Donnerstag, 1. Januar 2015

Schland vor allen.

Phoenix by CisisCorps
aus Süddeutsche.de, 31. 12. 2014

Positiver Einfluss auf Weltgemeinschaft
Deutschland - das beliebteste Land der Erde?
Was ist nur passiert, dass die Menschen hierzulande plötzlich so beliebt sind? Mit Spott, Angst und dem Vorwurf der Humorlosigkeit ließ es sich doch so gut leben. Und auf einmal das: Anerkennung, ja Zuneigung!

Von Johan Schloemann

Langsam wird es ein wenig unheimlich. Die Welt mag Deutschland, immer mehr. Respekt, Spott, Angst, das kannten wir ja

Aber ausgerechnet die Deutschen, in der Welt vor allem dafür berühmt, zuverlässige Autos zu bauen und Liegestühle am Swimmingpool mit ihren Handtüchern zu reservieren, diese Deutschen sollen jetzt beliebt sein?

Das ist doch ungefähr so, als würde der Junge mit dem Aktenkoffer und der zu großen Brille, der Klassenbester in Mathe ist und immer eine Tupperwurstdose dabei hat, plötzlich zum Klassensprecher gewählt.

Aber so ist es. In dem weltpolitisch unruhigen Jahr, das jetzt zu Ende geht, kulminierte allerorten die Zuneigung zu "uns". Im Frühjahr veröffentlichte die BBC eine repräsentative Umfrage mit 25 000 Teilnehmern aus aller Welt, die Deutschland zum wiederholten Mal zum "Land mit dem größten positiven Einfluss auf die Weltgemeinschaft" erklärte.

Zur Erinnerung: Es gibt 193 Länder zur Auswahl, die Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Deutschland steht an Platz eins. Eine ähnlich groß angelegte Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kam im November zum selben Ergebnis.

Die deutsche Hauptstadt gilt, selbst wenn sich ein paar amerikanische Hipster schon wieder enttäuscht zurückgezogen haben, weiter als eine der coolsten Städte auf dem Globus.

Millionen Touristen strömen nach Berlin, jedes Jahr mehr, und dass sie in Tegel und Schönefeld durch Baracken hineingeschleust werden müssen, weil der bereits zu klein kalkulierte große Flughafen immer noch nicht fertig ist, das hält sie nicht ab.

Selbst die Briten interessieren sich für Deutschland

Als die deutsche Nationalmannschaft im Sommer die Fußball-WM gewann und auf dem Weg dorthin die gastgebenden Brasilianer so leichtfüßig ausspielte, dass es ihr selbst fast schon peinlich war, da jubelte die internationale Presse: Das sei keineswegs bloß ein sportlicher Erfolg. Nein, die Art und Weise, wie die Deutschen da spielten und siegten, sei vielmehr Ausdruck ihres Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells.

Lange vergessen die Ära der Brechstange: Die Deutschen hätten nämlich längst eine bestimmte magische Mischung aus Bescheidenheit und Effizienz, aus Stabilität und Kreativität, aus Präzision und Offenheit gefunden, welche auch ihr Zusammenleben, ihre Ökonomie sowie auch den Regierungsstil von Bundeskanzlerin Angela Merkel auszeichne. So lauteten die sehr gewagten, aber stets wohlwollenden Analysen.

In diesem Jahr erreichte auch das Interesse an Deutschland in dem Land seinen bisherigen Höhepunkt, wo man es lange Zeit am wenigsten erwartet hatte: in Großbritannien. Während der konservative Premierminister Cameron, von Rechtspopulisten getrieben, mit der Drohung des EU-Austritts herumfuchtelte, feierten Londons Museen einen deutschen Herbst. In London haben für die Berlin-Fans auch schon erste Currywurstbuden aufgemacht. Eine heißt "Herman ze German".

Ein Cambridge-Historiker, der aus Australien stammt, Christopher Clark, ging in seinem Bestseller "Die Schlafwandler" über die Entstehung des Ersten Weltkriegs gnädig mit den Deutschen um - zu gnädig, fanden manche -, und inzwischen fährt Professor Clark für eine ZDF-Serie in einem alten Käfer-Cabrio in milder Abendsonne durch die Täler von Rhein und Mosel und erzählt seine "Deutschland-Saga".

Der Direktor des Britischen Museums wiederum, Neil MacGregor, stellte ein riesiges Deutschland-Projekt auf die Beine, als Ausstellung in London, als Buch und als BBC-Radiosendung in dreißig Folgen: "Germany - Memories of a Nation", vom Mittelalter bis heute. Kundig, gewitzt und mitunter auch ein bisschen pathetisch versucht MacGregor, die deutsche Kultur wieder ins Herz der englischen Mittelklasse hineinzuplaudern, wo sie schon früher einmal, vor dem Zweiten Weltkrieg, einen Platz hatte.

Technologisch hochentwickelt, ökonomisch stabil und internationale Führungsmacht - Deutschland ist in den USA so beliebt wie nie zuvor. Die Amerikaner schätzen uns mehr als umgekehrt.

Bemerkenswert ist, dass dabei Hitler und der Holocaust zwar weiter eine zentrale Rolle spielen, aber längst nicht mehr, wie sonst oft in der englischen Wahrnehmung, alles andere ausblenden.

