Freitag, 18. November 2016

Sind die Flüchtlinge eher eine Bereicherung oder eine Belastung?

aus nzz.ch, 15.11.2016, 16:47 Uhr

Was die Flüchtlinge mitbringen 
Der syrische Arzt bleibt die Ausnahme. Dies bestätigt eine repräsentative Umfrage unter Flüchtlingen. Immerhin ist das Gros bildungshungrig und möchte einen Abschluss nachholen – aber zunächst einmal arbeiten. 

von Christoph Eisenring, Berlin 


Flüchtlinge nehmen Kosten und Risiken auf sich, um in ein sicheres Land zu kommen. 7000 € gaben sie im Schnitt für ihre Flucht nach Deutschland aus. Dabei waren sie 40 Tage unterwegs, wobei jeder Vierte Opfer eines Schiffbruchs wurde. Sie flüchteten vor Kriegen und Konflikten (70%), aber auch vor Verfolgung (44%) und Diskriminierung (38%). Weshalb verschlug es sie gerade nach Deutschland? Drei von vier Flüchtlingen nennen als Grund, dass in dem Land die Menschenrechte geachtet würden. Gerätselt hat man in Deutschland bisher darüber, welche Qualifikationen die Flüchtlinge mitbringen. Nun ergibt eine Umfrage des Bundesamtes für Flüchtlinge und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erstmals ein repräsentatives Bild. Befragt wurden 2300 volljährige Flüchtlinge, die zwischen 2013 und Anfang 2016 nach Deutschland gekommen sind.



Flüchtlinge sind sich der Defizite bewusst

Ins Auge sticht die grosse Kluft zwischen dem Bildungsniveau der Flüchtlinge und demjenigen der Einheimischen. Mindestens zehn Jahre Schulbildung werden in Westeuropa als Standard angesehen, und 88% der deutschen Bevölkerung überspringen diese Hürde. Unter den Flüchtlingen dagegen gilt das nur für 58%. Darin zeigt sich eine starke Zweiteilung der Bildungserfahrungen: Während ein Drittel der Flüchtlinge eine weiterführende Schule abgeschlossen hat, ging ein Zehntel gar nicht oder nur einige Jahre in die Grundschule. Diese Dichotomie zeigt sich auch im Erwachsenenalter, haben doch 70% der Flüchtlinge keinen Berufs- oder Studienabschluss. Immerhin besitzen aber drei Viertel Berufserfahrung – im Schnitt sechs Jahre.

Die Flüchtlinge sind sich ihrer Defizite durchaus bewusst und zeigen sich in der Umfrage bildungshungrig. Die Hälfte möchte noch einen Schulabschluss, zwei Drittel wollen ein berufliches Diplom nachholen. Allerdings sind gute Vorsätze noch nicht mit Abschlüssen gleichzusetzen. Laut der Umfrage wollen viele Flüchtlinge nämlich zunächst einmal arbeiten und erst später in Bildung investieren.

Nach drei Jahren hat jeder Fünfte einen Job

So erklärt sich denn auch, dass derzeit 58% der arbeitssuchenden Flüchtlinge von den Arbeitsämtern nur für Hilfsjobs als geeignet erachtet werden, 14% für fachliche Tätigkeiten und 4% für Experten-Jobs. Co-Autor Herbert Brücker vom federführenden IAB sieht den deutschen Arbeitsmarkt immerhin als ziemlich aufnahmefähig an –gerade auch für wenig Qualifizierte. Von den 1,6 Mio. Stellen, die in den letzten drei Jahren in Deutschland geschaffen worden seien, seien 40% Jobs, die niedrige Qualifikationen erforderten.

Die Umfrage macht deutlich, was für ein Marathonlauf die Integration am Arbeitsmarkt sein wird. Von den 2013 als Flüchtlinge gekommenen Menschen ist derzeit jeder Dritte erwerbstätig. Bei den Personen, die 2014 flüchteten, sind es 22% und bei denjenigen, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, lediglich 14%. Gemäss Brücker entspricht dies ungefähr den historischen Erfahrungen. Es dürfte damit etwa 15 Jahre dauern, bis 70% der Flüchtlinge erwerbstätig sind.

