Dienstag, 28. Juli 2020

Chinas politisches System behindert seinen Aufstieg zur Wissenschaftsmacht.

aus nzz.ch, 28.07.2020,

Wie Chinas eisiges politisches Klima den weiteren Aufstieg als Technologiemacht gefährdet
In wenigen Jahrzehnten hat sich das Land zu einer führenden Forschungs- und Technologiemacht entwickelt. Doch die zunehmenden Einschränkungen der akademischen Freiheit bedrohen die Erfolge.

von Matthias Kamp

In einem vielbeachteten Paper hat der Council on Foreign Relations im vergangenen Jahr vor einem Abstieg der USA bei Forschung und Innovation (F&E) gewarnt. Vor allem bei neuen Technologien wie der künstlichen In-telligenz, so schrieb die amerikanische Denkfabrik, drohten die Vereinigten Staaten den Anschluss zu verlieren. Und die Autoren fügten hinzu: Die neue Führungsmacht auf diesen Gebieten könnte bald China heissen. Das Land von Microsoft, Apple und Amazon müsse dringend mehr Geld für F&E aufwenden, lautete das Fazit.

China hat seine F&E-Ausgaben in den Jahren zwischen 2007 und 2017 um jährlich durchschnittlich 17 Prozent gesteigert; in den USA waren es im selben Zeitraum nur 4,3 Prozent. Und die Erfolge der chinesischen Investi-tionen können sich sehenlassen. Ob bei der Qualität der Hochschulen, der Zahl der wissenschaftlichen Veröf-fentlichungen oder der Patentanmeldungen: In fast allen internationalen Rankings hat sich das Land emporge-arbeitet. Universitäten wie die Tsinghua oder die Peking University können es heute mit ihresgleichen im We-sten aufnehmen. Im Vergleich mit anderen Ländern auf demselben Einkommens- und Entwicklungsstand liegt China bei der Innovationskraft auf Rang eins.

Doch um an die globale Spitze zu gelangen, hat China noch ein gutes Stück Weg vor sich. So rangiert das Land trotz allen Fortschritten bei Forschung und Innovation immer noch hinter den OECD-Ländern. Erst knapp 20 Prozent aller chinesischen Arbeitskräfte haben einen Hochschulabschluss; im OECD-Durchschnitt sind es zwi-schen 30 und 40 Prozent. Die Bildungsausgaben liegen in China bei etwas mehr als 4 Prozent der Wirtschaftslei-stung; der Durchschnitt der OECD-Länder beträgt 5 Prozent. 

Die tief hängenden Früchte sind geerntet

Man muss davon ausgehen, dass die nächsten Stufen auf dem Weg an die globale Spitze der Wissenschaftsnatio-nen deutlich schwerer zu erklimmen sein werden als die bisherigen. Die tief hängenden Früchte, die sich vor allem mit viel öffentlichem Aufwand pflücken lassen, sind eingebracht.

Als echtes Problem könnten sich in den kommenden Jahren das zunehmend eisige politische Klima im Land und die damit einhergehenden Einschränkungen der akademischen Freiheit erweisen. So hatte in den Statuten von Universitäten gestanden, dass die Produktion akademischer Studien und die Führung der Hochschule un-abhängig zu erfolgen habe; mehrere Universitäten aber strichen auf Geheiss des Bildungsministeriums Ende 2019 diese Formulierung. Darunter war auch die traditionsreiche und prestigeträchtige Fu-Dan-Universität in Schanghai.

Spontan versammelten sich darauf in der Mensa der Fu-Dan-Universität Lehrkräfte und Studenten und stimmten die Hymne der Hochschule an. Um die «Freiheit der Gedanken» und die «akademische Unabhängigkeit» geht es in dem Text. Videos von der Versammlung verbreiteten sich in Windeseile in den Online-Foren – ein klares Zei-chen, für wie problematisch Studenten und Professoren das Vorgehen der Behörden halten. 

Die orthodoxe marxistische Lehre wurde wiederbelebt

Staats- und Parteichef Xi Jinping hat den Einfluss der KP auf die Hochschulen des Landes deutlich ausgebaut. Die orthodoxe marxistische Lehre wurde wiederbelebt, das akademische Leben eingeschränkt und das Internet noch schärfer gegen angeblich schädliche «westliche Ideen» abgeschottet.

