Dienstag, 21. November 2017
Das war noch nicht neu genug.
Etwas wirklich Neues, wie es das deutsche Publikum über Nacht plötzlich zu hoffen wagte, wäre das nicht geworden. Das wochenlange Gewürge der Sondierungen war Schachern wie gehabt. Das ließ nichts Gutes ahnen, da hat Herr Lindner Recht.
Jetzt müssen sie was richtig Neues probieren, bei dem der Welt die Spucke wegbleibt. Dazu braucht man Mut. Vertrauen kann man da nicht voraussetzen, das muss sich aus dem Mut erst noch ergeben - da wiederum hat Frau Göring-Eckhardt Recht.
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Auf eine Minderheitsregierung ist Frau Merkel nicht scharf. Doch das prädestiniert sie dazu. Sie hätte mehr Macht - und mehr Verantwortung - als je zuvor, dabei ist ihr nicht wohl. Einer wie Schröder würde so eine Gelegenheit mit beiden Händen ergreifen, aber darum dürfte man sie ihm nicht geben.
Unsere Parteien sind, wie sie sind. Über ihren Schatten können sie nicht springen. Aber der Bundestag hat sieben- hundert Abgeordnete. Seit Jahr und Tag geht die Klage, man könne die Parteien gar nicht mehr recht unterscheiden und wisse nicht, wen man noch wählen soll. Erst sank die Wahlbeteiligung, jetzt wächst die AfD. Und nun finden sie nicht einmal eine Regierungsmehrheit!
So groß sind die politischen Unterschiede dabei wirklich nicht. Ginge es jeweils nur um die Sache, ließe sich mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand zu fast jedem Thema ein breite Mehrheit finden. Das Problem ist der Fraktionszwang. Wer was werden will, wird es nur über die Fraktion.
In einer Koalition, wo die Fraktionen alles untereinander vertraglich geregelt haben und tagtäglich neu auskunkeln, sind die meisten Abgeordneten nur Stimmvieh. Wenn es jeweils nur um die Sache ginge, weil Posten gar nicht zu vergeben sind, würde mancher von ihnen vielleicht zum Volksvertreter.
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„Es ist ja auch einmal ein Experiment: Ein Bundestag ohne klare Mehrheitsverhältnisse hat ja die Option, über die politischen Lager hinweg in Einzelfragen Gemeinsamkeiten herbeizuführen“ - das sagt Herr Lindner in der FAZ, und wieder hat er Recht und weiß nicht, wie. Frau Merkel machte nie den Eindruck, als hätte sie Angst vor der eigenen Courage, doch Ruhe und Sicherheit liegen wenigstens ebenso in ihrem Temperament. Aber mit dem Koalitionsvertrag und mit den Fraktionszwängen entfallen zehntausend Rücksichten, die sie nicht mehr nehmen muss. Von nun an wäre es ja so: Es könnte ihr keiner mehr in den Rücken fallen, es müsste sie jeder mit offnem Visier herausfordern.
Und es könnte ja nicht lange dauern - im schlimmsten Fall eine Legislatur. Schnell würde sich zeigen, dass unsere vorgeblich politischen Parteien nur Zuträger und Fangarme der Fraktionen sind. Deren Verschwinden in der Be- deutungslosigkeit würden sie kaum überleben. Aber natürlich würden sich in so einem Bundestag unter siebenhun- dert Abgeordneten schnell neue Gruppierungen finden; aber, solange keine Posten verteilt werden, wohl oder übel nach sachlichen Gesichtspunkten. Das wäre auch nötig, denn in vier Jahren muss ja wieder gewählt werden.
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