Freitag, 24. November 2017

"Europa-Koalition"?


Valentin Serov

Eins haben die gescheiterten Koalitions-Sondierungen immerhin gebracht: Es kommt politische Phantasie in die Köpfe. Der Berliner Tagesspiegel bringt unter der Überschrift "Kenia? Jamaika? Ach was, Europa!"  heute einen Diskussionsbeitrag von Sergey Lagodinsky:


... Gefragt ist jetzt mehr denn je eine signalstarke innenpolitische Lösung, welche Deutschlands Rolle untermauert, ohne die deutsche Verfassung zu unterminieren. Trotz innenpolitischer Turbulenzen muss deutlich werden, dass die Europapolitik der Regierung immer mit Mehrheiten rechnen kann.  Eine solche Lösung liegt in der symbolischen Bildung einer sofortigen „Europa-Koalition“. Wir brauchen eine kurzfristige Verständigung aller europaorientierter Parteien, um den Kurs einer geschäftsführenden Regierung oder einer dauerhaften deutschen Minderheitsregierung zu stützen. Diese Erklärung muss kein förmlicher Vertrag sein, aber ein schriftliches Bekenntnis zu den zentralen anstehenden EU-Projekten. Sie sollte von den Unionsparteien, den Grünen und der SPD, nach Möglichkeit aber auch der FDP oder gar der Linken mitgetragen werden.
 

Einiges steht in der Europapolitik bis April auf dem Spiel: Etwa eine Vertiefung der Währungsunion. Dazu werden konkrete Vorschläge Anfang Dezember vorgelegt. Die deutsche Regierung muss sich dazu glaubwürdig verhalten können. Auch die Strategien im Umgang mit Brexit müssen nach außen klar erkennbar von einer großen Mehrheit der deutschen Abgeordneten getragen werden.

Die inhaltlichen Grundlagen für die schnelle Schaffung einer Europa-Koalition sind da. Die Unionsparteien, die SPD, die Grünen sowie die FDP eint in ihren Wahlprogrammen eine grundsätzlich pro-europäische Einstellung. Alle diese Parteien sehen in der Macron-Initiative und der Stärkung der deutsch-französischen Zusammenarbeit eine Chance. Alle setzen auf eine Kalibrierung zwischen den Befugnissen Brüssels und der Stärkung der europäischen Regionen, sowie auf eine Ausdifferenzierung der Kooperationstiefe zwischen verschiedenen Staaten. Die meisten wollen einen besseren Austausch zwischen europäischen Sicherheitsbehörden zur Terrorbekämpfung. Alle sprechen davon, Steuerflucht stärker zu bekämpfen. Alle sind darin geeint, dass auch nach dem Brexit eine Kooperation mit Großbritannien möglich sein muss.

Wo es Unterschiede gibt, scheint doch zumindest eine Annäherung möglich – oft sind diese Punkte auch nicht existentiell für den Erhalt Europas. Ein Dissens über transnationale Listen bei der Wahl zum Europaparlament oder bestimmte Maßnahmen zur Sicherung der EU-Grenzen würde nicht für Unsicherheit bei unseren EU-Partnern sorgen. Und auch die Zukunft der Türkei-Beitrittsverhandlungen (hier sind die Grünen die einsamen Befürworter des Nicht-Abbruchs der Verhandlungen) wird keine Rolle spielen, sind Deutschland und Österreich hier innerhalb Europas doch ohnehin in der Minderheit. ...

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