Chinas Hochschulen müssten zu einem Bollwerk der Führerschaft der Partei werden, hat Xi seit seinem Amts-antritt 2012 immer wieder erklärt. Dieses Vorgehen ist einem Geist nicht förderlich, in dem Kreativität gedeiht, die besten Ideen miteinander wetteifern, Dinge infrage gestellt werden und unerbittlich nach der Wahrheit ge-sucht wird.

Dabei verschenkt China viel Potenzial. Die einheimischen Designer, Softwareentwickler und IT-Ingenieure verfügen über eine grosse Kreativität und viel Ideenreichtum. Liesse man ihnen die nötige Freiheit, käme der Westen noch viel schneller unter Druck.


Nota. - Dass die Bewohner Chinas Schlitzaugen haben und eine gelbliche Hautfarbe, ist kein Grund zur Besorg-nis. Wenn sie auch weit über eine Milliarde Menschen zählen und den Genpool der Gattung H. sapiens stärker prägen werden als irgend eine andere Ethnie, werden sich mit der weltweiten Vermischung physiognomischer Merkmale auch die Geschmäcker entwickeln und werden die Idiosynkrasien verblassen.

Mit der wirtschaftlichen Übermacht wäre es wie bei allen andern Ländern: Monopole sind wirtschaftlich immer schädlich und politisch gefährlich. Die Freiheit der Märkte ist gegen Jeden zu schützen, das hat mit der Nationa-lität nichts zu tun.

Anlass zur Besorgnis gibt es allerdings auf politisch-kulturellem Feld. Erstens steht hinter dem wirtschaftlichen Ausgreifen Chinas auf andere Länder ein unkontrillierter, unberechenbarer totalitärer Staatsapparat im Dienste reiner Machtpolitik. Die Märkte von ihr freizuhalten, ist nicht bloß ein wirtschaftliches, sondern ein politisches Problem.

Insbesondere, weil mit dem wirtschaftlichen Einfluss unvermeidlich eine kulturelle Ausstrahlung verbunden ist. Das ostasiatische Preußentum der Japaner ist an deren eigenen wirtschaftlichen Grenzen steckeneblieben. Kon-fuzianische, in Wahrheit moralfreie Katzbuckelei allein hätte China auf dem Weltmarkt nicht dahin bringen kön-nen, wo es heute ist. Hinzukommen musste Mao Zedongs totalitärer Voluntarismus und zynische Verachtung für die Ideen

Wie man eine revolutionäre und ergo fundamental kritische wissenschaftlichen Lehre* zu  einem Arkanum willkürlichsten Terrors umbildet, ist stalinistische Tradition: mit Gehirnwäsche, Lager und Genickschuss. Es tötet das geistige Leben und hat schließlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion geführt. Wie es das Ge-sellschaftskorps von Chinas Staatsbeamten auf Dauer agil und unternehmerisch halten soll, ist ein Rätsel.

Aber unternehmerisch müssen sie sein - wenn anders nämlich der Staatskapitalismus, die Basis der bürokra-tischen Diktatur, weiterhin die Oberhand auf einem dynamischen Markt behaupten  - und China gegen die freiheitlichen Ideen von innen und außen immun halten soll.

Kampf der Kulturen? Allerdings. Auf dem Sedativum, dass "eine solche Hybride auf die Dauer nicht lebens-fähig ist", sollte man sich nicht zur Ruhe legen. Man hat schon Überraschungen erlebt.

*

Es sei bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt: Den größten Schaden für den Westen wird der Brexit nicht un-mittelbar durch seine wirtschaftlichen Nachteile für die Eurpoäische Union anreichte; die wird sie schon ver-kraften. Sondern mittelbar, indem er Großbritannien wirtschaftlicxh schwächt und ins Schlepptau der Amerika-ner oder, schlimmer, der Chinesen treibt. Das wäre eine entscheidende kulturelle Schwächung Europas in der Welt.

*) Eine Orthodoxie ist, G. Lukács zum Trotz, im Marxismus schlechterdings nicht möglich.
JE


 

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