aus derStandard.at, 10. November 2017, 18:02
Jäger und Sammler überließen Einwanderern die fruchtbaren Ebenen
In
der Jungsteinzeit trafen in Mitteleuropa zwei völlig verschiedene
Kulturen aufeinander – am Ende stand eine starke Vermischung
Wien/Krems – In der Jungsteinzeit kamen die ersten Landwirtschaft betreibenden Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa. Zum Teil verdrängten sie die hiesigen Jäger und Sammler, zum Teil vermischten sich aber auch mit ihnen. Letzteres geschah offenbar in stärkerem Ausmaß als bisher angenommen, berichtet ein Wissenschafterteam mit österreichischer Beteiligung in "Nature".
Knochen geben Einblick
Ein Team um Mark Lipson und David Reich von der Harvard Medical School in Boston (USA) hat das Erbgut von 180 menschlichen Knochenfunden aus der Jungsteinzeit und Kupferzeit untersucht. Die Gebeine stammten aus dem Karpatenbecken im heutigen Ungarn, dem mitteleuropäischen Tiefland in Deutschland und von der Iberischen Halbinsel. Mit mathematischen Modellen stellten die Forscher anschließend die Bevölkerungsentwicklung in diesen Regionen nach.
An der Studie war auch Kurt W. Alt vom Zentrum für Natur- und Kulturgeschichte der Menschen der Danube Private University in Krems beteiligt. "Die flachen Gebiete mit besonders guten Böden wie in Mitteldeutschland oder in Westungarn waren wohl für die Bauern besonders interessant, die Jäger und Sammler konnten aber weniger damit anfangen", beschreibt Alt eines der Studienergebnisse.
Fruchtbare Ebenen wurden verlassen
Als die Ackerbauern und Viehzüchter vor etwa 7.500 Jahren auftauchten, zog sich die ursprüngliche Bevölkerung zunächst aus Mitteleuropa nach Norddeutschland und Skandinavien zurück. Dort lebten diese Menschen noch 1.500 bis 2.000 Jahre, ohne ihre Lebensweise als Jäger und Sammler respektive Fischer aufgeben zu müssen.
Dann aber kehrten ihre Nachkommen zurück. Es gab zwar auch Auseinandersetzungen mit den Bauern, aber vor allem mischten sie sich mit ihnen, so Alt. Zunächst nur spärlich, fanden sich mit der Zeit immer mehr Spuren des Erbguts der früheren Jäger und Sammler bei den aus dem Südosten eingewanderten, sesshaft gewordenen Menschen.
Auf der Iberischen Halbinsel lief der Kontakt zwischen den Jägern und den Bauern schneller ab: "Dort ist es viel karger und gebirgiger, und es gibt nur ein paar Küstenstreifen und das Ebrotal, wo man sehr gut bäuerlich werken kann", sagt Alt. Die geografischen Umstände begünstigten Berührungsflächen und eine schnelle Durchmischung. Ähnliches geschah im hügeligen Osten Ungarns.
Koexistenz
Die Jäger- und Sammler-Völker sowie die Bauern lebten in manchen Gebieten für längere Zeit nahe beieinander, so die Forscher. Allerdings mussten die Bauern vor allem in kargen Gebieten auch noch auf die Jagd gehen, um ihren Bedarf an Nahrungsmitteln und Fell für Ausrüstung und Kleidung komplett zu decken.
Es gab aber durch das rasche Bevölkerungswachstum dieser Zeit vermutlich bald zu wenig Tiere für ein reines Jäger- und Sammler-Dasein, und die Jagd musste wohl recht früh reglementiert werden, meint Alt. Als die ersten Bauern nach Europa kamen, gab es dort höchstens eine Million Menschen. Am Anfang der Bronzezeit rund 3.000 Jahre später waren es schon 15 bis 20 Millionen.
Wanderungsbewegungen rekonstruiert
Die Forscher konnten in ihrer Studie auch die Wanderungsbewegungen nachzeichnen: Die Bevölkerungen im westlichen Teil des Karpatenbeckens und Deutschlands ähneln einander genetisch so sehr, dass man die Steinzeitbauern aus Ungarn als Ahnen jener in Mitteleuropa bezeichnen könne, so Alt.
Die Menschen sind demnach vom Nahen Osten über die Balkanroute ins heutige Ungarn gewandert und kamen über Österreich nach Deutschland. "Natürlich sind immer auch welche von diesem Korridor abgezweigt und haben sich zum Beispiel in Österreich oder Tschechien niedergelassen", sagte er.
Die Iberische Halbinsel wurde hingegen aus dem Süden über die Mittelmeerroute über Italien und Südfrankreich besiedelt, vielleicht auch aus Nordafrika. (APA, red,)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen