Dienstag, 31. Januar 2017

Das Licht kam aus dem Westen.

aus nzz.ch, 10.10.2016
 
Es gibt nur eine Menschheit
Lob des Eurozentrismus
Für die Anhänger des postmodernen Relativismus gibt es in Bezug auf die Menschenrechte eine Menschheit erster und eine Menschheit zweiter Klasse. Das widerspricht der Moral und der Vernunft.

Gastkommentar von Peter Strasser 

In seinem Grossessay «Les identités meurtrières» – «Mörderische Identitäten» – aus dem Jahre 1998 führt der in Libanon geborene und in Frankreich lebende Schriftsteller Amin Maalouf einen Punkt ins Treffen, der ihm gelegentlich den Vorwurf einbrachte, eurozentrisch zu denken. Der Punkt ist folgender: Die westliche Welt lässt im Umgang mit «unterentwickelten» oder «anderskulturellen» Nationen, in denen die Menschenrechte mit Füssen getreten werden, oft eine fragwürdige Toleranz erkennen.

Man dürfe, lautet das oftmals ins Feld geführte Argument, die Mentalitäten im arabischen und afrikanischen Raum nicht überfordern. Hinter diesem Argument steckt, abgesehen von ökonomischem Kalkül und politischer Diplomatie, eine fatale Herablassung. Man wisse es eben «dort» nicht besser, weil «dort» mangels besserer Einsicht die ethischen Standards der Aufklärung unverstanden blieben.


Derart kann Toleranz ein Zeichen dafür sein, dass man das jeweilige Gegenüber nicht für «voll» nimmt; man verhält sich, als ob man es mit einem geistig Minderbemittelten oder einem Kind zu tun hätte, das seine wahren Interessen noch nicht kennt. «Jemanden respektieren, seine Geschichte respektieren», so Maalouf, «verlangt, dass man ihn als Angehörigen derselben Menschheit betrachtet, und nicht als Angehörigen einer anderen, einer zweitklassigen Menschheit.»

Entweder – oder

Diesem Verlangen zu genügen, war eines der deklarierten Ziele der postmodernen Eurozentrismus-Kritik. Die Postmoderne gilt als eine historische – oder eben posthistorische – Epoche, welche beansprucht, sich jenseits des Glaubens an eine starke kulturelle Identität zu placieren. Der pseudoreligiöse Einzigartigkeitsglaube führte zweifellos immer wieder zu mörderischen Auseinandersetzungen, die vermeintlich kollektiver Selbsterhaltung galten: wir Deutschen, wir Russen, wir Japaner; und ferner: wir Christen, wir Muslime, wir Juden . . . Die Liste liesse sich schier endlos fortsetzen, national, ethnisch, konfessionell. Die entsprechenden «Identitäten» sind zu einem gewichtigen Teil krause Phantasmen, die sich um historische Mythen ranken. Zugleich befördern sie eine schicksalsträchtige und, im schlimmsten Fall, kriegerische Mobilisierung der Massen.
Daher setzt der Postmodernist auf das, was der Deutsche Odo Marquard, der Amerikaner Richard Rorty oder, auf seine Weise, der Österreicher Paul Feyerabend als «kulturellen Polytheismus» empfahlen. Zwar hatte man in der griechischen und römischen Antike jeweils seine eigenen religiösen Gepflogenheiten; doch man liess jene der «Barbaren» pragmatisch gelten. Um des lieben Friedens willen war man im Idealfall bereit, fremde Gottheiten gleichsam zu «adoptieren», ihnen einen begrenzten Respekt zu erweisen und Opfer darzubringen.

Gewiss, beim Juden-Christentum, dessen Gott keine anderen Götter neben sich dulden wollte, sondern diese im Gegenteil verteufelte, hörte der imperiale Grossmut auf. «Entweder – oder», das war die Losung der dekadenten Römer. Entweder die Aufsässigen konvertierten zum verhassten Vielgötterglauben ihrer sittenlosen Unterdrücker, oder sie fanden den schmachvollen Martertod am Kreuz.

 
In den Augen der Postmodernisten bringt erst die Rede vom kulturellen Polytheismus den Gedanken der Toleranz zur Vollendung. Dieser Gedanke verhält sich abweisend, was unsere tief eingewurzelte, weithin vorfindliche Neigung betrifft, nach der objektiven Wahrheit zu streben oder zu unterstellen, sie sei uns ohnehin offenbart. So gesehen brächte der «Westen», der im Namen absoluter Wahrheit einst selbst die schlimmsten Menschheitsverbrechen rechtfertigte, nun all den verstockten Wahrheitsgläubigen unserer Zeit die Frohbotschaft eines gedeihlichen Miteinander.

Spielwiese der Avantgarde

Die Botschaft lautet: Es gibt nicht die Wahrheit, sei es in Form einer Religion, eines Ethos oder einer Kultur; es gibt nur die vielen regionalen Wahrheiten, denn alles hat seinen spezifischen Ursprung und individuellen Kontext. Und wenn wir Feyerabends «Anything goes» zustimmen, dann träfe dies sogar auf die moderne Wissenschaft zu: Der «Hexenhammer» («Malleus Maleficarum») aus dem späten 15. Jahrhundert wäre demnach nicht weniger rational gewesen als ein gegenwärtiges Lehrbuch der Physik . . .

Der Wahrheitsrelativismus ist nie weit über die Spielwiese der intellektuellen Avantgarde hinausgekommen. Was aber hartnäckig blieb, war eine Schrumpfform, die man im sogenannten liberalen Diskurs oft bemerkt. Demnach entspricht es zwar unseren Standards, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Unverbrüchlichkeit der Menschenrechte zum Kern einer jeden staatlichen Räson gehören. Ihre Umsetzung gilt als Bedingung der Humanität. Dennoch kann man immer wieder die Forderung hören, man solle die «Authentizität» kultureller Gegenpositionen anerkennen, die aus historisch und geistig anders fundierten Quellen gespeist werden – heute vornehmlich aus dem theokratischen Erbe des Islam.

Derlei Bereitschaft zur «Diversion» mag zum Ziel haben, einer weiteren zivilen Verhärtung des Westens entgegenzuwirken. Leicht jedoch entsteht daraus, gewissermassen als Kollateralschaden, eine Schwächung jener Prinzipien des Guten und der Gerechtigkeit, die mit wohlerwogenen Gründen den Anspruch erheben, nicht bloss regional, sondern universell gültig zu sein.

Kairoer Aufhebung

Der Universalitätsanspruch der Ethik steht quer zu allen Herrschaftsforderungen, die von Männern gegenüber Frauen, Priestern gegenüber Laien, Nationen gegenüber anderen Nationen, auch Einzelnen, die geburtlich privilegiert sind, gegenüber einfachen und armen Leuten erhoben werden. Paradoxerweise muss jedoch gerade dieser Anspruch – aus der Perspektive des multikulturellen Credos – mit dem Vorwurf rechnen, eine ganz bestimmte Moral, nämlich die westliche, absolut setzen zu wollen.

