Samstag, 28. Februar 2015

Die Erbschaft der Amazonas-Zivilisationen.

Terra preta unter einer brasilianischen Plantage.aus nzz.ch, 19. 2. 2015, 18.2.2015, 05:33 Uhr                                                               schwarze Erde

Das schwarze Erbe
Die dunklen Erden Südamerikas geben langsam ihre Geheimnisse preis

von Kurt de Swaaf

«Terra preta» zeugt von der Existenz längst verschwundener Kulturen im südamerikanischen Dschungel. Die dunklen Erden könnten der Schlüssel zu einer nachhaltigeren tropischen Landwirtschaft sein.

Bis heute ist nur wenig über die untergegangenen Kulturen des Amazonasbeckens bekannt. Sie hinterliessen keine monumentalen Paläste oder Tempel. Stein ist in diesen Gefilden Mangelware, man baute mit Holz und anderen vergänglichen Materialien. Die wichtigsten Zeugnisse früherer Siedlungsstrukturen sind kaum als solche zu erkennen. Dennoch erstrecken sie sich teilweise über weit mehr als 100 Hektaren, und Bäume schlagen ihre Wurzeln in ihnen: die dunklen Erden Amazoniens. Deren Geheimnisse werden erst langsam gelüftet. Doch immer mehr Forscher befassen sich mit dem seltsamen Erdreich. Denn in seiner Zusammensetzung, so heisst es, liegt womöglich der Schüssel zu einer nachhaltigeren tropischen Landwirtschaft. Sogar der Klimaschutz könnte profitieren.


Das bisher unbekannte Volk lebte in dem dichten Urwald der Region des oberen Purú-Fluss

Erstaunlich fruchtbar

Südamerikanische Dschungelböden mit ihrem oft hohen Eisengehalt gelten als eher unfruchtbar. Sie sind stark verwittert, der Regen hat die meisten Nährstoffe fortgespült. Organisches aus dem Wald wird nach seiner Zersetzung von der Vegetation schnell wieder aufgenommen. Aber es gibt eben Ausnahmen. Einige Areale sind von jenem auffälligen, besonders fruchtbaren Bodentyp bedeckt. Die heutigen Siedler nennen ihn «Terra preta», «schwarze Erde». Man kennt auch eine etwas hellere, braune Variante, die «Terra mulata». Fachleute fassen beide unter der englischen Abkürzung ADE (Amazonian Dark Earths) zusammen.



Die Existenz der ADE und ihr weiträumiges Vorkommen – laut manchen Hochrechnungen könnten mehr als zehn Prozent der Oberfläche Amazoniens von dunklen Erden bedeckt sein – hat die herkömmliche Wahrnehmung der Region infrage gestellt. Die Böden seien das Ergebnis einer langen Besiedlung mit einer hohen Bevölkerungsdichte, sagt Anthropologe William Balée von der Tulane University in New Orleans. Insgesamt könnte das Amazonasbecken vor der europäischen Invasion fünf bis zehn Millionen Menschen beherbergt haben. Sie scheinen vornehmlich in Flussnähe gelebt zu haben, was ihnen eine gute Versorgung mit tierischem Eiweiss in Form von Fisch garantierte. Die Basis der Ernährung bildeten aber Feldfrüchte wie Maniok, Mais und Süsskartoffeln. Nur eine recht intensive Form von Landwirtschaft wäre in der Lage gewesen, die erforderlichen Mengen zu produzieren. Das Bild eines unberührten Urwaldes ist somit zumindest in grossen Teilen des Amazonasbeckens passé. Auch wenn die früheren Siedlungen und Felder längst wieder überwuchert sind.



Knochenmaterial von Fischen

Ihre Farben erhalten die dunklen Böden durch organisches Material. Terra preta könne bei einer Schichtdicke von einem Meter bis zu 500 Tonnen Kohlenstoff pro Hektare enthalten, berichtet der Biologe Thom Kuyper von der niederländischen Universität Wageningen. Die dauerhafte Bindung verhindert, dass diese Mengen in Form von CO2 in die Atmosphäre entweichen und so den Treibhauseffekt verstärken. Der festgelegte Kohlenstoffanteil besteht allerdings nicht aus Torf oder Humus, sondern aus verkohlter Biomasse. Offensichtlich hat Feuer bei der Bildung der Terra preta eine entscheidende Rolle gespielt. Die Bodenqualität wurde dadurch stark verbessert. Abgesehen davon enthält die schwarze Erde viel Knochenmaterial, hauptsächlich von Fischen. «Das ist eine Quelle für Phosphate und Calcium», sagt Kuyper.



Der Wissenschafter erforscht die dunklen Erden bereits seit Jahren und leitet eine internationale Arbeitsgruppe zu dem Thema. Die Experten untersuchen Herkunft und Zusammensetzung der ADE, und sie erörtern deren zukünftiges Nutzungspotenzial. Inzwischen herrscht Konsens darüber, dass die dunklen Böden das Produkt menschlichen Wirkens sind. «Die meisten entstanden zwischen 700 und 1000 nach Christus», erklärt Kuypers Doktorand André Braga Junquiera. Manche seien jedoch viel älter. Sie datieren weit vor Beginn unserer Zeitrechnung. Ihre dauerhafte Fruchtbarkeit inspiriert die Experten, in Wageningen und anderswo. Sie wollen die Herstellung von Terra preta kopieren – zum Nutzen der Landwirtschaft. Manche hoffen, damit auch das Klima entlasten zu können. Thom Kuyper bezweifelt aber, dass beides gleichzeitig möglich ist. Je fester der Kohlenstoff im Boden gebunden sei, desto weniger nutze er den Pflanzen.