Nähe zu den Deutschen

Ob die Integration in Deutschland gelingt, hängt auch davon ab, ob die Geflüchteten die Werte der Einheimischen teilen. Und hier sagen die Studienautoren, dass die Haltungen der Flüchtlinge näher bei jenen im Gastland liegen als bei jenen ihrer Landsleute. So sagen zum Beispiel je 92% der Flüchtlinge und der Deutschen, dass Frauen die gleichen Rechte haben sollten wie Männer. Dies unterstützen aber nur 67% der Bevölkerung in den Krisenstaaten.

Einen starken Führer wünschen sich 21% der Flüchtlinge und – eher überraschend – auch 22% der Deutschen. Bei den Landsleuten der Flüchtlinge sind es aber sogar 46%. Es gibt indes auch kleine Unterschiede zu den Deutschen: Immerhin 13% der Flüchtlinge sprechen sich dafür aus, dass ein Religionsführer die Auslegung der Gesetze bestimmt, während es bei den Deutschen «nur» 8% sind. Aber auch hier ist der Unterschied zur Bevölkerung der Herkunftsstaaten gross, wo dies 55% wollen.

Für diese Resultate gibt es verschiedene Erklärungen. Wer einige Jahre in Deutschland gelebt hat, hat sich möglicherweise schon an die Mehrheitsgesellschaft angepasst. Zum Teil dürften die Interviewten auch die Antworten gegeben haben, die sie als erwünscht ansahen. Auf eine gewisse Verzerrung deutet jedenfalls, dass Fragen zu Werten von 10% bis 15% der Flüchtlinge nicht beantwortet wurden. Wichtigster Grund ist aber wohl, dass sich Flüchtlinge von ihren Landsleuten systematisch unterscheiden. Flüchtlinge – zumindest diejenigen, die in einer ersten Welle kommen – gehören oft eher zu den gebildeteren, den risikofreudigeren und den weniger angepassten Bewohnern ihres Landes.


Nota. - Als im vorige Novemder die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, war zuerst die Begeisterung, endlich einmal selber helfen zu können, groß, und die Deutschen staunten über sich selbst, fast noch mehr als ihre Nach- barn. Dass Stolz dabei war, kann man niemand verübeln. 

Übel war jedoch, dass von stets derselben interessierten Seite das Thema so okkupiert wurde, als handle es sich um den endlichen Triumph aller politisch korrekten Menschen guten Willens über die sittlich Beklagenswerten. Eine national- und weltpolitisch existenzielle Frage wurde auf Stammtischniveau heruntergebrochen, und dort schallte es prompt zurück: Die fressen uns die Haare vom Kopf! Die ruinieren unsere Sicherungssysteme!

Und auf einmal sahen sich die Gutmenschen in die Rolle von Schadensbegrenzern zurückgedrängt: Ohne Zuwanderung wird Deutschland vergreisen, die werden im Gegenteil unsere Rentenkassen wieder auffüllen! Und so ging das Krämergezänk weiter: Bis es soweit ist, sind wir längst pleite! 

Ja, und da kam das fromme Märchen von den syrischen Ärzten auf, da hatten die Gutmenschen in ihrem Suppenteller mal wieder vierzehn Tag Oberwasser, bis zur nächsten Retoure der identitären Gartenzwerge...

Kleinlich und klebrig, und die Chance eines vollkommen ernsten Streits über Deutschland und seine künftige Rolle in der Welt war vertan.

Das ist nun auch schon wieder eine Weile her, wenn es noch einen interessiert, kann man ihm inzwischen ruhig und sachlich kommen: Weder noch. Und kann man sagen: Darum ist es auch nie gegangen, sondern darum, ob Deutschland seine Aufgabe als Führungsmacht in der Mitte Europas erfüllt oder sich lieber als größte Kleingartenkolonie aller Zeiten unauffällig macht. 
JE 


 

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