Zwei Aspekte sind dabei entscheidend. Erstens liegt der aufgeklärten Ethik das Postulat zugrunde, wonach alle Menschen «gleich» sind – ein Postulat, das den Staat verfassungsgemäss bindet, keinen willkürlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern, Rassen, Religionen und der sozialen Herkunft eines Menschen zu akzeptieren. Zweitens gilt, dass jeder erwachsene und geistig gesunde Mensch aufgrund der ihm eigenen – allgemeinmenschlichen – Vernunft über eine Autorität verfügt, die ihn nicht zuletzt in moralischen Angelegenheiten zum obersten Richter seiner Überzeugungen macht.

Demgegenüber existiert seit 1990 neben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die sogenannte Kairoer Variante. Darin werden die absoluten Rechte für alle Menschen bestätigt, indessen mit der Einschränkung, dass sie den Geboten des Islam nicht widersprechen dürfen. In Artikel 24 heisst es: «Alle in dieser Erklärung festgelegten Rechte und Freiheiten sind der islamischen Scharia nachgeordnet.» Kein Menschenrecht wird als solches – als autonomes Recht des Menschen – anerkannt, weil alles Recht im Grunde göttliches Recht ist. Das kommt, unverblümt ausgedrückt, einer Aufhebung der Menschenrechte gleich!

Dürfen wir angesichts der hier festgeschriebenen Fundamentaldifferenz trotzdem «eurozentrisch» darauf beharren, dass in ethischen Angelegenheiten dem menschlichen Urteil die höchste Autorität beizumessen sei? Kurz gesagt: Ja. Da kein Mensch die Missachtung seiner natürlichen Selbstachtung und seines Strebens nach Wohlbefinden freiwillig als gerecht akzeptiert, sind Traditionen, in denen Ungerechtigkeiten geheiligt werden, unmoralisch. Wird gegen dieses Verdikt der unbefragbare Wille Gottes gestellt, dann ist darauf, wiederum «eurozentrisch», zu erwidern, dass kein Gottesbild ein Bild des Gottes aller Menschen sein kann, wenn es einschliesst, dass nicht alle Menschen gleich sind.

Der freie Wille und das mitfühlende Herz

Wer einer derartigen Sicht der Dinge ihre westliche Signatur vorhält, übersieht, dass es um eine Moral geht, die der menschlichen Natur, ihren Bedürfnissen, Nöten und Freuden am besten entspricht. John Stuart Mill hat es in seinem Werk «Utilitarianism» (1861) auf einfache Weise formuliert: Alle Menschen wollen möglichst glücklich und jedenfalls möglichst leidlos leben. Niemand will sich von Tugendwächtern drangsalieren lassen, niemand will eine Not erdulden müssen, die einzig der Befestigung einer Tyrannei, ob göttlich oder irdisch, dient.

Jedes Lob des Eurozentrismus überzeugt – falls überhaupt – nur, wenn dieser den Verzicht auf Eurozentrizität im Sinne einer lokalen, geopolitischen Standortfixierung umfasst. Ethisch geht es um die ganze Menschheit. Kein geografischer, kein historischer Ort entscheidet über die Vorzugswürdigkeit einer Weise des Zusammenlebens, sondern allein der freie Wille und das mitfühlende Herz, geleitet durch die autonome Vernunft.

Peter Strasser, Jahrgang 1950, ist Professor für Philosophie und Rechtsphilosophie an der Universität Graz. Soeben ist aus seiner Feder im Verlag Wilhelm Fink erschienen: «Morgengrauen. Journal zum philosophischen Hausgebrauch».


Nota. - Nur dies zur römischen Christenverfolgung: Die Christen wurden im römischen Reich nicht verfolgt, weil sie ihren Gott für den einzigen hielten, sondern weil und wenn sie daraus den Schluss zogen, dem Kaiser nicht zu geben, "was der Kaisers war": wenn sie sich weigerten, gemäß dem Staatskultus dem jeweiligen göttlichen Cäsar ihr Opfer darzubringen. - Letzteres war ihnen durch ihre geistlichen Autoritäten aber ausdrücklich erlaubt worden. Nicht ihr Glaube selbst wurde verfolgt, sondern ihre radikalen politischen Konsequenzen daraus. 
JE

Montag, 30. Januar 2017

Der Hasenfuß.


Gerhard Brodowski

Seehofer ist eine Flasche. Dem ist nichts ernst, er poltert wahllos vor sich hin, um dem bayerischen Wähler zu gefallen. Nicht einmal um die CSU geht es ihm wirklich. Er schadet nicht nur Angela Merkel und ihrer Glaubwür- digkeit, wenn er sie zu "seiner" Kandidatin kürt, sondern auch seiner Partei, deren rechte Flanke er weit aufreisst und der AfD zum gefälligen Verzehr darbietet.

Gefährlich ist an der AfD nicht, dass sie mehr oder weniger rechts, mehr oder weniger konservativ oder mehr oder weniger national gesonnen wäre. Gefährlich ist sie, weil sie eine unberechenbare Zufallsmischung ist, die, wenn sie in den Erregungsmodus fällt, dem Einheizer folgen wird, der am schrillsten schreit. Sie ist eine ungeordnete Menge, wie sie der Demagoge braucht, weil sie ihn zu nichts verpflichten kann. Die CSU ist eine
nur allzugut strukturierte Partei, die bei allem Klientelismus - und obwohl sie seinerzeit gegen das Grundgesetz gestimmt hat - die Bundesre- publik mit aufgebaut und ihre verfassungsmäßige Ordnung mitgetragen hat, und ihre Anhägerschaft ist keine Zu- fallsmischung, sondern hat sich in einem halbjahrhundertjährigen Ausleseprozess, o ja, ausgebildet. 


Franz Josef Strauß, der bei allem persönlichen Geltungsanspruch zuerst ein politisch denkender Mann gewesen ist, hätte schonmal die Regierung, an der selbst beteiligt war, nicht sinn- und zwecklos beschädigt, sondern nur, wenn er einen politischen Gewinn davon erwarten konnte. Und wenn am Ende die Dinge dann doch so gelegen hätten, wie sie heute eben liegen, wäre er im eigensten Interesse seiner Verantwortung gerecht geworden, hätte sich als selbst- ständige Kraft etabliert, hätte das Merkel-Lager sich sammeln lassen und die rechte Flanke bedeckt gehalten. Ja mein Gott, wozu haben wir denn eine Parteienvielfalt? Wenn die Parteien aus ihrer Vielfalt nichts machen, müssen sie sich nicht wundern, wenn sie immer mehr Leuten gleichgültig wird.

Horst Seehofer ist die most deplorable politische Figur in diesem Land.


Sonntag, 29. Januar 2017

Da fehlt doch noch was.



Eigentlich müssten sie als Tandem antreten, denn in dem Punkt, auf den in den kommenden Jahren, wenn nicht Jahrzehnten alles ankommt, stehn sie für dasselbe ein: Deutschland in Europa und für Europa, weil kein anderer es will noch kann.

Ansonsten Augenmaß, gesunder Menschenverstand und die Bereitschaft, zu unterscheiden zwischen dem, was wesentlich, und dem, was nebensächlich ist. Aber die Arithmetik - eins von dem, was nebensächlich ist - nötigt sie, gegeneiander anzutreten; jeweils mit den bleiernen Gartenzwergen aus der eignen Sippschaft als Ballast an den Füßen: Keiner kann wirklich für die eine noch wirklich für den andern stimmen, ohne einen Rattenschwanz von Bremsern und Bedenkenträgern mitzuwählen. 

Und schon keiner kann beherzt für alle beide stimmen, um klarzustellen, worauf es diesmal ankommt. Viel Zeit haben sie nicht mehr bis September.



Mittwoch, 25. Januar 2017

Dem Abendland ist der Islam fremd.


aus nzz.ch, 

Islam und Christentum
Ist die Aufklärung vom Himmel gefallen?
Will der säkulare Staat den Islam integrieren, muss er sich auf seine christliche Herkunft besinnen

von Martin Rhonheimer


Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier


Nota. - Lebt unsere säkular-freiheitliche politische Kultur davon, dass ihr in Gestalt der Amtskirchen heilsver- heißende Institutionen gegenüberstehen, weil sonst die Menschen wieder versucht werden könnten, ihr Heil beim Staat zu suchen? Ich denke, wenn wir den säkular-freiheitlichen Charakter unserer politischen Kultur recht pflegen und kultivieren wollten, würden die Menschen vielleicht gar nicht mehr ein Heil suchen.

Das kann der römische Priester bei Strafe der Selbstaufgabe natürlich nicht für möglich halten, und ich will es ihm auch nicht zumuten. Dass es die Kirchen in ihrem christlich-dualistischen Verständnis gibt, muss den ungläubig-Gottlosen nicht verdrießen, denn in der Sache hat Pater Rhonheimer natürlich Recht. Die Scheidung zwischen geistlichem Heil und weltlichem Recht ist allein im Christentum geschehen, und gewiss waren einige seiner dogmatischen Grundlagen geeignet, sie möglich zu machen. 

Rhonheimer erwähnt es nicht, es gehört nicht zu seinem Amt, aber ich darf darauf hinweisen, dass die relative Selbstbescheidung der Kirchen weniger ihr eignes frommes Verdienst ist, sondern wohl eher dem Widerstand, gar der Aggression der weltlichen Mächte zu danken ist, wenn sie die Allmacht, die sie doch immer wieder mal beanspruchten, nie erringen konnten; so wie es den westlichen Kirchen zu danken haben, dass die Despotie keine europäische Herrschaftsform wurde, sondern auf Asien beschränkt blieb. Ein Blick nach Russland erhellt: Die deutschen Könige von Rom konnte nicht zu Selbstherrschern aller Abendländer werden, weil sie die römi- schen Bischöfe hindern mussten, es zu werden.

Ehe der Islam ein Teil Europas wird, müsste er sich entorientalisieren. Er ist eine asiatische Religion in dem Sinn, dass nie ein Herrschender und schon gar kein zur Herrschaft Drängender es im Orient je versäumt hat, sich der koranischen Formeln zu bedienen, so wie keine islamische Institution und nicht einmal die Sufi-Orden je darauf verzichtet hat, aufs Leben des Gemeinwesens Einfluss zu nehmen. Das müsste schon eine ganz andere Religion werden, die sich nicht auf die Menge ihrer Vorschriften, sondern auf die Fülle ihrer Glaubensinhalte gründete. Ginge das mit dem Koran überhaupt? 

Bis dahin sind wir wirklich Ungläubigen gehalten, dem Einsickern des Islam in Europa entschiedener entgegen- zutreten als die Vertreter der christlichen Kirchen. Für die ist das eine Konkurrenz. Für uns ist das ein Gegner.
JE

 

Dienstag, 24. Januar 2017

Hört ihr auch das Gras wachsen?



Er glaubt sowieso nicht, dass gegen Angela Merkel ein Sozi eine Chance hätte. Er will auch gar nicht gegen sie antreten. Er wird lieber Außenminister, dann wird er beliebter, und das kann er brauchen, damit er es, wenn Steinmeier Präsident ist, in der nächsten großen Koalition gleich bleiben kann; Vizekanzler wird er dann auch wieder. Den lästigen Job als Parteivorsitzender wär er dabei losgeworden, und in vier Jahren wird ja wieder gewählt, da könnte er es ja mal versuchen. Der Schulz wär dumm dran, denn als SPD-Vorsitzender wird er nicht lange populär bleiben.. 






1257 - das Jahr des Nebels.

aus derStandard.at, 24. Jänner 2017, 11:00

Ausbruch des Samalas-Vulkans war nicht Schuld an mittelalterlicher Krise
Eruption in Indonesien bescherte Europa im Jahr 1257 Kälteeinbruch und "Jahr des Nebels"

Genf – Die Eruption des Samalas-Vulkans in Indonesien im Jahr 1257 war einer der größten Vulkanausbrüche der letzten Jahrtausende. Der alleinige Auslöser für die weltweite sozioökonomische Krise Mitte des 13. Jahrhunderts dürfte sie allerdings nicht gewesen sein. Vielmehr haben die schweren klimatischen Folgen des Ausbruchs bereits bestehende Krisen verstärkt, wie nun Wissenschafter der Universität Genf gemeinsam mit internationalen Kollegen berichten.

Der heftige Schwefel-Ausstoß des indonesischen Vulkans bescherte Europa einen Kälteeinbruch und ein "Jahr des Nebels". Diese Eruption gilt als wahrscheinlicher Auslöser für die Hungersnöte und gesellschaftlichen Umwälzungen Mitte des 13. Jahrhunderts. Das internationale Forscherteam um Markus Stoffel von der Universität Genf hat die klimatischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Vulkanausbruchs nun erneut untersucht und schlussfolgert, dass der Vulkanausbruch nicht die alleinige Ursache für die historische Krise gewesen sein kann. Extreme Wetterereignisse nach dem Ausbruch

Dabei stützten sich die Forscher auf mehr als 200 mittelalterliche Schriftstücke sowie auf Klima-Rekonstruktionen anhand von Baumringen und Eisbohrkernen, wie sie im Fachblatt "Nature Geoscience" berichten. "Es gibt in der Tat viele Hinweise auf extreme Wetterereignisse nach dem Ausbruch, die schwerwiegende gesellschaftliche Folgen hatten", sagte Studienautor Sébastien Guillet. "Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass die klimatischen Bedingungen in Europa bereits 1259 wieder zur Normalität zurückkehrten."

Obwohl diese extremen Wetterereignisse wahrscheinlich mit dem Vulkanausbruch in Zusammenhang stünden, hätten sie die soziale Krise vermutlich nur verstärkt, fügte Stoffel hinzu. Viele historische Texte zeigten, dass die Hungersnöte in England und Japan bereits mehrere Jahre vor dem Vulkanausbruch begannen. Das veranlasste die Forschenden dazu, die Auswirkungen der Eruption auf die Gesellschaft neu zu bewerten. Verdunkelte Sonne, Getreide "hart wie Stein"

Mittelalterliche Schriftquellen verzeichneten eine Verdunklung der Sonne, tiefe Temperaturen, lang anhaltende Regenfälle und zunehmende Bewölkung in Europa im Jahr 1258. Die Schriftstücke sprachen von katastrophal geringen Ernteerträgen, sehr später Weinlese und Getreide, das "hart wie Stein" geerntet wurde.


Vulkan Samalas auf der indonesischen Insel Lombok

Die Chronologien verzeichneten jedoch auch ein wärmeres Klima im darauffolgenden Jahr (1259), und eine Rückkehr zur Normalität während der vier Jahre nach dem Vulkanausbruch von 1257. Dies stehe im Widerspruch zu Modellrechnungen, die vorhersagen, dass die Anomalien bis 1264 angedauert hätten, schreiben die Wissenschafter.

Die Forscher weisen zudem darauf hin, dass der Temperatursturz durch die Samalas-Eruption ähnlich ausfiel wie bei späteren Vulkanausbrüchen mit geringerem Ausmaß. Die Eruption hätte bestehende Krisen verstärkt, sei aber nicht der Auslöser für die Hungersnöte gewesen, schlussfolgern die Forschenden im Fachartikel.

Bei seinem Ausbruch förderte der Samalas-Vulkan mehr als 40 Kubikkilometer Magma zutage und spie Schätzungen zufolge eine Säule von 43 Kilometern Höhe. Der in Eisbohrkernen nachgewiesene Schwefel-Eintrag aus der Eruption war doppelt so hoch wie beim Ausbruch des ebenfalls indonesischen Tambora-Vulkans 1815, der im darauffolgenden Jahr auch in Mitteleuropa ungewöhnlich kalte Temperaturen auslöste – das "Jahr ohne Sommer". (APA, red,)

Abstract
Nature Geoscience: "Climate response to the Samalas volcanic eruption in 1257 revealed by proxy records."

Montag, 23. Januar 2017

Eiszeitmenschen haben Europa abgebrannt.

 aus derStandard.at, 23. Jänner 2017, 17:10

Jäger und Sammler brannten Europas eiszeitliche Wälder nieder
Offene Steppen dominierten vor 20.000 Jahren die Landschaft, wo eigentlich dichte Wälder gewesen sein sollten

Frankfurt am Main – Eigentlich müsste Europa während der letzten Eiszeit in weiten Teilen von dichten Wäldern bedeckt gewesen sein. Das zumindest ergeben aktuelle Vegetationsmodelle. Tatsächlich aber zeigt die Analyse von Sedimentablagerungen, dass Europa vor 20.000 Jahren von offenen Steppen beherrscht wurde. Eine nun von internationalen Forschern vorgelegte Studie legt nahe, dass dafür der Mensch verantwortlich gewesen ist. Mithilfe von Feuer sorgten die Jäger und Sammler gezielt für die Entstehung des lichten Charakters der eiszeitlichen europäischen Landschaft. Es wäre einer der frühesten Hinweise auf einen großflächigen Eingriff des Menschen in die natürliche Vegetation seiner Umgebung.

Mit der Eiszeit verbindet man vor allem ein Bild: Eine Landschaft aus klirrender Kälte und glitzerndem Schnee durch die Mammuts, Bisons und Wollnashörner streifen. Eine neue Studie lässt vermuten, dass es bisweilen aber recht hitzig zugegangen sein dürfte. "Jäger und Sammler haben wahrscheinlich in der Eiszeit vorsätzlich Feuer gelegt und so dazu beigetragen, den offenen Charakter eiszeitlicher Steppenlandschaften in Europa zu schaffen und zu erhalten", so Mirjam Pfeiffer vom Senckenberg Biodiversiät und Klima Forschungszentrum und Koautorin der im Fachjournal "Plos One" erschienene Arbeit. Wo das Klima dichte Wälder zugelassen hätte, seien demnach durch den Einfluss der eiszeitlichen Menschen Steppenlandschaften und lichte, parkähnliche Wälder geschaffen worden.

Offene Landschaften sind praktischer

Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschafter, indem sie archäologische Funde zu menschlichen Aktivitäten und dem Einsatz von Feuer sowie eiszeitliche Sedimente und Aschereste, die im Boden überdauert haben, auswerteten und mit Vegetationssimulationen verglichen. Eine Erklärung, warum die Jäger mit dem Feuer spielten, hat das Team auch: Einerseits hätten lichtere Landschaften die Jagd erleichtert und es wäre einfacher gewesen, Nahrung in vergleichsweise offenen Landschaften zu sammeln. Andererseits hätten sich die Jäger durch lichtere Vegetation besser fortbewegen können.

"Einer der entscheidenden Faktoren menschlicher Evolution ist seine Fähigkeit, die Umgebung zu verändern, um darin besser zu überleben. Eiszeitjäger haben vermutlich genau das getan. Sie waren quer durch Europa – von Spanien bis nach Russland – in der Lage, Landschaft und Vegetation entscheidend zu ihren Gunsten zu verändern", erklärt Pfeiffer. "Der erste große Eingriff des Menschen in seine natürliche Umgebung hätte damit mehr als 20.000 Jahre vor der Industriellen Revolution stattgefunden."

Widersprüchliche Daten

Der Einfluss der Eiszeitjäger erklärt, warum es bisher bei der Rekonstruktion der letzten Kaltzeit, die ihren Höhepunkt zwischen 24.500 bis 18.000 vor unserer Zeitrechnung erreichte, Widersprüche gibt. Analysiert man Sedimente aus Seen und Mooren, zeigt sich, dass Europa während der Eiszeit eher wenig bewaldet war. Vegetationssimulationen auf Basis acht möglicher Klimaszenarien hingegen ergaben, dass zu dieser Zeit Europa unter natürlichen Bedingungen dichter bewaldet gewesen sein müsste.

Wenn aber vom Menschen verursachtes Feuer in den Vegetationssimulationen berücksichtigt wird, ergibt sich plötzlich ein Vegetationsmuster, das deutlich besser mit den Vegetationsrekonstruktionen aus Umweltdaten übereinstimmt. "Wir gehen daher davon aus, dass der eiszeitliche Mensch verantwortlich für diesen Unterschied gewesen sein könnte", resümiert Pfeiffer. (red, 23.1.2017)

Samstag, 21. Januar 2017

Bedingungsloses Grundeinkommen.


