Evolution
Launische Umwelt, strenge Götter
Unter den tausenden Religionen, die es auf der Erde gibt, haben nur manche Moralvorschriften. Die regieren dort, wo eine unwägbare Natur die Ernten bedroht.
Wo kommen die Götter her? Aus dem Mangel und der Not, antworten alle die, die glauben, dass die Überirdischen von den Irdischen erfunden wurden: „Worin anders als in den Schmerzen und Bedürfnissen der Menschen hat dieses schmerzlose und bedürfnislose Wesen seinen Grund und Ursprung? Nur im Elend der Menschen hat Gott seine Geburtsstätte.“ So formulierte es der Philosoph Ludwig Feuerbach, er meinte es ganz breit – „das Jenseits ist das Diesseits im Spiegel der Fantasie“ –, später verengten es Sozialwissenschaftler dahin, ein gemeinsamer Glaube diene der Koordination und dem Zusammenhalt einer Gruppe, dem schloss sich Richard Dawkins aus evolutionsbiologischer Sicht an.
Die Religionen bzw. ihre Gläubigen ließen sich davon nicht beirren, es gibt hunderte, ja tausende, sie sind regional höchst unterschiedlich verteilt – Brasilien hat 159, Kanada 19, die Elfenbeinküste hat 76, Norwegen 13 –, es gibt zudem verschiedene Typen, grob zwei: In den einen lebten die Götter in irgendwelchen Himmeln – auf dem Olymp, in Walhall –, dort trugen sie auch Händel aus, die auf Menschen durchschlagen konnten; in verwandten Religionen lebten und leben die Götter – oder auch Geister – in der Natur, auch sie sind launisch und wollen mit Opfern besänftigt werden.
In den anderen hingegen herrschen keine subjektiven Befindlichkeiten, sondern strenge Regeln, die, wie die Götter selbst, durch Offenbarung auf die Menschen kamen, und für deren Einhaltung die Götter sorgen, mit Sintfluten etc. Das sind die uns vertrauten Götter, Frans Roes hat sie die „moralisierenden“ genannt und sie mit dem Wachstum von Gesellschaften in Zusammenhang gebracht: Das bringt die Gefahr von Zersplitterung, ihr wird mit sozialen Normen entgegengewirkt, die mit göttlicher Autorität gedeckt sind (Evolution and Human Behavior, 24, S. 126).
Diesen Ansatz hat nun Carlos Botero, Umweltkundler an der North Carolina State University, aufgenommen und bettet ihn im Vergleich von 389 erdweiten Gesellschaften in einen historischen und ökologischen Rahmen ein (Pnas, 10. 11.): Demnach haben Götter zum einen einen geografisch-kulturellen Hintergrund, benachbarte Völkerschaften und solche mit den gleichen Sprachwurzeln haben den gleichen Typ. Und zum anderen kamen sie aus ökologischen Gründen auf ihn, es ging um die Ernährung bzw. ihre Bedrohung: Dort, wo die Natur freigiebig ist, und Jäger und Sammler das ganze Jahr über nur zugreifen müssen – in Ostafrika, in Südamerika, auch an der Westküste Nordamerikas –, herrschen Götter, die keine Gebote erlassen haben, sie zeigen nur ihre Launen, in Naturkatastrophen etwa.
Götter mit Gesetzestafeln regieren vielmehr dort bzw. helfen dort beim Regieren, wo dem Boden und den Launen der Natur etwas abgewonnen werden musste – in Nordafrika etwa, Europa und dem Nahen Osten –, dort also, wo sich früh die Landwirtschaft durchsetzte. Die bringt viele Organisationsprobleme – von der Nachbarschaftshilfe beim Ernten über die Sicherung des Eigentums an Grund und Boden und Nutzvieh bis zur Bewässerung ganzer Zweistromländer –, die nur von komplexen Gesellschaften bewältigt werden konnten. Aller gesellschaftlichen Organisation zum Trotz war doch jede Ernte bedroht, von Fluten, von Dürren, dann lehrte die Not zudem Beten.
