung der russischen Juden von der zaristischen Unterdrückung gekommen sahen. Werner – 1915 bis 1918 als Soldat an der Front – wurde Anhänger von Karl Liebknechts Antimilitarismus, den Gerhard auf sein Idealbild des Zionismus übertrug, um zionistische Kriegsbejaher wie Martin Buber scharf zu attackieren. So wurde der Zionismus auch für Werner wieder eine Option, während Gerhard den Beitritt zur Sozialdemokratie erwog.
Von diesem Berührungspunkt aus aber strebten die beiden auseinander: Im März 1918 bilanzierte Gerhard: «Zwischen uns klafft eine riesige ewige Kluft, die nicht zu überwinden ist.» Gerhard zog sich aus der Politik zurück und versenkte sich ins Studium, während er dem Zionismus eine intellektuelle Richtung im Sinne Achad Haams gab, der vor der politischen eine «geistige Renaissance» des Judentums forderte. Werner dagegen behielt die radikale, querdenkerische Haltung bei und wandte sich als Linksintellektueller entschieden zur Politik. 1917 trat er der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei und wurde wegen Antikriegsaktivitäten mehrfach inhaftiert. Sein weiterer Weg ist vor dem weltgeschichtlichen Horizont zu verstehen. Dazu zählt nicht nur der Krieg, sondern auch die russische Revolution. Scholem wurde Revolutionär in Trotzkis Sinne, erwartete wie Trotzki die Weltrevolution.
Der Spartakusaufstand im Januar 1919 und die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten erschienen als Anfänge der Revolution auch in Deutschland. 1921 wechselte Werner Scholem zur neugegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Inzwischen als politischer Journalist – er war Redakteur der Parteizeitung «Die Rote Fahne» – und als Redner eine markante öffentliche Gestalt, wurde er von der KPD in den Preussischen Landtag entsandt. Seine Kompromisslosigkeit war dort selbst in der Linken kontrovers, vor allem aber wurde er, als jüdischer Kommunist, zum bevorzugten Angriffsziel der Rechten. Die Immunität als Abgeordneter konnte ihn vor politischer Verfolgung nicht bewahren: 1921 wurde er wegen Landesverrats angeklagt und kam, nach Flucht und Festnahme, erst im Dezember 1922 wieder frei.
Ausgeschlossen und verfolgt
1924 bis 1928 gehörte er dem Deutschen Reichstag an. In der Zeit gelangte er in eine führende Funktion in der KPD, als diese 1924 eine Linkswende vollzog: Von Moskau wahrgenommen, wurde Scholem auf Druck der Kommunistischen Internationale Mitglied des Politbüros der KPD und gehörte mit Ruth Fischer und Arkadi Maslow zur «ultralinken» Parteiführung. In dieser Stellung leitete er nach dem Muster der Bolschewiken eine Zentralisierung der Partei ein. Ihre Stellung konnten Scholem und die Ultralinken nicht lange halten. Auch auf Druck Stalins, der sich nach Lenins Tod 1924 im Machtkampf gegen Trotzki durchgesetzt hatte, wurde die Parteiführung der KPD Ende 1925 abgesetzt; mehr noch: Im November 1926 wurde Scholem, wie kurz zuvor Fischer und Maslow, aus der KPD ausgeschlossen. Die Ausgeschlossenen organisierten sich als «Linke Kommunisten» im Reichstag, in dem Scholem bis 1928 verblieb; danach im Lenin-Bund, dem er allerdings nur kurz angehörte. Als Parteiloser zog er sich aus der Politik zurück. Trotzki blieb er jedoch ideell verbunden, während er den Stalinismus kritisierte.
