aus Süddeutsche.de, 18. November 2014 17:56
Von der Ächtung bis zur Anklage
Die soziale Vernichtung von Sebastian Edathy lässt einen frieren. Dass er wegen des Besitzes von Kinderpornografie nun vor Gericht muss, ist dennoch richtig - in dieser Causa gibt es noch viel zu klären.
Kommentar von Heribert Prantl
Ach ja, die Unschuldsvermutung. Sie ist in Fällen wie dem von Sebastian Edathy nur noch papierschnipselgroß. Sie verwehte im Sturm der öffentlichen Empörung, der durch die Löcher des Ermittlungsverfahrens pfiff. Edathy war schon längst verurteilt, bevor die Anklage jetzt gegen ihn zugelassen wurde.
Dass er sich einst als Vorsitzender des Ausschusses zur Untersuchung der NSU- Mordtaten Verdienste erworben hat, kann man kaum noch erwähnen, ohne als potenziell pädophil verdächtigt zu werden. Die SPD hat sich deswegen von ihrem Ex-Abgeordneten in Hast und Hass getrennt. Mit so einem will man nichts mehr zu tun haben - auch wenn die Strafbarkeit seines Tuns (Besitz von Kinder- und Jugendpornografie) wohl im untersten Bereich liegen wird.
Es wird allenfalls eine Geldstrafe herauskommen. Auch das ist natürlich nicht nichts. Und man möchte nicht unbedingt vertreten oder regiert werden von einem Mann, der sich Bilder nackter Kinder anschaut. Aber die Art und Weise, wie hier die soziale Vernichtung eines Menschen verläuft, lässt einen schon frieren.
Nun also ist die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Edathy zugelassen worden, es wird gegen ihn vor Gericht verhandelt werden. Das ist schon deswegen richtig, weil in dieser Causa so viel unklar ist. Diese Unklarheiten konnten und können nicht im Zwischenverfahren geklärt werden. Die Klärung kommt zu spät.
Nota. - Was soll das heißen: "Die Klärung kommt zu spät"? Die Klärung, die ein ordentliches Gerichtsverfahren bringen könnte, käme zu spät, wenn ihm der Besitz von Kinderpornografie doch nicht nachzuweisen wäre. Dann wäre jemand in seiner bürgerlichen Existenz vernichtet, weil er etwas getan hat, was nicht verboten ist - nämlich Aktfotos von Kindern anschauen -, und ein eifernder Staatsanwalt unter Einbeziehung der Presse versuchsweise eine Hausdurchsuchung durchführen ließ, um mal nachzusehen, ob er nicht vielleicht auch noch was Verbotenes getan hat; könnt' ja sein, bei Leuten dieser Richtung ist alles möglich.
"Möglich", habe ich geschrieben; nicht: "wahrscheinlich". Erinnern Sie sich? Seinerzeit sagten sie, das hätten sie immer so gemacht, und bei jedem Vierten hätten sie wirklich was gefunden. Jeder Vierte, das ist eine Wahrscheinlichkeit von 1:3. Wenn ich der deutschen Sprache mächtig bin, heißt das: eine Unwahrscheinlich- keit.
Aus einem nicht-strafbaren Verhalten auf ein "wahrscheinlich" strafbares Verhalten schließen wegen der Richtung - das ist nicht die Logik des Rechts-, sondern des Polizeistaats. Das wäre skandalös, und jeder, der bis drei zählen kann, hätte das so gesehen - aber nicht sagen mögen, weil man gleich auch ihn jener Richtung zugerechnet hätte.
Und wäre nicht weniger skandalös, wenn die Haussuchung tatsächlich pornografische Fotos zutage gefördert hätte. Doch dann würden Herr Prantl und ich uns überlegen müssen, ob wir unsere resp. Beiträge nicht besser löschen sollten. Strafbar sind sie zwar eigentlich nicht, aber so eine Haussuchung ist in jedem Fall eine furchtbar lästige Sache; und was erst die Nachbarn sagen werden!
JE
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