Parallelfall: Vögel unter dem Himmel
„Die Wahrscheinlichkeit moralisierender Götter wächst dort, wo die Umwelt variabler und weniger vorhersehbar ist“, schließt Botero und verweist auf eine frappante Parallele: Seine Weltkarte der „moralisierenden Götter“ ist fast deckungsgleich mit einer, die Dustin Rubinstein (Columbia University) anno 2011 publizierte (Current Biology 21, S. 72): Er hat bei Vögeln die Kooperation beim Brüten kartiert, und auch sie, die nicht säen und nicht ernten, rücken dort zusammen – konkret, dort helfen Dritte den Brutpaaren bei der Aufzucht der Jungen –, wo eine unberechenbare Umwelt es empfiehlt bzw. erzwingt, in ebenden Regionen, in denen Menschen ihren Zusammenhalt mit „moralisierenden Göttern“ stärkten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2014)
Die Religionen bzw. ihre Gläubigen ließen sich davon nicht beirren, es gibt hunderte, ja tausende, sie sind regional höchst unterschiedlich verteilt – Brasilien hat 159, Kanada 19, die Elfenbeinküste hat 76, Norwegen 13 –, es gibt zudem verschiedene Typen, grob zwei: In den einen lebten die Götter in irgendwelchen Himmeln – auf dem Olymp, in Walhall –, dort trugen sie auch Händel aus, die auf Menschen durchschlagen konnten; in verwandten Religionen lebten und leben die Götter – oder auch Geister – in der Natur, auch sie sind launisch und wollen mit Opfern besänftigt werden.
In den anderen hingegen herrschen keine subjektiven Befindlichkeiten, sondern strenge Regeln, die, wie die Götter selbst, durch Offenbarung auf die Menschen kamen, und für deren Einhaltung die Götter sorgen, mit Sintfluten etc. Das sind die uns vertrauten Götter, Frans Roes hat sie die „moralisierenden“ genannt und sie mit dem Wachstum von Gesellschaften in Zusammenhang gebracht: Das bringt die Gefahr von Zersplitterung, ihr wird mit sozialen Normen entgegengewirkt, die mit göttlicher Autorität gedeckt sind (Evolution and Human Behavior, 24, S. 126).
Diesen Ansatz hat nun Carlos Botero, Umweltkundler an der North Carolina State University, aufgenommen und bettet ihn im Vergleich von 389 erdweiten Gesellschaften in einen historischen und ökologischen Rahmen ein (Pnas, 10. 11.): Demnach haben Götter zum einen einen geografisch-kulturellen Hintergrund, benachbarte Völkerschaften und solche mit den gleichen Sprachwurzeln haben den gleichen Typ. Und zum anderen kamen sie aus ökologischen Gründen auf ihn, es ging um die Ernährung bzw. ihre Bedrohung: Dort, wo die Natur freigiebig ist, und Jäger und Sammler das ganze Jahr über nur zugreifen müssen – in Ostafrika, in Südamerika, auch an der Westküste Nordamerikas –, herrschen Götter, die keine Gebote erlassen haben, sie zeigen nur ihre Launen, in Naturkatastrophen etwa.
Götter mit Gesetzestafeln regieren vielmehr dort bzw. helfen dort beim Regieren, wo dem Boden und den Launen der Natur etwas abgewonnen werden musste – in Nordafrika etwa, Europa und dem Nahen Osten –, dort also, wo sich früh die Landwirtschaft durchsetzte. Die bringt viele Organisationsprobleme – von der Nachbarschaftshilfe beim Ernten über die Sicherung des Eigentums an Grund und Boden und Nutzvieh bis zur Bewässerung ganzer Zweistromländer –, die nur von komplexen Gesellschaften bewältigt werden konnten. Aller gesellschaftlichen Organisation zum Trotz war doch jede Ernte bedroht, von Fluten, von Dürren, dann lehrte die Not zudem Beten.
Parallelfall: Vögel unter dem Himmel
„Die Wahrscheinlichkeit moralisierender Götter wächst dort, wo die Umwelt variabler und weniger vorhersehbar ist“, schließt Botero und verweist auf eine frappante Parallele: Seine Weltkarte der „moralisierenden Götter“ ist fast deckungsgleich mit einer, die Dustin Rubinstein (Columbia University) anno 2011 publizierte (Current Biology 21, S. 72): Er hat bei Vögeln die Kooperation beim Brüten kartiert, und auch sie, die nicht säen und nicht ernten, rücken dort zusammen – konkret, dort helfen Dritte den Brutpaaren bei der Aufzucht der Jungen –, wo eine unberechenbare Umwelt es empfiehlt bzw. erzwingt, in ebenden Regionen, in denen Menschen ihren Zusammenhalt mit „moralisierenden Göttern“ stärkten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2014)
aus scinexx mesoamerikanische Gottheit Tlaloc
In harter Umwelt sind die Götter strikt
Religionen und ihr Gottesbild werden von ökologischen und gesellschaftlichen Faktoren geprägt
Umwelt oder nur Kultur?