Faultier
aus derStandard.at, 19. Jänner 2017, 17:33 

Volksbegehren soll Grundeinkommen in Österreich bringen 
Volksbegehren soll zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens führen

 
Wien – Träumer, Utopisten, Sozialromantiker oder einfach nur Faulenzer. Die Initiatoren der Volksabstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz mussten sich allerhand Vorwürfe anhören. Monat für Monat 2.500 Franken (2.325 Euro) vom Staat für alle Bürger, ohne Gegenleistung oder andere Bedingungen – das klang in den Ohren der Eidgenossen doch zu realitätsfremd. Das Vorhaben erlitt im vergangenen Juni an der Urne Schiffbruch, bloß 23 Prozent der Schweizer stimmten dafür. 

Aber manche Niederlagen fühlen sich wie Siege an – schließlich hatten die Initiatoren nur 15 Prozent Zuspruch erwartet. Einer davon ist der deutsche Künstler Enno Schmidt, der nun zusammen mit dem Verein Generation Grundeinkommen versucht, in Österreich ein diesbezügliches Volksbegehren auf Schiene zu bekommen. Vereinsobmann Helmo Pape ist der Ansicht, dass der Zeitpunkt dafür ein günstiger ist: "Es ist überall in Europa zu merken, dass über das Thema diskutiert wird", erklärte er vor der Auftaktveranstaltung am Donnerstag in Wien. 

Testballons in der Luft 

Tatsächlich, im niederländischen Utrecht läuft seit dem Vorjahr ein Experiment, durch das 300 Menschen rund 1.000 Euro im Monat erhalten und seit Anfang Jänner steigt auch in Finnland ein Testballon. Anstelle von Arbeitslosengeld bekommen 2.000 zufällig ausgewählte Arbeitslose 560 Euro im Monat. Das Geld muss nicht versteuert werden, und man kann ohne finanzielle Nachteile etwas dazuverdienen. 

Wie hoch die staatlichen Zuwendungen in Österreich ausfallen sollen, will Vereinsobmann Pape nicht beziffern, sondern definieren: "Es soll so hoch sein, dass man davon einfach, aber mit Menschenwürde leben kann." Was er von dem finnischen Modell hält? "Es ist ein wichtiger Versuch, aber nicht bedingungslos." Nur zufällig ausgewählte Menschen kämen zum Zug, und das nur für begrenzte Zeit, lautet Papes Begründung. 

Streitpunkt Finanzierung 

Eine der offenen Fragen ist die Finanzierung. Teuer, aber machbar, meint Florian Wakolbinger von der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung. Er hat im Vorjahr den Schweizer Vorschlag auf Österreich umgemünzt und nach Kaufkraftparität durchgerechnet. Kostenpunkt: 27 Milliarden Euro jährlich. Aufgrund des tieferen Preisniveaus kam Wakolbinger für Österreich auf 1.362 Euro für Erwachsene und 340 Euro für Kinder. 

"Natürlich gab es viele kritische Fragen, auch zur Finanzierbarkeit", sagt Sylvia Nagl von der Grünen Wirtschaft Oberösterreich, die am Mittwochabend in Linz eine eigene Veranstaltung zu dem Thema durchführte. Mittlerweile würde der Konsens, dass man das derzeitige, durch Steuern auf Arbeit finanzierte Sozialsystem überdenken müsse, immer breiter, fügt Nagl hinzu. Bedenken, dass bei einer Einführung keiner mehr arbeiten gehen würde, zerstreut sie mit einer Umfrage unter den Veranstaltungsteilnehmern: "Von hundert Menschen haben nur zwei aufgezeigt und gemeint, sie würden dann aufhören." 

Konkurrenz durch Maschinen 

Vielmehr wird das bedingungslose Grundeinkommen deshalb mit zunehmender Intensität diskutiert, da Experten befürchten, dass im Zeitalter von Automatisierung und künstlicher Intelligenz von Maschinen diese immer größere Teile der Arbeitswelt übernehmen werden. Sprich: Es wird nicht mehr genug Arbeit für alle Menschen geben. Trotzdem brauchen diese Geld zum Leben und um die Wirtschaft mit ihren Ausgaben zu speisen. "Wir müssen Antworten finden auf das Problem, dass Menschen angesichts der Automatisierung weniger arbeiten können", fasst Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, zusammen. 

Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist allerdings nicht in jedermanns Ohr die Lösung dieses Problems – und das keineswegs nur bei den meisten Mainstream-Ökonomen. Arbeitgeber befürchten etwa eine Machtverschiebung zu den Beschäftigten, und selbst Gewerkschafter können sich nicht so recht dafür begeistern. Wohl wäre eine Umsetzung im Sinne der Arbeitnehmer, jedoch würde es auch deren Vertretungen im Endeffekt weitgehend überflüssig machen. 

Zuerst gilt es aber ohnedies jene 8.500 Unterstützungserklärungen über die Homepage des Vereins Generation Grundeinkommen zusammenzubekommen, mit denen das Volksbegehren in Österreich gestartet werden kann. Ob die Grüne Wirtschaft die Grundeinkommensinitiative aktiv unterstützen wird, weiß Jungwirth noch nicht. Man werde sich das erst anschauen – zunächst bei der Auftaktveranstaltung in Wien. 

Links
Roboterforscher für bedingungsloses Grundeinkommen
Grundeinkommen in Finnland: Testballon für Jobmarkt und Verwaltung
Zukunftsforscher: "Wir steuern auf eine Krise der Arbeit zu"
Das bedingungslose Grundeinkommen: Eine radikale Idee wird salonfähig



aus Der Standard, Wien, 21. 1. 2017 

"Grundeinkommen stellt Gesellschaft vom Kopf auf die Füße" 
Geld ohne Gegenleistung macht Menschen nicht länger erpressbar, sagt dm-Gründer Götz Werner

Interview
 
STANDARD: Sie haben dm gegründet und zu einer der größten Drogerieketten ausgebaut. Wäre ihr Berufsweg anders verlaufen, wenn Sie ein Grundeinkommen bekommen hätten, an das weder Leistung noch Bedingung geknüpft gewesen wären? 

Werner: Ganz sicher. Es hätte damals zumindest nicht die Gefahr bestanden, dass ich gar nichts gegründet hätte. Ich war frisch verheiratet, hatte null Geld, zwei kleine Kinder, sehr spießige Schwiegereltern, die sich nicht vorstellen konnten, dass ich einen guten Job aufgebe, um mich selbstständig zu machen. Es kam damals zu einem Zerwürfnis, das sich bis zu ihrem Tod nie mehr aufgelöst hat. Mein ganzes Lebensgefühl wäre mit einem Grundeinkommen ein anderes gewesen. Jetzt gehöre ich zwar zu jenen, die es trotzdem wagten – aber wie viele tun es nicht?
 
STANDARD: Ist der Druck, sich eine Existenz aufbauen zu müssen, für viele nicht Anreiz, Neues zu schaffen? Mit sicherer finanzieller Basis geht es ja nur noch um mehr oder weniger, statt um alles oder nichts. Würde Unternehmergeist da vielerorts nicht zu Stillstand erstarren?
 
Werner: Das ist ein Denkfehler. Im Leben braucht man keinen Druck, sondern Sog. Wer fliegen möchte, braucht Thermik. Flugzeuge fliegen, weil Sog aufgebaut wird. Ich selbst bin Vater von sieben Kindern – die reagierten alle nur auf Sog. Kunden, die bei uns kaufen, kommen, weil sie Sog verspüren, nicht weil ihnen jemand in den Hintern tritt. Philosophisch gesehen ist die Sache mit dem Druck ein Irrtum, den der Teufel erfand.
 
STANDARD: Sie treten seit mehr als zehn Jahren für bedingungsloses Grundeinkommen ein: 1000 Euro für alle ohne Wenn und Aber. Wurden Sie in Ihrem Glauben an das Gute im Menschen nie enttäuscht?
 
Werner: Man wird immer wieder enttäuscht. Was wir jedoch aus der Aufklärung gelernt haben, ist Gleichheit: Jeder hat die gleichen Rechte. Aus Grundeinkommen erwächst ein Raum der Freiheit. Es stellt eine ganze Gesellschaft vom Kopf auf die Füße. Niemand muss mehr zu Kreuze kriechen, keiner ist mehr bedrohbar oder erpressbar. Man begegnet Chefs, Ehepartnern, Schwiegereltern auf Augenhöhe. Betrüger, Bettler, Schlawiner gibt es immer. Aber Sie können dann sagen: Junge, hör mir zu, du hast ein Grundeinkommen.
 
STANDARD: Die Frontlinie bei dieser Debatte verläuft zwischen zwei völlig konträren Menschenbildern. In einem arbeitet der Mensch gern, findet in Arbeit Sinn und Struktur. Im anderen ist er von Natur aus faul.
 
Werner: Die einen haben ein Menschenbild, die anderen ein Tierbild. Ist der Mensch denn ein determiniertes Reiz-Reaktions-Wesen? Von sich selbst behauptet jeder, er wisse, worauf es ankommt. Die anderen aber, die müsse man auf Trab bringen. Von sich selbst hat man ein Menschenbild, von anderen ein Tierbild. Es ist ein ethisches Problem: Wie trete ich meinen Mitmenschen gegenüber?
 
STANDARD: Kritiker des Gelds ohne Gegenleistung warnen, dass damit der Anteil der Erwerbstätigen massiv einbrechen würde, dass es jene befreit, die nichts arbeiten wollen, und alle anderen unter der Steuerlast erdrückt. Auch Teilzeitkräfte könnten sich aus dem Arbeitsmarkt in Scharen zurückziehen.
 
Werner: Wenn ich will, dass was getan wird, habe ich drei Möglichkeiten: Ich schaffe einen attraktiven Arbeitsplatz, ich entwickle eine Maschine, die das erledigt oder ich mache es selbst. Wenn ich anderen Menschen mit Wertschätzung begegne, werde ich sie als Mitarbeiter gewinnen können.
 
STANDARD: Was, wenn sich Menschen nicht über ihren Job definieren? Bei allem Respekt für den Verkauf von Zahnpasta: Aber stilisieren Sie Arbeit nicht zu etwas hoch, das sie für viele einfach nicht ist?
 
Werner: Jeder Topf hat einen Deckel, jeder Mensch findet seinen Platz im Leben. Welche Arbeit ich mache, hängt von der Wertschätzung ab, die ich erfahre. Deswegen ist Schlecker zugrunde gegangen. Weil ihn Kunden und Mitarbeiter nicht mehr wertgeschätzt haben. Wir brauchen Arbeit, um uns als Individuum zu definieren und um über uns hinauszuwachsen. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Journalist wären?
 
STANDARD: Ohne auf ein Gehalt angewiesen zu sein? Vielleicht würde ich jahrelang um die Welt reisen. Das wäre fein für mich, Dienst an der Gesellschaft ist das keiner.
 
Werner: Aber auch da würden Sie etwas finden, das Sinn macht, womit Sie sich einbringen könnten. Ganz schlaue Linksgestrickte, wobei mir alle gleich lieb sind, sofern sie Zahnpasta brauchen, meinen: Wenn ich ein Einkommen habe, muss ich nicht länger arbeiten. Ich sage: Wollen wir leben, brauchen wir Einkommen. Aber wenn wir leben, können wir auch arbeiten. Das ist die kopernikanische Denkwende.
 
STANDARD: Was, wenn sich ein riesiger Schwarzmarkt auftut?
 
Werner: Sie öffnen hier ein zweites Fass: unser falsches Steuersystem. Es ist 300, 400 Jahre alt und besteuert die Arbeit – was ein folgenschwerer Fehlschluss ist. Wir dürfen nicht den Leistungsbeitrag besteuern, sondern die Leistungsentnahme. Es gilt, am Konsum anzuknüpfen.
 
STANDARD: Sie würden das Grundeinkommen mit deutlich höheren Mehrwertsteuern finanzieren ...
 
Werner: Alte Steuer raus, Konsumsteuer rein. Es ist ja schon alles finanziert, nur kompliziert und aktivitätshemmend. Jede Steuer, die wir bezahlen, und jedes Einkommen landen ja in den Preisen.
 
STANDARD: Höhere Preise würden zur einer Konsumflucht über die Landesgrenzen hinaus führen.
 
Werner: An Grenzregionen ja. Aber letztlich regelt das die Entfernung.
 
STANDARD: Arbeitgeber wären von der Verantwortung freigespielt, für existenzsichernde Jobs zu sorgen.
 
Werner: Das ist auch nicht Aufgabe der Unternehmer. Ihr Job ist es, unter Einsatz von Geist, ressourcenschonend, mit sparsamen Umgang mit menschlicher Lebenszeit konsumfähige Güter herzustellen. Wir nehmen als Unternehmer ja Lebenszeit in Anspruch.
 
STANDARD: Was ist mit Sozialleistungen? Viele fürchten, dass diese über die Hintertür gekippt würden.
 
Werner: Nein. Das Sozialsystem ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft. Das Grundeinkommen ist wie eine Flatrate. Es wäre vernünftig, es so hoch zu gestalten, dass alle damit auskommen.
 
STANDARD: Wer darf rein in dieses System, wer muss draußen bleiben – und wer zieht hier die Grenze? Es wäre Magnet für Zuwanderung.
 
Werner: Das ist doch schon heute so: Sie müssen bei jedem fragen, der unser Gast sein will, ob er ein Recht dazu hat. Wer gehört dazu, wer nicht: Dieses Problem ist immer zu lösen. Wir können nicht Leute einladen, beim Weihnachtsgansessen teilzunehmen, sie dann an den Katzentisch setzen und ihnen nichts zum Essen geben.
 
STANDARD: Was halten Sie von einer Verkürzung der Arbeitszeit, um die Arbeitslosigkeit zu senken?
 
Werner: Oscar Lafontaine ( hat mir einmal gesagt: Sie brauchen doch nur die Arbeitszeit verkürzen, dann haben alle wieder Arbeit. Ich habe zu ihm gesagt: Aber Herr Lafontaine, das heißt, Sie wollen die Zwangsarbeit wieder einführen? Finanziere ich alles über Arbeit, muss jeder einen Arbeitsplatz haben. Genau das gab es in der DDR: Den Leuten wurden Jobs zugewiesen.
 
STANDARD: Die Schweizer haben sich jüngst klar gegen das bedingungslose Grundeinkommen entschieden.
 
Werner: 25 Prozent sind dafür! Das muss man ernst nehmen. Bis es in der Schweiz 1972 gelang, das Wahlrecht für Frauen durchzusetzen, hat es im Übrigen drei Volksabstimmungen gebraucht.

Götz Werner (72), der sich selbst gerne Zahnpastaverkäufer nennt, baute die Handelskette dm mit seinem antiautoritären Führungsstil zu einem Milliardenkonzern aus. Der deutsche Drogist macht sich seit Jahren für einen Umbau des Sozialstaates stark.
 

Nota. - Ich muss es doch auch mal aussprechen: Ich glaube natürlich nicht, dass ein Bedarfsunabhängiges Grundeinkommen möglich ist; weil ich mir nicht vorstellen kann, wer wie die unvermeidlichen Widerstände dagegen überwinden soll. Doch das ist der springende Punkte: Ich kann es nicht glauben. Vernünftige Gründe, die dagegen sprächen, gibt es allerdings nicht. Mein Verstand sagt mir: Das ist möglich, meine Vernunft sagt mir, daran werden wir gar nicht vorbeikommen. Doch was konnten Verstand und Vernunft je gegen den Glauben ausrichten? Beim Unglauben haben sie aber vielleicht eine Chance.
JE


 

Freitag, 20. Januar 2017

Aber wenn die Maschinen dazulernen können?

Roboter übernehmen immer mehr Arbeiten
 aus Die Presse, Wien, 15. 1. 2017

Roboter-Forscher befürwortet bedingungsloses Grundeinkommen 
"Roboterbesitzer werden Steuern zahlen müssen, um die Mitglieder unserer Gesellschaft zu ernähren, die keine existenziell notwendigen Jobs mehr ausüben", sagt Roboter-Forscher Jürgen Schmidhuber. 

Jürgen Schmidhuber, wissenschaftlicher Direktor des Schweizerischen Labors für Künstliche Intelligenz (IDSIA) in Lugano, programmiert Roboter mit Lernalgorithmen auf bestimmte Tätigkeiten. Er befürwortet ein bedingungsloses Grundeinkommen.

"Irgendwann werden Roboter viele Dinge erledigen, die heute Menschen tun. Sie werden Smartphones zusammenbauen und Brombeeren pflücken", erklärte der Forscher gegenüber dem "SonntagsBlick". Menschen würden schon heute vor allem "Luxusberufe", wie Reporter oder Wissenschaftler ausüben, die nicht überlebensnotwendig seien.

Diese Veränderung der Arbeitswelt würden zu einem neuen Besteuerungsmodell führen. "Roboterbesitzer werden Steuern zahlen müssen, um die Mitglieder unserer Gesellschaft zu ernähren, die keine existenziell notwendigen Jobs mehr ausüben", so Schmidhuber. Wer dies nicht bis zu einem gewissen Grad unterstütze, beschwöre geradezu die Revolution Mensch gegen Maschine herauf.

Er vermute daher, dass die Idee ds bedingungslosen Grundeinkommens – mit der er sympathisiere – immer emehr Anhänger finden werde. Denn Roboter würden künftig immer komplexere Arbeiten übernehmen. Der 53-jährige Schmidhuber gilt als einer der weltweit führenden Forscher zu künstlicher Intelligenz (KI) und Lernalgorithmen. (APA/sda)


 
aus Der Standard, Wien, 5. Jänner 2017, 10:18

Wenn Maschinen wie kleine Kinder lernen
Robotersysteme können streng definierte Aufgaben lösen – effizienter als Menschen. Für Forscher ein Grund zur Sorge

von Peter Illetschko

Wien – Mittlerweile gibt es ja eine große Zahl von Studien, die alle das gleiche pessimistische Zukunftsbild zeichnen: Die Digitalisierung der Arbeit, der verstärkte Einsatz von Robotern wird zahlreiche Arbeitsplätze gefährden, weil Maschinen billiger, effizienter und weit weniger fehleranfällig wie Menschen sind: 2013 schon stellten Wissenschafter der University of Oxford fest, dass etwa 47 Prozent aller Arbeiten, die heute vom Menschen verrichtet werden, digitalisiert werden könnten.

Ein Report des US-amerikanischen President's Council of Economic Advisers des Weißen Hauses prognostizierte ähnliche Zahlen. Das Magazin "Wired" berichtete im Dezember des vergangenen Jahres darüber und schrieb von "millions of jobs", die damit verschwinden könnten. Das Magazin "Newsweek" titelte im gleichen Monat provokant "The Robot Economy: Forget Immigrants. Is this your replacement?" Müssen wir also wirklich alle Angst um unsere Jobs haben?

Wissenschafter, die sich mit dem Thema beschäftigen, sehen wenig Grund zur Panik. Diese Studienergebnisse allein würden nicht das Potenzial der Automatisierung erkennen lassen, lautet der Tenor. Andreas Kugi zum Beispiel, Vorstand des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik an der TU Wien, meint: "Ich wehre mich gegen die Vorstellung, derartige Technologien würden Jobs wegautomatisieren." Maschinen könnten nur Tätigkeiten automatisieren, sagt Kugi, der sich mit komplexen dynamischen Systemen auch am Austrian Institute of Technology (AIT) beschäftigt.

Um menschenähnlich zu sein, fehlt der Maschine auch Bewusstsein, Kreativität und die Fähigkeit, Emotionen zu haben. Gefühle seien ein "wichtiger Informationskanal, um sich in neuen Situationen zurechtzufinden", sagt etwa der Kognitionswissenschafter Claus Lamm von der Universität Wien. Da Maschinen nie ohne Mensch arbeiten sollten, würden sich aber neue Jobprofile ergeben. Die Produktivität könnte gesteigert werden. Um diesen Wandel ohne Schaden erleben zu können, bräuchte es allerdings einige bildungs- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die vermutlich schon sehr bald umgesetzt werden sollten.

Claus Lamm, Kognitionswissenschafter an der Uni Wien, sagt, dass "Maschinen uns schon jetzt übertreffen, wenn es um wohldefinierte Bereiche geht". Das heißt: Der "Lösungsraum" muss eingegrenzt sein. Das wäre aus seiner Sicht auch autonomes Fahren. Lamm: "Die Maschine wird nicht müde und lässt sich bei der vorprogrammierten Aufgabe nicht ablenken." 

Deep Learning 

Doch wie lernt sie, eine bestimmte Aufgabe zu lösen? Vielfach erprobt ist derzeit die Methode des Deep Learning, vereinfacht gesagt, handelt es sich dabei um die Optimierung neuronaler Netze. Soll ein System zum Beispiel Handschriften oder auch nur Katzen im Internet erkennen, dann führt "überwachtes Lernen" dabei zum Ziel. Der Mensch stellt, wie es in der Fachsprache heißt, "den korrekten Funktionswert bereit". Er zeigt der Maschine, ähnlich wie er es bei Kleinkindern macht, was richtig und was falsch ist.

Große Datenmengen und enorme Rechenleistungen machen aber auch "unüberwachtes Lernen" möglich: Systeme können dann etwa erkennen, dass User, die eine bestimmte Seite im Netz ansurfen auch nach konkreten anderen Inhalten suchen – und dies im besten Fall anonymisiert auswerten. Selbstverständlich handelt es sich dabei auch um ein ideales Marketingtool: "User, die sich für diese Jeans interessieren, kauften auch dieses Hemd."

Ein von Lamm beschriebener derart eingegrenzter Bereich wäre zum Beispiel "autonomes Fahren". Für Wissenschafter ist das mittlerweile weniger eine technische denn eine moralisch-ethische Frage. Die entsprechenden Algorithmen können so programmiert werden, dass Fahrzeuge ohne menschliches Zutun von A nach B kommen. Doch wer wird im Falle eines Unfalls zur Verantwortung gezogen? 

Frage der Akzeptanz 

Wie bei der Einführung aller neuen Technologien wird die entscheidende Frage aber jene der Akzeptanz sein. Dabei scheint es eine Hürde zu geben: Menschen geben die Kontrolle nicht gerne aus der Hand. Kugi: "Deswegen hat man auch eher Angst vor einem Flugzeugabsturz als vor einem Autounfall, obwohl er viel seltener vorkommt." Lamm ergänzt: "Die Akzeptanz wird natürlich größer, wenn die Gesellschaft bei der Umsetzung involviert wird", wenn man also das Gefühl hat, die Entwicklung autonomer Fahrzeuge zumindest auch kontrollieren zu können. Nur so lasse sich Vertrauen schaffen.

Das heißt natürlich auch, dass Tests mit selbstfahrenden Autos im normalen Straßenverkehr nur in einem kontrollierten Rahmen stattfinden können. Experten erwarten, dass in absehbarer Zeit Lkws auf den Autobahnen mit autonomen Systemen gesteuert werden – mit einem Beifahrer, der im Notfall eingreift und entgegenkommenden Fahrern auch das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Ein Fahrer, der das Fahrzeug nur mehr überwacht, sich auf langen Strecken ohne Gegenverkehr vielleicht auch ausruhen kann?

Die Maschine kann also in einem definierten Rahmen effizienter und vermutlich sicherer als Menschen arbeiten. Sie ist aber deshalb noch nicht menschenähnlich, sagt Christoph Lampert, Professor für Computer-Vision and Machine-Learning am IST Austria in Klosterneuburg. "Von einer intelligenten Maschine, die uns in allen Belangen überlegen ist, sind wir meilenweit entfernt." Der Grund: Menschen bauen auf erlerntem Wissen auf und sichern so ihr Überleben. Ein Kleinkind lernt, dass die Herdplatte heiß ist, dass man nicht aus dem Fenster springen sollte und auf der Straße wegen herankommender Fahrzeuge vorsichtig sein sollte. 

Für jedes Problem ein neuer Algorithmus 

Die Maschine kann mittels Algorithmus ein Problem lösen, braucht aber für ein weiteres Problem auch einen weiteren Algorithmus. Lampert sagt dazu: "Das System kann also Katzen erkennen, aber keine Hunde. Und das, obwohl man schon sagen könnte, dass Hunde Katzen sind, die bellen und weniger spitze Ohren haben." Ob Maschinen jemals so natürlich wie Menschen lernen können, sei völlig offen, sagt der Experte. Vielleicht bräuchte ein Computer, um "menschenähnlich" zu sein, 

Bewusstsein oder Kreativität – und die Fähigkeit, eine unbekannte Situation emotional einzuordnen. Lamm: "Emotionen sind ein wichtiger Informationskanal, um sich zurechtzufinden." Ob das Maschinen jemals schaffen können? "Ich kann natürlich nicht sagen, was in den Schreibstuben der Softwareprogrammierer passiert, aber ausschließen kann man es wohl nicht."

Schon seit einigen Jahren dominieren "hervorragende Ingenieursleistungen", wie es Lampert nennt, die Diskussion über lernfähige Maschinen, sei es ein Computerprogramm wie Watson von IBM, das in der Lage ist, Menschen im Quiz "Jeopardy!" zu schlagen, oder eine neue Übersetzungssoftware des Technologiekonzerns Google, die deutliche Verbesserungen gegenüber früheren Versionen bringt.

Smartes Telefonsystem 

Daneben gibt es zahlreiche Anwendungen maschineller Intelligenz, die man womöglich gar nicht als solche identifiziert. Telefonsysteme zum Beispiel, die Gefühle erkennen und wissen, ob der Anrufer ruhig oder aufgebracht ist, und ihn im letzten Fall vielleicht nicht zu lange in der Warteschleife warten lassen. Lampert mit einem Augenzwinkern: "Emotionen zu erkennen ist eine Fähigkeit, die viele hochintelligente Menschen nicht haben." Alles ist relativ – auch die Intelligenz. 


Nota. - Wenn ich es recht verstehe, kann der Computer den benötigten Algorithmus in Big Data  einfach suchen, er muss dazu nicht denken können und nicht einmal rechnen. Zeit zum Suchen hat er reichlich, denn Zeit braucht er kaum; Millisekunden reichen. Nur ob ein Problem ein Problem ist, wird er bloß erkennen können, wenn er vorab auf ein höheres Problem programmiert war; sonst steht er wie der Ochs vorm Tor. 

Oder kann der Computer sich um programmieren? Das müsste er wollen. Ob der Computer je wird wollen können, ist das eigentliche Problem, und es lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Die Transzendental- philosophie wird sagen: nie und nimmer. Aber wenn die Techniker schlauer sind als sie?
JE