Obwohl Werner Scholem 1933 nicht mehr politisch aktiv war – er absolvierte ein Studium der Rechte –, blieb er für die Nazis der jüdische Kommunist par excellence und damit der doppelte Feind. Unmittelbar nach der Machtergreifung wurde er verhaftet, jedoch wieder freigelassen. Er bereitete daraufhin seine Flucht vor – erster Exilort sollte Zürich sein, wo Arthur Hirsch, ein Vetter der Mutter, Mathematikprofessor an der ETH war. Dass Scholem die Flucht nicht gelang, ist einer Mischung aus Naivität und Pech geschuldet: Er wartete trotz Ausreisegenehmigung ab. Mehr zufällig wurde er im April 1933 erneut verhaftet. Nun entkam er dem Griff der Nazis nicht mehr. Zwar wurde er nach langer Untersuchungshaft im März 1935 von dem willkürlich konstruierten Vorwurf des Hochverrats aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Doch kam er sogleich in «Schutzhaft» und wurde nun als Jude festgehalten. Goebbels nannte ihn, unter anderem 1935 auf dem Parteitag der NSDAP, als Beispiel für die jüdische «Beherrschung» der KPD. Und in der im November 1937 in München eröffneten antisemitischen Propagandaausstellung «Der ewige Jude» stand eine Büste Werner Scholems, die den Typus des «jüdischen Bolschewisten» veranschaulichen sollte. 1937 wurde Scholem nach Dachau, 1938 nach Buchenwald verschleppt, wo er am 17. Juli 1940 angeblich «auf der Flucht» erschossen wurde. Seiner Frau, die ebenfalls verhaftet wurde, gelang mit zwei Töchtern die Flucht nach London.
Unterschiedliche Akzente
Die beiden kundigen Bücher aus wissenschaftlichen Federn setzen je eigene Akzente. Während Ralf Hoffrogge in seiner «politischen Biografie» Werner Scholems Leben stärker im Kontext der Arbeiterbewegung rekonstruiert, gelingt Mirjam Zadoff ein umfassendes Bild Scholems als des «nichtjüdischen Juden» – so ihr von Isaac Deutscher übernommener Begriff für einen sozialistischen, «häretischen», das heisst: atheistischen und antinationalistischen Juden, mit dem Deutscher sich selber, aber auch Marx und Trotzki bezeichnete. Aufschlussreich ist auch Zadoffs Darstellung der intellektuellen Auseinandersetzung Werner Scholems mit seinem Bruder Gerhard sowie der «Alchemie» der Familie Scholem – dadurch nimmt die Gestalt des kommunistischen Politikers komplexere Konturen an. Inhaltlich können die beiden Biografien gut nebeneinander bestehen, besser lesen lässt sich das Buch von Zadoff.
Mirjam Zadoff: Der rote Hiob. Das Leben des Werner Scholem. Hanser, München 2014. 384 S., Fr. 37.90. Ralf Hoffrogge: Werner Scholem. Eine politische Biografie. Universitätsverlag Konstanz, Konstanz 2014. 496 S., Fr. 35.40.
Nota. - Nach Lenins Tod bildeten im Politbüro der russischen kommunistisch Partei Sinowjew und Kamenjew gemeinsam mit dem Generalsekretär Stalin, der die Organisation kontrollierte, eine Troika, um zu verhindern, dass Trotzki die Nachfolge Lenins antrat.
Sinowjew war der Präsident der Kommunistischen Internationale, und in dieser Funktion gelang es ihm, die übrigen kommunistischen Parteien unterm Schlagwort "Bolschewisierung" auf das Moskauer Führungstrio einzuschwören - unter anderm, indem er der KPD die ultralinke Fischer-Maslow-Gruppe als Parteiführung überhalf. Nachdem dies gelungen war, verbündete sich Stalin mit dem "rechten" Bucharin, der Sinowjews Posten in der Komintern übernahm und aus der deutschen Fischer-Maslow-Gruppe den willfährigen und nichtssagenden Thälmann auswählte, um die weniger moskauhörigen Parteiführer auszuschließen. Scholem gehörte zu letzteren, aber als Parteigänger Sinowjews kann man ihn nicht guten Gewissens für ein Opfer halten.
JE
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