Donnerstag, 26. Februar 2015

Keynes als Spekulant.


aus Der Standard, Wien, 23. Februar 2015 

Keynes wird als Investor neu entdeckt
Als Volkswirt ist John Maynard Keynes weltbekannt. Von seiner anderen Seite, der des Investors, weiß man weniger

von Johanna Ruzicka

Die Entwicklung, die John Maynard Keynes als Börsenspekulant und Investor nahm, ist aus mehreren Gründen interessant.

Erstens änderte er im Laufe seines Lebens die Art und Weise, wie er spekulierte, grundlegend. Zweitens war es - in der Zeit von Großer Depression, Börsenkrach und Zweitem Weltkrieg - wahrlich nicht einfach, ein stabiles Portfolio oder gar Finanzvermögen aufzubauen. Keynes, der dreimal fast bankrottging, sah beispielsweise den Börsenkrach von 1929 in keinster Weise voraus. Doch hatte er die Gabe, nach einem Verlust sich - bildlich gesprochen - wieder aufzurichten und neu weiterzumachen. Außerdem halfen ihm sein Vater oder wohlwollende Freunde aus der Patsche, wenn es darum ging, Schulden abzudecken und mit einem neuen Grundstock weiter zu spekulieren. Als er 1946 im Alter von 63 starb, war er jedenfalls hoch vermögend.

In den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte er auf Devisenspekulation. Keynes dachte, er habe "überlegenes Wissen" - aufgrund seiner Publikationen und Vortragstätigkeit und vor allem wegen seiner Beschäftigung mit den Reparationszahlungen, die Deutschland leisten musste. Zunächst ging das auch gut, Keynes hatte enorme Gewinne, im April 1920 jedoch wendete sich das Blatt, und seine Gewinne waren mit einem Schlag ausradiert.

Rohstoffspekulation

Er begann, sich auf das mindestens ebenso schwierige Terrain der Rohstoffspekulation zu verlegen - Metalle, Baumwolle, Getreide. Dem Engagement lag die durchaus richtige Überlegung zugrunde, dass Europa nach dem Ersten Weltkrieg Güter für den Wiederaufbau benötigte. Und während er lautstark eine Regulierung der Rohstoffmärkte forderte, versuchte er die extremen Preisschwankungen für sich auszunutzen. Dies ging recht lange gut, aber halt nicht ewig - beim Börsencrash von 1929 verlor er rund 80 Prozent seines Vermögens.

Erst danach wurde Keynes zu der Art von Investor, als der er heute oft als Vorläufer von Benjamin Graham und Warren Buffett genannt wird. Die Unternehmen, in die er investierte, suchte er sorgfältig aus, und er hielt die Aktien lange und auch durch widrige Zeiten. So setzte er gerne auf (amerikanische) Versorger wie Eisenbahnunternehmen oder Energiebereitsteller. Der britische Motorenhersteller Austin begleitete ihn fast ein ganzes Investorenleben.

Auch in Unternehmen, die Dividenden zahlten und dies wahrscheinlich in der Zukunft tun würden, stieg er gezielt ein. Bei den von ihm geschätzten Versorgerwerten ging er davon aus, dass sie kontinuierlich Ausschüttungen betreiben würden, da sie aufgrund ihres langfristigen Geschäftsmodells und ihrer hohen Infrastrukturinvestitionen an einer stabilen Eigentümerschaft interessiert sein würden.

Langfriststrategie

Bei Aktien, von denen er überzeugt war, kaufte er immer wieder Positionen nach. Er wurde vom kurzfristigen Trader und Spekulanten zum langfristig orientierten Anleger. Bei jedem Kauf achtete er darauf, dass die Werte politische und wirtschaftliche Turbulenzen möglichst unbeschadet überstehen würden. Viele der Einsichten Keynes' zu Investment sind zeitlos.

Diese Art von Kauf- und Halte-Politik betrieb er nicht nur bei seinem Privatvermögen, sondern auch bei einigen Fonds, die er managte. Vor allem das Stiftungsvermögen des King's College der Universität Cambridge, wo er von 1920 bis zu seinem Tod als Dozent lehrte. Als Schatzkanzler des College gelang es ihm, das Vermögen langfristig zu vermehren.

Das Management von King's-College-Fonds und Privatvermögen waren fast ident. Aktien, für die sich Keynes entschied, waren in beiden Portfolios zu finden. Dass das Institut bis heute zu den wohlhabenderen Bildungseinrichtungen Großbritanniens zählt, ist Keynes zu verdanken.

Notlagen aussitzen

Das langfristige Halten von Aktienwerten war nicht immer eine einfache Sache, beschreibt John Wasik in seinem Buch über den Börsenprofi. Als in den 30er-Jahren der King's-Fonds in eine Notlage geriet, drängte der Institutsvorstand zum Verkauf. Keynes weigerte sich. Er schrieb zurück: "Ich glaube, es gibt Zeiten, in denen man bei der Stange bleiben muss und keine Einschnitte versuchen darf." Er hatte aus schmerzlichen Erfahrungen den Schluss gezogen, dass man Tiefstände bei Aktien aussitzen muss - vorausgesetzt, man glaubt an den Wert. Keynes wurde also zum "Bottom-up-Stockpicker". Er sah Tiefstände als eine Möglichkeit, billig bei seinen Lieblingsaktien aufzustocken.

Eine Art Formel, welche Aktien sich der Value Investor Keynes herauspickt, wird man in dem Buch vergeblich suchen. Vielmehr ist es ein inspirierendes Buch, das die Parallelwelten des Ökonomen und des Investors nebeneinanderstellt. Für seine Arroganz und sein intellektuell überlegenes Gebaren berühmt, war er als Investor fast genauso bahnbrechend wie als Volkswirt: Beim Management des King's-Portfolios ging er mit der Ausgewogenheit, die er anstrebte, neue Wege.

Schwankung des Augenblicks

Je älter er wurde, desto mehr versuchte er, die "Schwankungen des Augenblicks", wie er sie nannte, zu ignorieren. Er schrieb: "Es gibt nur wenige Investoren, die den Versuch, Kapitalerträge frühzeitig einzustreichen, mehr scheuen als ich."

Keynes verwaltete auch die Finanzen des King's College in London. Dass diese Institution heute noch immer zu den wohlhabendsten Bildungseinrichtungen Großbritanniens zählt, ist Keynes zu verdanken.

John F. Wasik, "Börsenerfolg mit der Keynes-Methode". Börsenbuch-Verlag, Euro 24,99

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