Warum sich die Religionen so unterschiedlich entwickelt haben, und welche Faktoren bestimmen, an was die Menschen glauben, beschäftigt Forscher verschiedenster Disziplinen schon seit langem. Wie auch bei anderen Verhaltensweisen wird dabei häufig debattiert, ob die natürliche Umwelt oder aber kulturelle Einflüsse den stärkeren Effekt haben. "Wir wollten all diese voreingenommenen Ansichten ignorieren und uns alle potenziellen Faktoren auf einmal anschauen", erklärt Erstautor Carlos Botero von der North Carolina State University in Raleigh.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher den Glauben von 583 Gesellschaften aus allen Regionen der Erde und glichen sie mit den dort herrschenden historischen, sozialen und ökologischen Faktoren ab. Im Gegensatz zu früheren Studien erfassten sie dabei nicht nur grobe Schätzungen der ökologischen Bedingungen, sondern nutzten hochauflösende globale Datensätze, um Informationen über Umweltfaktoren wie Pflanzenwachstum, Niederschläge und Temperaturen zu erhalten. "Nachdem wir so viele andere Faktoren mit einbezogen hatten wie wir konnten, wollten wir wissen, ob sich trotzdem noch einen Einfluss der Umwelt feststellen ließ", sagt Botero.
Harsche Umwelt – striktere Götter
Das Ergebnis: "Wenn das Leben hart ist oder unsicher, dann glauben die Menschen an übermächtige Götter", berichtet Russell Gray von der University of Auckland. Demnach ist es kein Zufall, dass Judentum und Islam beide im Nahen Osten entstanden – in einer Region, in der Trockenheit und Wüsten schon früher das Überleben erschwerten. Bewohner der Tropen und des Regenwalds dagegen kennen solche strikten Religionen eher weniger.
"Obwohl manche Aspekte von Religionen auf den ersten Blick eher negativ escheinen, deutet die nahezu universelle Verbreitung solcher Glaubensformen darauf hin, dass es einen Vorteil bringen muss", sagt Gray. Im Falle der harschen Umwelten sei dieser relativ deutlich. Denn nach gängiger Theorie fördert der Glauben an ein höheres Wesen, das klare moralische Vorgaben macht, die Kooperation innerhalb einer Gesellschaft. "Und das prosoziale Verhalten hilft den Menschen dabei, in harten und unberechenbaren Umgebungen zu überdauern", so Gray.
Eigentum und politische Komplexität
Aber: Die Studie zeigt auch, dass Umwelt keineswegs alles ist. Stattdessen prägen auch gesellschaftliche und kulturelle Faktoren, ob eine Kultur an einen starken, moralischen Gott glaubt. So fördert auch eine politisch komplexe Gesellschaft mit verschiedenen Hierarchien und Gremien diese Religionsformen. Auch Gesellschaften, die privates Eigentum kennen und Viehzucht betreiben, neigen stärker zu strikteren Gottheiten, wie die Forscher berichten. Aus ihren Ergebnissen entwickelten sie ein Modell, mit dem sie anhand dieser Faktoren immerhin mit 91-protziger Genauigkeit
"Daraus ergibt sich ein Gesamtbild, nachdem Religion weder durch rein kulturelle Weitergabe entsteht, noch durch simplen ökologischen Determinismus", so die Forscher. "Stattdessen ergibt sie sich aus einer Kombination von historischen, sozialen und ökologischen Faktoren." Diese Wechselwirkungen und Faktoren zu kennen hilft ihrer Ansicht nach dabei, die Kräfte zu verstehen, die das Verhalten unserer Spezies geformt und geprägt haben. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014; doi: 10.1073/pnas.1408701111)
(National Evolutionary Synthesis Center (NESCent), 11.11.2014 - NPO)
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