aus nzz.ch,
Das Verhältnis von Griechen und Russen
Nähe mit Hindernissen
Die Avancen der neuen griechischen Regierung in Richtung Moskau erscheinen auf den ersten Blick wie eine Wiederbelebung der einst engen griechisch-russischen Beziehung. Doch hat Russland heute bei weitem nicht mehr dieselbe Bedeutung für die Griechen wie noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Die Christianisierung der Kiewer Rus Ende des 10. Jahrhunderts durch Byzanz steht am Anfang der griechisch-russischen Beziehungen. Die neuen Bistümer nördlich des Schwarzen Meeres unterstanden dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, die Bischöfe waren nicht selten Griechen. Mit der Eroberung der Kaiserstadt am Bosporus durch die Osmanen 1453 und dem Ende des Byzantinischen Reiches fand die Phase der griechischen Dominanz in dieser Beziehung ein Ende.
Der Fall Konstantinopels wurde im Grossfürstentum Moskau, das sich im ostslawischen Raum als stärkste Macht etabliert hatte, als Strafe Gottes betrachtet, da die Griechen kurz zuvor in der Hoffnung auf militärische Hilfe aus Westeuropa die Oberhoheit des Papstes anerkannt hatten. Moskau, das sich als einziges noch existierendes rechtgläubig christliches Reich verstand – in diesem Sinn war ursprünglich die Formel vom dritten Rom gemeint –, sah sich nicht in erster Linie in der Nachfolge von Byzanz, sondern versuchte, seine eigene Tradition zu schaffen. Dabei machte man Anleihen bei vielen Quellen. Anders als häufig kolportiert, wurde etwa der Doppeladler als heraldisches Symbol nicht aus Byzanz, sondern von den Habsburgern übernommen. Erst später, im 17. Jahrhundert, trat das byzantinische Vorbild wieder stärker in den Vordergrund, nun zum Teil direkt unter griechischem Einfluss.
Eingeschränkte Sympathien
Für die Griechen, die unter osmanischer Herrschaft lebten, wurde Moskau als einziger unabhängiger orthodoxer Staat nämlich immer wichtiger. Der Zar, wie sich der Moskauer Herrscher seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nannte, entwickelte sich zum grosszügigen Mäzen der orthodoxen Kirche im Osmanischen Reich. Moskau war das Ziel der Reisen zahlloser griechischer Kleriker, die von dort mit reichen Gaben für ihre Klöster, Bistümer und Patriarchate zurückkehrten. Die gegenseitigen Sympathien hielten sich indes in Grenzen. Für die Moskowiter war die rechtgläubige Frömmigkeit der Griechen auch nach dem Ende der ephemeren Kirchenunion mit Rom nicht über jeden Zweifel erhaben. Die Griechen wiederum sahen in den Russen ein starkes und reiches, zugleich aber grobes und ungebildetes Volk, dessen barbarische Frömmigkeit der geistigen Anleitung durch die Griechen bedürfe. «Man läutet in Moskau zwar viel die Glocken, aber sonst gibt es dort nichts», äussert sich im 17. Jahrhundert ein griechischer Bischof abschätzig.
Die Griechen sahen im russischen Herrscher aber nicht nur einen grosszügigen Spender. Relativ bald entwickelte sich die Erwartung, der Zar werde sie von der osmanischen Herrschaft befreien. Dabei griff man auf bereits aus byzantinischer Zeit stammende, nun neue Interpretationen findende volkstümliche Apokalypsen, Orakel und Legenden zurück. Eine wichtige Rolle spielte unter anderem die Prophezeiung, wonach die Griechen die Osmanen mithilfe des «blonden Volkes» besiegen würden. Im Mittelalter hatte man dahinter noch die Franken, also die Westeuropäer, vermutet. Nun identifizierte man die Russen mit dem «blonden Volk». Die mit den Almosenreisen verbundenen Berichte über die aufstrebende orthodoxe Macht im Norden und deren schon damals beeindruckenden geografischen Ausmasse waren der Hintergrund solcher Erwartungen. Seit dem 16. und verstärkt seit dem 17. Jahrhundert wiesen griechische Bischöfe und Patriarchen den Zaren auf dessen aus ihrer Sicht bestehende Pflicht hin, Konstantinopel und die Griechen zu befreien.
Anfangs stiessen sie damit auf taube Ohren. Erst seit dem 18. Jahrhundert – ab Peter dem Grossen – wurde eine auch militärisch gegen das Osmanische Reich gerichtete Stossrichtung manifest. Für die christlich-orthodoxen Balkanvölker insgesamt, nicht nur für die Griechen, schien das Ende der osmanischen Herrschaft näher zu rücken. Während des russisch-osmanischen Kriegs 1768 bis 1774 kam es im Gefolge einer russischen Flottenexpedition in der Ägäis auf der Peloponnes zu einem – von den Osmanen niedergeschlagenen – Aufstand der Griechen. Der diesen Krieg beendende Friedensschluss von Küçük Kaynarca hielt erstmals Russlands Rolle als Schutzmacht der orthodoxen Christen im Osmanischen Reich fest. Das nicht realisierte «Griechische Projekt» Katharinas der Grossen sah die Wiederherstellung des Byzantinischen Reiches vor; Konstantin, der Enkel der Zarin, sollte als Herrscher am Bosporus etabliert werden.