Die Beständigkeit der ADE gegen Umwelteinflüsse ist wohl einem komplexen Zusammenspiel ihrer Bestandteile zu verdanken. Die Kohlenstoffkomponente, der sogenannte Biochar, tritt dabei mit Mineralien aus den Knochenresten und der ursprünglichen Bodenkrume in Wechselwirkung. Phosphorverbindungen begünstigen die Zerkleinerung eisenhaltiger Partikel. Deren Gesamtoberfläche, erläutert Kuyper, nehme dadurch zu, wodurch sie mehr organisches Material binden könnten. «Ohne den Zusatz von Phosphaten wäre es wahrscheinlich nicht möglich, so viel Kohlenstoff langfristig zu fixieren.»



Antiker Abfall

Inwiefern die Amazonasureinwohner solche Prozesse bewusst anstiessen, ist unklar. Viele Forscher betrachten die Terra preta schlicht als antiken Abfall. Der Hintergrund: Die schwarzen Böden sind oft mit zahlreichen Keramikscherben durchsetzt. Hätte man die nährstoffreiche Erde eigens zu landwirtschaftlichen Zwecken produziert, wären solche Zugaben kaum sinnvoll gewesen. Terra preta könnte demnach durch das jahrhundertelange Ablagern von Müll entstanden sein, der zum Teil verbrannt wurde. Vermutlich wurden auch Fäkalien hinzugekippt. Terra mulata dagegen ist in der Regel scherbenfrei. Deshalb sei dieser Typus eher das Ergebnis gezielter Bodenverbesserungsmassnahmen, meinen die Wissenschafter.

Live dabei

Antoinette WinklerPrins, Geografin an der John Hopkins University in Boston, sieht die scharfe Trennung zwischen beiden Erdsorten mit Skepsis. «Die Menschen taten Dinge wahrscheinlich bewusst wie auch per Zufall, zur gleichen Zeit und am gleichen Ort», sagt sie. Man könnte halb verbrannten oder kompostierten organischen Abfall als Düngemittel eingesetzt und ehemalige Müllplätze in Äcker umgewandelt haben. In der Nähe von Häusern hätten solche Deponien gute Gärten gegeben, meint auch Kuyper. «Die Pflanzen gedeihen darauf deutlich besser.» Ein Vorteil, den sich auch heutige Bewohner der Region zunutze machen.



Eine Kollegin von WinklerPrins, Susanna Hecht, hat den Entstehungsprozess von neuen ADE möglicherweise direkt beobachtet. Die Expertin lehrt an der University of California in Los Angeles, hat aber in vielen Amazonasregionen Feldforschung betrieben. Beim indigenen Stamm der Kayapó, im Einzugsgebiet des Rio Xingú, stiess sie auf eine interessante Praxis. Die Menschen setzen bei der Bewirtschaftung ihrer Felder regelmässig «kalte Feuer» ein. Unkraut, Buschwerk und die Reste abgeernteter Nutzpflanzen werden in langsam vor sich hin glühenden Haufen direkt vor Ort verbrannt. Dabei entsteht reichlich Holzkohle. Später bringt man auch Asche von den Kochplätzen und Mulch aus. Ein ausgeklügeltes System der Bodenpflege. Überaus ertragreiche Anbauflächen sind das Ergebnis.



«Die Kayapó nutzen natürliche Vorgänge, um die Landschaft zu gestalten», sagt Hecht. Das mikrobielle Leben im Erdreich werde durch die Bearbeitung komplett verändert. Eine kürzlich in der Online-Fachzeitschrift «Plos One» erschienene Studie brasilianischer Forscher hat die besondere Vielfalt an Bakterien in ADE aufgezeigt. Laut den genetischen Analysen der Wissenschafter sind viele der Mikroorganismen der Terra preta physiologisch auf die Verwertung von Kohlenwasserstoffen eingestellt. Sie dürften im Nährstoffhaushalt der dunklen Böden eine wichtige Rolle spielen, unter anderem durch das Umsetzen von komplexen organischen Molekülen in für Pflanzen verwertbare Bestandteile. Im Untergrund benachbarter, nicht angereicherter Flächen kommen solche Bakterienstämme nur in geringer Zahl vor.

Veränderte Waldstruktur

Der ehemalige menschliche Einfluss zeige sich im Amazonasbecken indes nicht nur durch das Vorhandensein von ADE, erklärt Braga Junquiera. Auch der Wald selbst sei mancherorts davon geprägt. Man findet dann vermehrt Palmen der Art Elaies oleifera, deren Früchte zur Ölgewinnung genutzt werden, sowie Obstbäume und andere nützliche Gehölze. Höchstwahrscheinlich haben die Ureinwohner sie vor langer Zeit gezielt angesiedelt.

Die heutigen Amazonier profitieren noch immer davon. Sie mögen ihre Kohlenhydrate hauptsächlich aus Landwirtschaftsprodukten beziehen, so Braga Junquiera, «aber die Vitamine kommen aus dem Wald». Dasselbe gilt für Paranüsse. Die Bäume, an denen sie reifen, gedeihen ebenfalls in uralten mutmasslichen Pflanzungen. Das Sammeln der Nüsse ist für viele Familien die Haupteinnahmequelle. Eine klug bewirtschaftete Tropenwaldlandschaft kann offenbar zahlreiche Menschen ernähren, bei gleichzeitigem Erhalt ihrer Biodiversität. Ein Modell für die Zukunft.


Alle Luftbilder aus Spiegel online



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