Samstag, 8. November 2014

Meme: das Phänomen "Alex from Target".

Plötzlich bekannt: Alex, Kassierer bei der amerikanischen Supermarkt-Kette Target, im Moment seiner Entdeckung.
aus nzz.ch, 7.11.2014, 14:00 Uhr                                                                       Alex, Kassierer bei der amerikanischen Supermarkt-Kette Target
 
Entstehung von Web-Phänomenen
«Ob Werbung oder Inhalt, ist vielen egal»



Mit «Alex from Target» ist ein gewöhnlicher Teenager aus Texas zum Internet-Star geworden. Der Social-Media-Experte Martin Giesler erklärt, wie man im Netz Erfolg hat.
 
Herr Giesler, mit «Alex from Target» wurde ein gewöhnlicher, zugegeben attraktiver Teenager, der in einem Supermarkt in Texas Waren einpackt, innerhalb von wenigen Tagen zu einem Internet-Phänomen. Warum?

Bis anhin ist noch nicht final geklärt, ob vielleicht doch eine Marketing-Agentur hinter der Sache steckt. Ich sage das deswegen bewusst vorab, weil immer eine grosse Portion Skepsis angebracht ist, wenn so ein Meme, also ein Internet-Phänomen, derart durch die Decke geht: Über eine Million Erwähnungen alleine auf Twitter innerhalb von fünf Tagen sind eine Menge Holz. Zu oft hat sich im Nachgang gezeigt, dass es sich um einen viralen Werbe-Coup eines Unternehmens handelte.

Was passierte bei «Alex from Target»?
 
Ein relativ kleiner Twitter-Account hat eine Foto des Teenagers auf Twitter gepostet, und dann hat sich «Alex from Target» innerhalb kürzester Zeit durch Retweets und ironische Kommentierungen als Text, Video oder Bild viral verbreitet. Target selbst hat dieses Meme auch schnell strategisch für sich genutzt und ebenfalls einen Tweet gepostet, der extrem hohe Aufmerksamkeit erzeugte. Diese Reaktion von Target entspricht schon ziemlich gut dem, wie man virale Werbung macht.
 
Heute kann offenbar jeder aus dem Nichts berühmt werden und in Talkshows wie die von Ellen DeGeneres eingeladen werden. Was hatte Alex, was alle anderen nicht haben?

Alex hatte wohl einfach Glück. Es gibt keine objektiven Erfolgskriterien, wie man selbst zum Meme werden kann. Es kommt sicherlich auf den richtigen Zeitpunkt an, und eine extrem hohe Anzahl an anderen Personen muss innerhalb kurzer Zeit das Meme weitertragen. Es gibt keine viralen Kampagnen, die über Wochen andauern. Es gibt immer Peaks. Dass Alex dann bei Ellen DeGeneres eingeladen wird, hat natürlich auch viel damit zu tun, dass DeGeneres die Spielregeln des Web ganz genau kennt; das sieht man an ihrem phänomenalen Oscar-Selfie. In solchen Fällen springt sie auf Trends auf, um selbst davon zu profitieren.
 


Was macht einen guten Tweet aus?

Prinzipiell bekommen Tweets mit Bildern mehr Retweets als Text-Tweets. Ein Tweet sollte auch nicht die vollen 140 Zeichen ausnutzen, sondern immer noch 10 bis 20 Zeichen frei lassen, damit andere User mehr Platz für eigene Zusatz-Botschaften haben. Sonst ist es tatsächlich eine Frage des Timings. Wenn ein guter Tweet zu einer unmöglichen Zeit – also dann, wenn auf Twitter gerade nicht viel los ist – gepostet wird, ist er nicht viel wert.

Alex ist ein typischer Mädchenschwarm, ein Justin-Bieber-Verschnitt; auch andere Internet-Lieblinge wie Jeremy Meeks, ein amerikanischer Häftling, und die kurdische Freiheitskämpferin Rehana, der «Engel von Kobane», sind attraktiv. Bevorzugt das Internet schöne Personen?

Das Internet spiegelt die Bedürfnisse und Träume der Menschen. Da ist es mit Blick darauf, welche Schönheitsstan- dards die Werbe- und Medienwelt vorlebt, nicht weiter verwunderlich, dass solche Ideale auch im Netz gelten.

Die «Washington Post» schrieb, dass das Phänomen mit dem Engagement von – meist weiblichen – Fan-Communitys zu erklären ist. Ist da etwas dran?

Junge, weibliche Internetnutzer sind für Entwicklungen in der Technologie und in der Medienbranche zu einem sehr entscheidenden Faktor geworden. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens klebt kaum eine andere Zielgruppe derart stark an den Screens der Smartphones, und zweitens können sie via Social Networks binnen Stunden neue Stars aufbauen, wie eben «Alex from Target», oder etwas in Grund und Boden kritisieren. Wenn du Erfolg haben willst, baue etwas auf, das bei dieser Zielgruppe ankommt.

Offenbar gibt es innerhalb der digitalen Sphäre meinungsstarke, nicht prominente Persönlichkeiten mit einem guten Gespür für Trends, die mehr bewegen können als etablierte Medien. Was ist das für eine Community, die solche Web-Phänomene lanciert und befördert?

Blogger werden zu einem immer stärkeren Katalysator für all das, was zunächst in der Web-Öffentlichkeit passiert und dann in die Realwirtschaft übertragen wird. Egal, ob Tech-, Fashion- oder Kulturblogger, sie alle geben über ihre Zielgruppen entscheidende Impulse. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand wirklich vollumfänglich ein eigenes Blog betreibt oder sich auf Twitter, Facebook, Instagram oder Vine eine grosse Zielgruppe erarbeitet. Die Werbe-Industrie macht sich das häufig zunutze und gibt Werbe-Clips etwa zunächst an Blogger heraus, damit diese sie dann verbreiten. Das nennt man Seed-Funding. Wenig Kosten für die Werbe-Industrie, aber grosse Effekte.

Rehana, der «Engel von Kobane», war, wie die BBC später herausfand, gar keine kurdische Freiheitskämpferin, die mehr als 100 IS-Kämpfer getötet hatte, wie es zunächst hiess, sondern lediglich Mitglied einer Bürgerwehr. Auch bei «Alex from Target» wurde vermutet, eine Marketing-Agentur habe die Kampagne lanciert. Wie kann man zwischen echten Phänomenen und PR-Kampagnen unterscheiden?

Es ist zunächst einmal wichtig, nicht alles zu glauben, was einem im Netz als virales Wunder verkauft wird. Dieser ins Internet verlagerte amerikanische Traum, dass jeder zum Star werden kann, ist von der Werbe-Industrie mit Blick auf virale Wundertüten absorbiert worden. Häufig reicht es schon, einmal zu googeln, was es mit einem Phänomen auf sich hat, bevor direkt etwas retweetet wird. Aber: Vielen Nutzern ist es egal, ob sie Werbung oder Inhalt konsumieren und weiterverbreiten. Genau darauf setzt die PR-Industrie. Native Advertising ist ein Milliarden-Dollar-Geschäft und setzt genau darauf, dass die Grenzen zwischen Inhalt und Werbung verwischen. Es bedarf manchmal schon einiger Medienkompetenz – und die ist bei vielen nicht vorhanden. Ein Klick, ein Like, ein Star. Gerade wir Journalisten sollten aufpassen, dass wir mit Blick auf kurzfristigen finanziellen Erfolg nicht immer weiter dafür sorgen, dass diese Grenzen aufgeweicht werden. Sonst ist Journalismus bald von PR nicht mehr zu unterscheiden.

Martin Giesler arbeitet als Redakteur beim Zweiten Deutschen Fernsehen und ist Herausgeber des Social Media Watchblog.

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