Auch in diesem
Szenario gelingt es Merkel nicht, eine weitreichende, „wirkungsgleiche“
europäische Einigung in der Asylfrage zu erzielen. Seehofer bespricht
die Gipfel-Ergebnisse zwar danach mit Merkel, weil Reden „zum Anstand“
gehört, unmittelbar danach ordnet er aber trotzdem umfassende
Zurückweisungen an der deutschen Grenze an – gegen den erklärten Willen
der Kanzlerin. Merkel betont kühl ihre Richtlinienkompetenz nach Artikel
65 des Grundgesetzes, wonach der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin
„die Richtlinien der Politik“ bestimmt und dafür auch die Verantwortung
trägt. Und weiter: „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder
Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener
Verantwortung.“ Innerhalb der Richtlinien – darauf wird sich Merkel
gegenüber Seehofer berufen.
Merkel entlässt
daraufhin Seehofer als Innenminister, weil sie eine so offene
Infragestellung ihrer Position nicht dulden kann und das Vertrauen nicht
mehr besteht. Weil die CSU weitgehend geschlossen hinter Seehofer
steht, vollzieht Merkel mit Seehofers Demission aus dem Kabinett
zugleich den Bruch der Fraktionsgemeinschaft der Union. Seehofer zieht
daraufhin seine drei CSU-Minister und die CSU-Digitalstaatsministerin
aus dem Kabinett zurück. Im Bundestag fehlen der nicht mehr ganz so
großen Koalition aus CDU und SPD
jetzt zwei Sitze zur Mehrheit, ohne die CSU haben sie gemeinsam nur
noch 353. Weil aber die Grünen, die schon in den Jamaika-Verhandlungen
keinen Hehl aus ihrem Regierungswillen gemacht haben, in die Bresche
springen, kann Merkel vorerst auch ohne die CSU Regierungschefin bleiben
– als Kanzlerin einer völlig neuartigen Koalition aus CDU, SPD und den
Grünen.
Rechtzeitig bis zum 2. August um 18 Uhr,
wenn die Frist abläuft, gründet die CDU eine neue Landespartei und
Unterbezirke in Bayern. Es gelingt ihr auch, rechtzeitig überall
Kandidaten aufzustellen. Bei der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober
tritt neben der CSU deshalb zum ersten Mal auch die CDU an, nach
Umfragen könnte sie auf sieben bis acht Prozent der Stimmen kommen. Das
wäre ein Achtungserfolg und würde ausreichen, um der CSU die absolute
Mehrheit zu rauben – zumal nicht klar ist, wie viele CSU-Anhänger im
Zweifel die CDU wählen würden, weil sie mit Seehofers Kurs nicht
einverstanden sind.
Umgekehrt
breitet sich auch die CSU bundesweit aus – als wertkonservative
Alternative zu einer CDU, die vielen in der Union unter Merkel schon
lange zu weit nach links gerückt ist. Dabei hätte die CSU offenbar
durchaus Potential, glaubt man Umfragen: Eine Insa-Erhebung vom Dienstag
sah sie bundesweit bei 18 Prozent – damit würde sie nach der CDU aus
dem Stand zur zweitstärksten politischen Kraft. Getrennt kämen CDU und
CSU gemeinsam demnach auf 40 Prozent der Stimmen. Trotzdem ist nach dem
Bruch der Unionsgemeinschaft vielen in CDU und CSU äußerst unwohl. Denn
mittelfristig ringen beide Parteien zwischen der SPD auf der linken und
der AfD
auf der rechten Seite um dasselbe Klientel – ein kräftezehrender Kampf,
der bei vielen schon bald den Wunsch nach einer Wiedervereinigung
aufkommen lässt.
Nota. - Die von mir heute morgen bevorzugte Version erwägt die FAZ gar nicht erst, sie macht in den letzten Tagen ohnehin den Eindruck, als wolle sie sich Seehofer zuwenden. Sie haben sich alle von der Umfrage beein- drucken lassen, wonach die CSU bundesweit auf 18% kommen könnte. Doch die Umfrage wurde gemacht im Moment von Merkels tiefster Demütigung. Manch einer, der entschieden hinter ihrer Linie steht, ist verzagt und lässt die Ohren hängen. Wenn sie aber täte, was seit Monaten und Jahren so viele erwarten und nur wenige noch hoffen mögen: dass sie endlich in die Offensive geht, das Gesetz des Handelns an sich reißt und endlich, end- lich der deutschen Politik eine neue und weite Perspektive weist, dann wird die CSU zur Schwesterpartei der AfD und die Liberalen unter den Konservativen werden sich daran erinnern, dass ihre Kraft nur aus der Mitte kommen kann.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen