Faultier
aus derStandard.at, 19. Jänner 2017, 17:33
Volksbegehren soll Grundeinkommen in Österreich bringen
Volksbegehren soll zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens führen
Wien – Träumer, Utopisten, Sozialromantiker oder einfach nur Faulenzer. Die Initiatoren der Volksabstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz mussten sich allerhand Vorwürfe anhören. Monat für Monat 2.500 Franken (2.325 Euro) vom Staat für alle Bürger, ohne Gegenleistung oder andere Bedingungen – das klang in den Ohren der Eidgenossen doch zu realitätsfremd. Das Vorhaben erlitt im vergangenen Juni an der Urne Schiffbruch, bloß 23 Prozent der Schweizer stimmten dafür.
Aber manche Niederlagen fühlen sich wie Siege an – schließlich hatten die Initiatoren nur 15 Prozent Zuspruch erwartet. Einer davon ist der deutsche Künstler Enno Schmidt, der nun zusammen mit dem Verein Generation Grundeinkommen versucht, in Österreich ein diesbezügliches Volksbegehren auf Schiene zu bekommen. Vereinsobmann Helmo Pape ist der Ansicht, dass der Zeitpunkt dafür ein günstiger ist: "Es ist überall in Europa zu merken, dass über das Thema diskutiert wird", erklärte er vor der Auftaktveranstaltung am Donnerstag in Wien.
Testballons in der Luft
Tatsächlich, im niederländischen Utrecht läuft seit dem Vorjahr ein Experiment, durch das 300 Menschen rund 1.000 Euro im Monat erhalten und seit Anfang Jänner steigt auch in Finnland ein Testballon. Anstelle von Arbeitslosengeld bekommen 2.000 zufällig ausgewählte Arbeitslose 560 Euro im Monat. Das Geld muss nicht versteuert werden, und man kann ohne finanzielle Nachteile etwas dazuverdienen.
Wie hoch die staatlichen Zuwendungen in Österreich ausfallen sollen, will Vereinsobmann Pape nicht beziffern, sondern definieren: "Es soll so hoch sein, dass man davon einfach, aber mit Menschenwürde leben kann." Was er von dem finnischen Modell hält? "Es ist ein wichtiger Versuch, aber nicht bedingungslos." Nur zufällig ausgewählte Menschen kämen zum Zug, und das nur für begrenzte Zeit, lautet Papes Begründung.
Streitpunkt Finanzierung
Eine der offenen Fragen ist die Finanzierung. Teuer, aber machbar, meint Florian Wakolbinger von der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung. Er hat im Vorjahr den Schweizer Vorschlag auf Österreich umgemünzt und nach Kaufkraftparität durchgerechnet. Kostenpunkt: 27 Milliarden Euro jährlich. Aufgrund des tieferen Preisniveaus kam Wakolbinger für Österreich auf 1.362 Euro für Erwachsene und 340 Euro für Kinder.
"Natürlich gab es viele kritische Fragen, auch zur Finanzierbarkeit", sagt Sylvia Nagl von der Grünen Wirtschaft Oberösterreich, die am Mittwochabend in Linz eine eigene Veranstaltung zu dem Thema durchführte. Mittlerweile würde der Konsens, dass man das derzeitige, durch Steuern auf Arbeit finanzierte Sozialsystem überdenken müsse, immer breiter, fügt Nagl hinzu. Bedenken, dass bei einer Einführung keiner mehr arbeiten gehen würde, zerstreut sie mit einer Umfrage unter den Veranstaltungsteilnehmern: "Von hundert Menschen haben nur zwei aufgezeigt und gemeint, sie würden dann aufhören."
Konkurrenz durch Maschinen
Vielmehr wird das bedingungslose Grundeinkommen deshalb mit zunehmender Intensität diskutiert, da Experten befürchten, dass im Zeitalter von Automatisierung und künstlicher Intelligenz von Maschinen diese immer größere Teile der Arbeitswelt übernehmen werden. Sprich: Es wird nicht mehr genug Arbeit für alle Menschen geben. Trotzdem brauchen diese Geld zum Leben und um die Wirtschaft mit ihren Ausgaben zu speisen. "Wir müssen Antworten finden auf das Problem, dass Menschen angesichts der Automatisierung weniger arbeiten können", fasst Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, zusammen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist allerdings nicht in jedermanns Ohr die Lösung dieses Problems – und das keineswegs nur bei den meisten Mainstream-Ökonomen. Arbeitgeber befürchten etwa eine Machtverschiebung zu den Beschäftigten, und selbst Gewerkschafter können sich nicht so recht dafür begeistern. Wohl wäre eine Umsetzung im Sinne der Arbeitnehmer, jedoch würde es auch deren Vertretungen im Endeffekt weitgehend überflüssig machen.
Zuerst gilt es aber ohnedies jene 8.500 Unterstützungserklärungen über die Homepage des Vereins Generation Grundeinkommen zusammenzubekommen, mit denen das Volksbegehren in Österreich gestartet werden kann. Ob die Grüne Wirtschaft die Grundeinkommensinitiative aktiv unterstützen wird, weiß Jungwirth noch nicht. Man werde sich das erst anschauen – zunächst bei der Auftaktveranstaltung in Wien.
Roboterforscher für bedingungsloses Grundeinkommen
Grundeinkommen in Finnland: Testballon für Jobmarkt und Verwaltung
Zukunftsforscher: "Wir steuern auf eine Krise der Arbeit zu"
Das bedingungslose Grundeinkommen: Eine radikale Idee wird salonfähig
aus Der Standard, Wien, 21. 1. 2017
"Grundeinkommen stellt Gesellschaft vom Kopf auf die Füße"
Geld ohne Gegenleistung macht Menschen nicht länger erpressbar, sagt dm-Gründer Götz Werner
Interview
STANDARD: Sie haben dm gegründet und zu einer der größten Drogerieketten ausgebaut. Wäre ihr Berufsweg anders verlaufen, wenn Sie ein Grundeinkommen bekommen hätten, an das weder Leistung noch Bedingung geknüpft gewesen wären?
Werner: Ganz sicher. Es hätte damals zumindest nicht die Gefahr bestanden, dass ich gar nichts gegründet hätte. Ich war frisch verheiratet, hatte null Geld, zwei kleine Kinder, sehr spießige Schwiegereltern, die sich nicht vorstellen konnten, dass ich einen guten Job aufgebe, um mich selbstständig zu machen. Es kam damals zu einem Zerwürfnis, das sich bis zu ihrem Tod nie mehr aufgelöst hat. Mein ganzes Lebensgefühl wäre mit einem Grundeinkommen ein anderes gewesen. Jetzt gehöre ich zwar zu jenen, die es trotzdem wagten – aber wie viele tun es nicht?
STANDARD: Ist der Druck, sich eine Existenz aufbauen zu müssen, für viele nicht Anreiz, Neues zu schaffen? Mit sicherer finanzieller Basis geht es ja nur noch um mehr oder weniger, statt um alles oder nichts. Würde Unternehmergeist da vielerorts nicht zu Stillstand erstarren?
Werner: Das ist ein Denkfehler. Im Leben braucht man keinen Druck, sondern Sog. Wer fliegen möchte, braucht Thermik. Flugzeuge fliegen, weil Sog aufgebaut wird. Ich selbst bin Vater von sieben Kindern – die reagierten alle nur auf Sog. Kunden, die bei uns kaufen, kommen, weil sie Sog verspüren, nicht weil ihnen jemand in den Hintern tritt. Philosophisch gesehen ist die Sache mit dem Druck ein Irrtum, den der Teufel erfand.
STANDARD: Sie treten seit mehr als zehn Jahren für bedingungsloses Grundeinkommen ein: 1000 Euro für alle ohne Wenn und Aber. Wurden Sie in Ihrem Glauben an das Gute im Menschen nie enttäuscht?
Werner: Man wird immer wieder enttäuscht. Was wir jedoch aus der Aufklärung gelernt haben, ist Gleichheit: Jeder hat die gleichen Rechte. Aus Grundeinkommen erwächst ein Raum der Freiheit. Es stellt eine ganze Gesellschaft vom Kopf auf die Füße. Niemand muss mehr zu Kreuze kriechen, keiner ist mehr bedrohbar oder erpressbar. Man begegnet Chefs, Ehepartnern, Schwiegereltern auf Augenhöhe. Betrüger, Bettler, Schlawiner gibt es immer. Aber Sie können dann sagen: Junge, hör mir zu, du hast ein Grundeinkommen.
STANDARD: Die Frontlinie bei dieser Debatte verläuft zwischen zwei völlig konträren Menschenbildern. In einem arbeitet der Mensch gern, findet in Arbeit Sinn und Struktur. Im anderen ist er von Natur aus faul.
Werner: Die einen haben ein Menschenbild, die anderen ein Tierbild. Ist der Mensch denn ein determiniertes Reiz-Reaktions-Wesen? Von sich selbst behauptet jeder, er wisse, worauf es ankommt. Die anderen aber, die müsse man auf Trab bringen. Von sich selbst hat man ein Menschenbild, von anderen ein Tierbild. Es ist ein ethisches Problem: Wie trete ich meinen Mitmenschen gegenüber?
STANDARD: Kritiker des Gelds ohne Gegenleistung warnen, dass damit der Anteil der Erwerbstätigen massiv einbrechen würde, dass es jene befreit, die nichts arbeiten wollen, und alle anderen unter der Steuerlast erdrückt. Auch Teilzeitkräfte könnten sich aus dem Arbeitsmarkt in Scharen zurückziehen.
Werner: Wenn ich will, dass was getan wird, habe ich drei Möglichkeiten: Ich schaffe einen attraktiven Arbeitsplatz, ich entwickle eine Maschine, die das erledigt oder ich mache es selbst. Wenn ich anderen Menschen mit Wertschätzung begegne, werde ich sie als Mitarbeiter gewinnen können.
STANDARD: Was, wenn sich Menschen nicht über ihren Job definieren? Bei allem Respekt für den Verkauf von Zahnpasta: Aber stilisieren Sie Arbeit nicht zu etwas hoch, das sie für viele einfach nicht ist?
Werner: Jeder Topf hat einen Deckel, jeder Mensch findet seinen Platz im Leben. Welche Arbeit ich mache, hängt von der Wertschätzung ab, die ich erfahre. Deswegen ist Schlecker zugrunde gegangen. Weil ihn Kunden und Mitarbeiter nicht mehr wertgeschätzt haben. Wir brauchen Arbeit, um uns als Individuum zu definieren und um über uns hinauszuwachsen. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Journalist wären?
STANDARD: Ohne auf ein Gehalt angewiesen zu sein? Vielleicht würde ich jahrelang um die Welt reisen. Das wäre fein für mich, Dienst an der Gesellschaft ist das keiner.
Werner: Aber auch da würden Sie etwas finden, das Sinn macht, womit Sie sich einbringen könnten. Ganz schlaue Linksgestrickte, wobei mir alle gleich lieb sind, sofern sie Zahnpasta brauchen, meinen: Wenn ich ein Einkommen habe, muss ich nicht länger arbeiten. Ich sage: Wollen wir leben, brauchen wir Einkommen. Aber wenn wir leben, können wir auch arbeiten. Das ist die kopernikanische Denkwende.
STANDARD: Was, wenn sich ein riesiger Schwarzmarkt auftut?
Werner: Sie öffnen hier ein zweites Fass: unser falsches Steuersystem. Es ist 300, 400 Jahre alt und besteuert die Arbeit – was ein folgenschwerer Fehlschluss ist. Wir dürfen nicht den Leistungsbeitrag besteuern, sondern die Leistungsentnahme. Es gilt, am Konsum anzuknüpfen.
STANDARD: Sie würden das Grundeinkommen mit deutlich höheren Mehrwertsteuern finanzieren ...
Werner: Alte Steuer raus, Konsumsteuer rein. Es ist ja schon alles finanziert, nur kompliziert und aktivitätshemmend. Jede Steuer, die wir bezahlen, und jedes Einkommen landen ja in den Preisen.
STANDARD: Höhere Preise würden zur einer Konsumflucht über die Landesgrenzen hinaus führen.
Werner: An Grenzregionen ja. Aber letztlich regelt das die Entfernung.
STANDARD: Arbeitgeber wären von der Verantwortung freigespielt, für existenzsichernde Jobs zu sorgen.
Werner: Das ist auch nicht Aufgabe der Unternehmer. Ihr Job ist es, unter Einsatz von Geist, ressourcenschonend, mit sparsamen Umgang mit menschlicher Lebenszeit konsumfähige Güter herzustellen. Wir nehmen als Unternehmer ja Lebenszeit in Anspruch.
STANDARD: Was ist mit Sozialleistungen? Viele fürchten, dass diese über die Hintertür gekippt würden.
Werner: Nein. Das Sozialsystem ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft. Das Grundeinkommen ist wie eine Flatrate. Es wäre vernünftig, es so hoch zu gestalten, dass alle damit auskommen.
STANDARD: Wer darf rein in dieses System, wer muss draußen bleiben – und wer zieht hier die Grenze? Es wäre Magnet für Zuwanderung.
Werner: Das ist doch schon heute so: Sie müssen bei jedem fragen, der unser Gast sein will, ob er ein Recht dazu hat. Wer gehört dazu, wer nicht: Dieses Problem ist immer zu lösen. Wir können nicht Leute einladen, beim Weihnachtsgansessen teilzunehmen, sie dann an den Katzentisch setzen und ihnen nichts zum Essen geben.
STANDARD: Was halten Sie von einer Verkürzung der Arbeitszeit, um die Arbeitslosigkeit zu senken?
Werner: Oscar Lafontaine ( hat mir einmal gesagt: Sie brauchen doch nur die Arbeitszeit verkürzen, dann haben alle wieder Arbeit. Ich habe zu ihm gesagt: Aber Herr Lafontaine, das heißt, Sie wollen die Zwangsarbeit wieder einführen? Finanziere ich alles über Arbeit, muss jeder einen Arbeitsplatz haben. Genau das gab es in der DDR: Den Leuten wurden Jobs zugewiesen.
STANDARD: Die Schweizer haben sich jüngst klar gegen das bedingungslose Grundeinkommen entschieden.
Werner: 25 Prozent sind dafür! Das muss man ernst nehmen. Bis es in der Schweiz 1972 gelang, das Wahlrecht für Frauen durchzusetzen, hat es im Übrigen drei Volksabstimmungen gebraucht.
Götz Werner (72), der sich selbst gerne Zahnpastaverkäufer nennt, baute die Handelskette dm mit seinem antiautoritären Führungsstil zu einem Milliardenkonzern aus. Der deutsche Drogist macht sich seit Jahren für einen Umbau des Sozialstaates stark.
Nota. - Ich muss es doch auch mal aussprechen: Ich glaube natürlich nicht, dass ein Bedarfsunabhängiges Grundeinkommen möglich ist; weil ich mir nicht vorstellen kann, wer wie die unvermeidlichen Widerstände dagegen überwinden soll. Doch das ist der springende Punkte: Ich kann es nicht glauben. Vernünftige Gründe, die dagegen sprächen, gibt es allerdings nicht. Mein Verstand sagt mir: Das ist möglich, meine Vernunft sagt mir, daran werden wir gar nicht vorbeikommen. Doch was konnten Verstand und Vernunft je gegen den Glauben ausrichten? Beim Unglauben haben sie aber vielleicht eine Chance.
JE
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