Donnerstag, 3. November 2016

Die Antike ging früher unter als gedacht.


Ephesos, Agora
 aus derStandard.at, 19. Oktober 2016, 14:13


Ephesos: Münzfund weist auf Ära der Veränderung hin

Ephesos/Wien – Die von der Türkei angeordnete vorzeitige Einstellung der von österreichischen Archäologen geleiteten Arbeiten im antiken Ephesos erscheint wissenschaftlich umso bedauerlicher, betrachtet man die Ergebnisse der Forschungen. Denn auch in der heurigen Grabungssaison waren wieder wichtige Entdeckungen gelungen: Der Fund eines Münzdepots etwa gebe Aufschluss darüber, wann das einstige Stadtzentrum der antiken Metropole übersiedelt wurde, teilte das Archäologische Institut mit.

Bei den 160 Münzen, die sich wohl ursprünglich in einem Beutel befanden, handle es sich um eine ungewöhnliche Entdeckung von besonderer Bedeutung, erklärte die Direktorin des Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Sabine Ladstätter. Die Münzen wurden vermutlich am Fundort vor Fremden versteckt. Da die Archäologen in einem schmalen Mauerspalt der Säulenhalle (Stoa) des Platzes der Oberen Agora fündig wurden, lassen sich daraus wichtige Schlüsse über die Entwicklung der heute in der Westtürkei gelegenen Stadt ziehen.

Neue Einblicke

Die Obere Agora bildete nämlich über lange Zeit hinweg das städtische Zentrum. Da der Beutel mit dem Geld aber nur von oben in den Spalt gelegt worden sein kann, müsse man davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt um das Jahr 520 unserer Zeitrechnung die ehemals repräsentative Säulenhalle schon weitgehend abgetragen war.

Münze aus der Zeit von Kaiser Anastasius I. (491‒518)

Dass die Bewohner die früher wichtigen großen Bereiche der Oberstadt nicht mehr gebraucht haben, die Stadt um diese Zeit insgesamt deutlich kleiner geworden ist und sich das Zentrum in Richtung Hafen verlagert hat, war den Wissenschaftern bereits bekannt. "Dass das bereits um 520 passiert ist, ist für unsere Vorstellungen schon sehr früh. Da stand Ephesos noch in absoluter Blüte, trotzdem wurde das kaiserzeitliche Stadtzentrum schon abgetragen. Das sagt uns auch viel über die Mentalitätsgeschichte", so Ladstätter.

Denn die Aufgabe des Zentrums des öffentlichen Lebens und der Verwaltung markiere eine tiefgreifende Veränderung in der Bevölkerung: "Das Stadtbild war nicht mehr von den alten öffentlichen Einrichtungen, sondern schon stark von den christlichen Kirchen geprägt, um die sich das städtische Leben dann angesiedelt hat. Der antike Charakter von Ephesos wird damit eigentlich aufgegeben", sagte die Leiterin der österreichischen Grabungen.

Die im Rahmen eines Kooperationsprojekts der Universität Regensburg mit dem ÖAI gefundenen Münzen geben aber auch Aufschlüsse über die weitreichenden wirtschaftlichen Verbindungen: "Die Zusammensetzung des Hortfundes (mehrere gleichzeitig niedergelegte, vergrabene oder versenkte Münzen, Anm.) belegt letztendlich intensive Handelsbeziehungen von Ephesos mit Nordafrika auch nach der vandalischen Eroberung. Nur so ist erklärbar, dass Münzen mit Porträts der Könige Thrasamund und Hildirich neben jenen der byzantinischen Kaiser Anastasius und Zeno zirkulierten", erklärte der Numismatiker Nikolaus Schindel von der ÖAW.


 
Hintergrund

Die österreichischen Grabungen in Ephesos finden seit 1895 statt. An dem archäologischen Großprojekt beteiligen sich alljährlich um die 250 Wissenschafter aus bis zu 20 Ländern. Auslöser für den vom türkischen Außenministerium angeordneten Stopp der heurigen Grabungskampagne mit 31. August waren diplomatische Verstimmungen zwischen Ankara und Wien im Zuge des gescheiterten Putsches in der Türkei. Die Entscheidung hatte in der Wissenschaftscommunity Bestürzung ausgelöst, Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wandte sich daraufhin in einem Schreiben an den türkischen Kulturminister Nabi Avci.

Seitens des ÖAI sei man trotz dieser Entwicklungen jedoch damit beschäftigt, wie immer am Ende des Jahres den Antrag für die Grabung im kommenden Jahr bei den türkischen Behörden einzureichen, sagte Ladstätter. "Wir planen das wie gehabt, beginnen aber ab Mitte November parallel dazu mit Gesprächen mit unseren türkischen Kollegen, um abzuschätzen, ob es uns erlaubt wird zu arbeiten", so die ÖAI-Leiterin. (APA, red.)


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ÖAI

Nota. - Man mag in Ephesos auch nicht den beginnenden Druck der Völkerwanderung für den Untergng der antiken Kultur verantwortlich machen. Das wirft Fragen auch zum Westreich auf: Konnten die germanischen Heere Italien, Gallien und die illyrischen Provinzen nur deshalb so leicht überrollen, weil das Christentum die antike Res publica von innen schon zersetzt hatte?

Die Rolle, die Stadtflucht, Villensystem und Klientifzierung der Bauernschaft für den Niedergang der staatlichen Insitutionen - oder umgekehrt, wie man will - und das Aufkommen der Feudalität gespielt haben, wird schon lange diskutiert. Wenn in den folgenden Jahrhunderten im Westreich von den öffentlichen Strukturen schließlich nur die Bischofssitze Bestand hatten - lag das vielleicht auch daran, dass sie zuvor die Autorität der weltlichen Verwaltungen untergraben hatten?
JE 


 

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