Drei Auslandsparteien
Mit dem griechischen Unabhängigkeitskrieg, der 1821 ausbrach, verlor Russland allmählich seine herausragende Bedeutung für die Griechen. Anfangs hielt Zar Alexander I. trotz Sympathien für die griechische Sache am antirevolutionären Dogma der drei in der «Heiligen Allianz» zusammengeschlossenen konservativen Staaten Russland, Österreich und Preussen fest. Bald revidierte die russische Regierung jedoch ihre Position. Aber es waren neben Russland noch England und Frankreich, die mit ihrer Intervention 1827 als Geburtshelfer der griechischen Unabhängigkeit fungierten. Dementsprechend musste Russland seinen Einfluss auf den neuen Staat mit diesen beiden Mächten teilen. In Griechenland war es nurmehr das konservative, stark von der orthodoxen Tradition geprägte Lager, das mit Russland sympathisierte. So wurde jene Partei, die im entstehenden Parteiensystem konservative Vorstellungen vertrat, die Russische Partei genannt, die Liberalen wiederum die Englische Partei. Als dritte Gruppierung gesellte sich die Französische Partei hinzu.
Der 1827 zum Gouverneur Griechenlands gewählte Ioannis Kapodistrias, der mehr als zehn Jahre im diplomatischen Dienst des Zaren gestanden hatte, repräsentierte augenfällig den russischen Einfluss in Griechenland und stützte sich entsprechend seiner eigenen konservativen Überzeugung auf die Russische Partei. Doch schon nach Kapodistrias' Ermordung 1831 wurde deren Einfluss deutlich geringer. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwanden dann nicht nur die drei sogenannten Auslandsparteien von der politischen Bühne, sondern auch der russische Einfluss schwächte sich immer mehr ab. Während des Krimkriegs (1853–1856) sympathisierte letztmals ein grosser Teil der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung mit Russland und befürwortete die Teilnahme am Krieg aufseiten des Zarenreichs – bis hin zum aus Bayern stammenden, überdies katholischen König Otto. Eine griechische Freiwilligenlegion kämpfte auf russischer Seite. Doch bald erschien Russland den Griechen immer weniger als befreundete Macht.
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Ganz im Gegenteil: Man sah in ihm immer mehr das grösste Hindernis für die Verwirklichung der die aussenpolitischen Vorstellungen dominierenden «Megali Idea», der grossen Idee, die die Wiederherstellung des Byzantinischen Reiches anstrebte. Die von Russland geförderte Entstehung slawischer Staaten wie Serbien und vor allem Bulgarien wurde argwöhnisch registriert, die Furcht vor dem Panslawismus liess einen fast schon paranoiden Antislawismus entstehen, der Griechen und Slawen als naturgegebene Antipoden wahrnahm. Die gemeinsame Konfession spielte keine Rolle mehr; Russland galt jetzt als jene Macht, die die Feinde des Griechentums unterstützte.
Nach der Oktoberrevolution und der Entstehung der Sowjetunion als erster kommunistischer Staat verstärkte sich diese Haltung noch mehr und kulminierte im griechischen Bürgerkrieg (1946– 1949). In der offiziellen Propaganda wurde der Sieg des «nationalen Lagers» als Triumph über den «Slawokommunismus» gefeiert. Diese Haltung herrschte im Grunde bis zum Ende des Kalten Krieges vor. Erst danach setzte wieder ein Wandel ein. Angesichts der deutlich gestärkten Rolle der orthodoxen Kirche in Russland wurde auch die religiöse Komponente wieder stärker betont. Die Avancen der neuen griechischen Regierung gegenüber Moskau deuten aber letztlich nicht auf eine Wiederbelebung des alten Beziehungsmusters hin; Vorstellungen dieser Art finden sich höchstens beim rechtspopulistisch-nationalistischen Koalitionspartner, den Unabhängigen Griechen.
Alte linke Dankbarkeit
Die prorussischen Positionen von Syriza, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine, speisen sich aus anderen Quellen. Sie sind ein Erbe der kommunistischen Vergangenheit dieser Partei. Darin unterscheidet sie sich letztlich nicht von ihren europäischen Schwesterparteien, etwa der Linken in Deutschland. Auch nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft hegt man in diesem Lager weiterhin freundschaftliche Gefühle gegenüber Moskau. Schliesslich hat man ein für alle Mal gelernt, wer die Imperialisten und wer die Anti-Imperialisten sind. Spezifisch griechisch erscheint dies auch deshalb nicht, weil in der letzten Zeit europaweit auch rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien prorussische Sympathien manifestieren. So erntete die neue griechische Regierung für ihre Hinwendung zu Russland jüngst sogar Zustimmung vonseiten der faschistischen Chrysi Avgi.
Ekkehard Kraft ist Historiker mit Spezialgebiet Balkan und lebt in Dossenheim in Baden-Württemberg.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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