Nun werden sicher nicht alle im Ausland, bei denen Deutschland neuerdings populär ist, dies wie Neil MacGregor mit ihrer Begeisterung für Albrecht Dürer, Immanuel Kant oder Paul Klee begründen. Trotzdem passt solche Zuwendung gut in die Zeit. Die einen schenken sie deutschen Techno-DJs oder Küchenherstellern, die anderen eben doch vor allem den Autos, dem Bier und den Fußballern. Manche gehen jetzt sogar so weit, die Deutschen nicht mehr für völlig humorlos zu halten.

Wann sich die Deutschen selbst großartig finden

Hauptgrund der neuen Wertschätzung aber ist die ökonomische Stabilität, die Deutschland seit den Unruhen der Finanz- und Euro-Krise ausstrahlt. Von außen gesehen ist Deutschland eine Bank: unaufgeregt geführt, mit solider industrieller Basis.

Vieles, was man früher langweilig fand an der Bundesrepublik, wird jetzt mit Interesse studiert: Mittelstand, duales Ausbildungssystem, Föderalismus. Und der solide Ruf hat auch Auswirkungen auf die außenpolitische Stellung des Landes, von dem nunmehr sogar gefordert wird, endlich noch mehr Führung zu übernehmen.

Aber steht all das nicht im Gegensatz zur neuen Deutschenfeindlichkeit in den Krisenländern Südeuropas? Zur wachsenden Euro-Skepsis und zum Rechtspopulismus rundherum? Nein, es ist vielmehr die andere Seite derselben Medaille.

Deutschland, das ist auch "Pegida"

Was die einen an Deutschlands Kurs in Europa zu hartherzig finden, ist genau das, was das Land in den Augen der anderen vorbildlich macht oder die Bedingungen dafür schafft. Und dies ist auch ein guter Grund, die neue Germanophilie wenn nicht gleich unheimlich zu finden, so doch mit gesunder Vorsicht zu genießen. Das Blatt kann sich leicht auch wieder wenden.

Die Deutschen selbst finden sich ohnehin nur großartig, wenn sie ihr Land anderen Nationen erklären sollen. Nach innen fällt ihnen schnell wieder auf: Deutschland, das ist auch Helene Fischer, die Steuererklärung und das "Traumschiff".

Mit deutlichen Worten kritisiert die Bundeskanzlerin die Veranstalter der islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen. In ihrer Neujahrsansprache appelliert Angela Merkel an die Deutschen: "Folgen Sie denen nicht!"

Deutschland, das ist auch "Pegida" - selbst wenn es bis heute noch keine rechtspopulistische Partei in den Bundestag geschafft hat. Deutschland verpulvert gerade das Geld zulasten seiner künftigen Generationen, ist reformmüde, und der berühmte Erfindungsreichtum des Landes scheint sich in der digitalen Ära abzuschwächen. Bei all dem können uns Partytouristen und Ausstellungen in London auch nicht helfen.

Immerhin: Ein bisschen Liebe von außen kann sicher nicht schaden.


Nota. - Der deutsche Sonderweg begann im neunten Jahrhundert, als die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs an den deutschen König fiel, weil sein französischer Kollege nur noch über einen Schrebergarten rund um Paris herrschte.

Machen wirs kurz: Der Papst in Rom (und dann erst in Avignon!) hatte den deutschen König zum Gegner, nicht die andern europäischen Fürsten, ihn verwickelte er in Norditalien in endlose Scherereien, ihn hinderte er am Aufbau eines nationalen Staats.

Mit der Reformation wurde dann der deutsche König - inzwischen ein Habsburger Dynast - zum ultramontanen Stipendiaten, während die deutschnationale Karte in die Hände der protestantischen Reichsfürsten fiel. Und mit dem Dreißigjährigen Krieg war mit einem deutschen Staat Schluss.

Ohne Rivalität mit der (noch) einig einzigen Kirche, ohne deutsch-römische Königs- und Kaiserkrone konnte in Mitteleuropa ein Nationalstaat entstehen, der sich gegen Richelieu und gegen den Sonnenkönig hätte aufrichten können, hätte England keine Gelegenheit gefunden, zum Schiedsrichter und Garanten des "europäischen Gleichgewichts" aufzusteigen, und wäre Großbritannien womöglich nie zum Herren der Meere und der Welt geworden.

Oder das alles doch, aber unter ganz anderen Umständen und zu ganz anderer Zeit...

Ganz unwahrscheinlich ist aber, dass unter diesen anderen Umständen ein deutscher Nationalstaat am Anfang des zwanzigsten Jahrhundert sich in der Lage eines Zuspätgekommenen befunden hätte, der um seinen Platz an der Sonne gegen alle andern Krieg führen musste.

Der erste Weltkrieg ist an der Erschöpfung aller beteiligten Parteien zu Ende gegangen. Nein, zu Ende eben nicht, nach einer Verschnaufpause musste Deutschland einen zweiten Anlauf nehmen, wenn ihm die Weltre- volution nicht zuvor kam. Sie kam es nicht, und beim zweiten Mal war Deutschland wirklich am Ende. Am Ende? Mitnichten. Die Westmächte brauchten es dringend, um ihren Bestand gegen Stalins Russland zu wahren, und so stieg Deutschland auf wie Phönix aus der Asche. Das Deutsche Jahrhundert ist so zu seinem Abschluss gekommen.

Wenn es nicht pompös klänge, möchte man sagen, ein tausendjähriger Zyklus sei abgeschlossen, und Deutschland steht in seiner teuer erkauften Bescheidenheit größer da, als es sich in seinen wahnsinnigsten Momenten hat träumen lassen. Wenn das mal gutgeht! Wenn wir jemand anders als Mutti Merkel an der Spitze hätten, müsste uns mulmig werden.
JE



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