Sonntag, 17. Juni 2018

Jetzt gehts ums Ganze.

 
Die Neue Zürcher kommentiert heute die deutsche Regierungskrise, die eine Existenzkrise der deutschen Parteien ist.

... Würde Deutschland beginnen, wäre Österreich als Erstes betroffen. Es müsste dann ebenfalls Asylsuchende zurückweisen, was wiederum die Nachbarn Österreichs ebenfalls täten. Keines der inzwischen 26 Schengen-Länder ... könne sich dem entziehen, denn auch Ausweichrouten müssten unterbunden werden.

Die Asylsuchenden würden schliesslich reihum gereicht. Man wüsste nicht, wo die Leute am Ende landen: auf irgendeiner griechischen Insel, irgendwo auf dem Balkan oder auf der Strasse in Italien.

Das wäre ein Szenario, das die Kanzlerin zutiefst ablehnt. Sie hat es gerne ordentlich und organisiert. Dazu gehört auch ein Deutschland, das sich an die Regeln der EU hält. Darauf kann sie jetzt umso mehr pochen, als sie in ihrer letzten Amtszeit ist. Umfragewerte können ihr egal sein. Nicht aber ihr historisches Vermächtnis. Als die Kanzlerin, die das Ende der offenen Grenzen in Europa eingeleitet hat, möchte sie nicht gelten.

Es gibt Indizien, dass es vielleicht doch nicht ganz so schlimm kommt, sollte sich Seehofer durchsetzen. Bis zu 15 000 Flüchtlinge erreichen jeden Monat Deutschland. Praktisch alle haben vorher ein anderes Schengen-Land durchquert. Wollte man sie aber alle zurückweisen, hätte das einen Kontroll- und Polizeiaufwand zur Folge, der auch im konservativen Bayern schnell auf Widerstand stiesse. Seehofers Vorschläge sind also Symbolpolitik.

Praktisch wären die Folgen gering. Doch...

...geht es in dem Konflikt nicht nur um Flüchtlinge, sondern um die Frage, wie Europas Staaten miteinander umgehen. Und darin liegt die eigentliche Sprengkraft des Vorschlags Seehofers. Denn er propagiert einen nationalen Alleingang, ohne Rücksicht auf europäische Verträge, in diesem Fall das Abkommen von Dublin.

Dieses sieht eine geordnete Rückführung des Antragsstellers in das Erstaufnahmeland vor, nicht aber, den Flüchtling kurzerhand im Nachbarland abzuladen. Sollte Deutschland eine solche Politik umsetzen, wäre die Botschaft ...: «Uns ist egal, was die Regeln sind. Wir machen einfach.» Ein solcher Kulturwandel sei die eigentliche Gefahr. «Das ist das politische Gift. Langfristig kann das zum Zerfall der EU führen», warnt der Politologe. Denn es bedeutet: «Jeder Staat entscheidet nach eigenem Gutdünken.» Die multilaterale EU wäre am Ende.

Nach Gutdünken haben seit 2015 bereits die populistischen Regierungen in Osteuropa Politik gemacht. Nach Gutdünken hat jetzt auch Italien entschieden und dem mit 629 Flüchtlingen beladenen Schiff «Aquarius» das Einlaufen verweigert. Der Bruch des internationalen Seerechts soll sich fortsetzen: Gestern Samstag kündigte Innenminister Matteo Salvini an, zwei weiteren Rettungsschiffen die Einfahrt zu untersagen.

Die Ähnlichkeit im Stil kommt nicht von ungefähr: Salvini und Seehofer sind seit dieser Woche Teil der vom österreichischen Kanzler Sebastian Kurz ausgerufenen «Achse der Willigen». Sie nehmen sich heraus, zur Lösung der Flüchtlingskrise internationales Recht zu brechen, und verweisen auf die handlungsunfähige EU. Seit drei Jahren scheitert der Versuch, besser funktionierende Regeln im Umgang mit Flüchtlingen zu verein- baren. Ein Ende Juni angesetzter Migrationsgipfel wird wohl keine Lösung bringen. Zu gross sind die Gegen- sätze.

Und so wird die Debatte in Berlin mit aller Härte weitergeführt. Morgen Montag will Seehofer die nächste Eskalationsstufe zünden und die Rückweisungen anordnen

Wenn er morgen zündelt, muss sie ihn auf der Stelle rausschmeißen. Sonst war ihre Regierungszeit nur ein Vogelschiss in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

JE



 

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